Auf Eis gebaut
In den letzten Jahren hat sich das Leben in Iqaluit, der Hauptstadt der selbstverwalteten kanadischen Region Nunavut, stark verändert. 7000 Menschen leben heute dort, 40 Prozent davon sind weiße Kanadier, die auf der Suche nach Arbeit aus dem Süden gekommen sind.
Aber auch die Inuit mussten in gewisser Weise Abschied von ihrer Heimat nehmen. Statt sich ihre Nahrung durch die Jagd zu beschaffen, kaufen sie heute im Supermarkt ein und statt mit Schlitten fahren sie in Iqaliut im Auto durch die Gegend, einem Ort, der erst 2001 offiziell den Status einer Stadt bekommen hat, aber am vergangenen Wochenende Gastgeber für die G7-Finanzminister war.
Beißender Gestank nach Fäkalien erfüllt die Luft. Die Männer von der Stadtreinigung sind nicht zu beneiden. Doch das Abpumpen von Brauchwasser und Toiletteninhalt in große Tankwagen ist in Iqaluit tägliches Geschäft und ein sicherer Arbeitsplatz obendrein, wie der Präsident der Arbeitergewerkschaft Doug Workman erklärt.
Workman: "Hier in der Arktis gibt es keine Wasser- und Gasleitungen in der Erde wie im Süden Kanadas, wegen des Permafrosts, des dauernd zugefrorenen Bodens. Wenn überhaupt Rohre verlegt wurden, dann nur oberhalb. Mit dem Klimawandel gibt es vielleicht die Möglichkeit, mehr Rohre in die Erde zu bringen, wer weiß. Bisher ist es noch nicht soweit. Also, wird weiter Wasser mit Lastwagen gebracht und abgeholt."
Im Sommer taut der Perma- oder Dauerfrostboden der Arktis etwa 50 Zentimeter tief auf. Damit die Häuser dann nicht im weich gewordenen Untergrund einsinken oder umkippen, stehen sie auf fest im Boden verankerten Stelzen. Den Zwischenraum füllen die Wasser- und Gastanks. Eine brennende rote Lampe an jedem Haus zeigt an, dass die Bewohner dort noch mit allem versorgt sind. Flache, lang gezogene Inseln schauen bei Ebbe aus dem bleigrauen Wasser der Frobisher-Bay, die sozusagen vor Iqaluits Haustür liegt.
Kommt die Flut, steigt der Wasserspiegel um 30 Meter an. Nur vier Monate lang ist die Bay eisfrei. Von Oktober bis Juni wird sie von einem Gürtel aus Presseis umgeben, kantigen Eisschollen, die von den Gezeiten zu immer neuen Formationen aufgetürmt werden. Auch im Sommer treiben kleinere Eisberge in die Bucht. Früher waren die Ureinwohner der Arktis, die Inuit, Nomaden, die in Zelten oder Iglus lebten und mit Schlittenhunden unterwegs waren. Heute fahren sie mit Autos auf den ungeteerten Straßen von Iqaluit
In den letzten Jahren wurden in Iqaluit Reihenhäuser mit leuchtend roten Dächern ans Ufer der Bay gestellt. Die älteren Gebäude erinnern eher an Container, die wie zwischen Felsbrocken und Hügel hingewürfelt wirken. Das Straßenmuster zeigt, dass im Hinterland immer wieder neues Bauland der endlos weiten baumlosen Tundra abgerungen wurde. "Road to Nowhere" steht an einer Ausfallstraße, die dann tatsächlich in einer moosigen, mit Tümpeln durchzogenen Ebene, also im Nichts endet. Ein Gewirr aus Steinbrocken und Rinnsalen versperrt den Weiterweg. Über Morastflächen tanzen Mücken. Kein Ort für Urlaub und Freizeit. Diejenigen, die Doug Workman vor Jahrzehnten aus dem Süden Kanadas kamen, blieben, weil sie Arbeit fanden.
Workman: "In den letzten 30 Jahren wurden hier meist Jobs im öffentlichen Dienst geschaffen, entweder in den Büros der Stadtverwaltung oder für Lastwagenfahrer. Dann gibt es den Flughafen, der auch zum Teil von der Stadt betrieben wird, und die Wetterstationen. Weiter Schneeräumdienste und solche zur Instandhaltung der Straßen oder Notdienste wie die Feuerwehr. Wenn es nachts Feuer gibt, dann können unsere Arbeiter viele Überstunden anschreiben, aber nicht, dass wir jemanden zum Feuerlegen ermutigen wollen."
Eine Stadt in der Arktis – und sei sie auch noch so klein – stellt hohe logistische Anforderungen, was die Versorgung der Bevölkerung betrifft. Seit Iqaluit die Hauptstadt Nunavuts ist, kommen noch mehr Menschen dorthin.
Workman: "Die Autonomie-Regierung von Nunavut hat hier viele ihrer Abteilungen angesiedelt, angefangen vom Amt für den Schutz der Umwelt bis hin zur Bildung. Es gibt ein Lehrerausbildungsprogramm im Arktischen College. Wir haben Verbindungen mit einer Uni in der Provinz Saskatschewan. Dann gibt es in Iqaluit das einzige Krankenhaus der ganzen Region."
... und mittlerweile auch drei große Hotels. Das "Frobisher Inn" ist ein Riesengebäude, das wie eine Landmarke auf einem Hügel inmitten von Iqaluit erbaut wurde. An den Tischen des Hotel-Restaurants sitzen fast ausschließlich Weiße. Als Spezialitäten werden auf der Speisekarte Karibusteak und Arctic Char angeboten, eine Saiblingart, die mit dem Lachs verwandt ist.
Die Preise für ein Gericht liegen bei umgerechnet 30 Euro. Ab und zu geht ein ärmlich gekleideter Inuk, das ist die Einzahl von Inuit, von Tisch zu Tisch und bietet schüchtern kleine Kunstgegenstände zum Verkauf an. Weißen gehören die Hotels und die meisten Läden der Stadt. Dennoch kommen auch immer mehr Inuit nach Iqaluit.
Workman: "Beim öffentlichen Dienst in Nunavut liegt die Beschäftigungsrate der Inuit bei 51 Prozent, etwa 3000 Personen. In den kleinen Gemeinden Nunavuts sind sogar 90 Prozent Inuit angestellt, meist als einfache Arbeiter. Auch in Supermärkten, wie den Northern Store zum Beispiel, der früher der Hudson's Bay Company gehörte, werden genau wie im Co-Op Laden hauptsächlich Inuit beschäftigt."
Obst und Gemüse, Backwaren, Milch, Schuhe und Kleidungsstücke, alles was hier in den Tiefkühltruhen und Regalen liegt, wurde aus dem Süden Kanadas eingeflogen. Als Altersheim für einst Frisches, so beschreiben Kritiker die Tatsache, dass manche Waren welk und runzelig sind, wenn sie beim Verbraucher ankommen. Martha Putlaq, 39, stammt aus einer kleinen Gemeinde im Süden von Iqaluit. Wie die meisten erledigt sie nach Büroschluss ihre Einkäufe.
Martha: "Ich bin bei meinen Eltern auf dem Land aufgewachsen. Wenn wir etwas brauchten, gingen wir zum jagen und fischen und haben so überlebt. Auch heute ist das für uns wichtig, denn Essen und Kleidung aus dem Supermarkt sind hier im Norden sehr teuer, weil alles mit dem Flugzeug angeliefert wird.
Außerdem ist unsere traditionelle Nahrung immer frisch, ganz anders als die im Supermarkt. Karibu zum Beispiel schmeckt wie Rindfleisch, hat aber kein Fett. Hier in der Gegend gehen wir auch auf Karibujagd. Von diesem teueren modernen Essen allein können wir nicht leben und deshalb gibt es heute noch Familien, die hauptsächlich auf die traditionelle Inuit Kost angewiesen sind."
Einst waren die Inuit Selbstversorger, lebten von dem, was die arktische Geröll- und Eiswüste ihnen bot. Elisapee Ikkidluak kommt aus demselben Dorf wie Martha und schwärmt wie sie vom Leben vergangener Zeiten.
Elisapee: "Ich brauche diese Kost vom Land, Robbenfleisch, Karibu, Fisch, denn es ist mein Leben. Ich kann nicht immer dieses Zeug aus dem Supermarkt essen, denn sonst vergesse ich noch, wer ich bin. Jetzt versuchen wir auch wieder zu unserer traditionellen Kleidung aus Robbenfellen zurückzukehren.
Ich betreue ein Programm, in dem wieder Hosen und Jacken aus Fellen und Leder gefertigt werden, denn im Winter halten nur die die kalte Luft draußen. Die Jacken können unglaublich warm sein, kein Vergleich mit den Sachen hier aus dem Supermarkt."
Trotz aller Anpassung wirken die in Städten wohnenden Inuit wie strafversetzt. Ihr wirkliches Leben spielt sich jenseits der Stadtgrenze statt. Das, was die Weißen als "Road to Nowhere" bezeichnen, ist für sie Heimat. Wie viele Inuit noch hauptberuflich zum Jagen und Fischen gehen, ist unbekannt. Martha ist Mutter eines zwölfjährigen Sohnes, der, obwohl er in der Stadt aufwächst, auch das Landleben kennen lernen soll.
Martha: "Wir gehen hier wie jeder andere von Montag bis Freitag ins Büro. Aber am Wochenende fahren wir, wenn es das Wetter erlaubt, mit dem Boot hinaus auf die Frobisher Bay, angeln und sammeln Muscheln. Es gehört heute nicht mehr zu unserem täglichen Leben wie früher, aber wir sorgen dafür, dass unsere Traditionen nicht ganz vernachlässigt werden."
Wie jeden Morgen bringt Jim Little, ein Mann um die 50, seinen Sohn zur Schule. Während der Fahrt nimmt er immer mal einen Schluck Kaffee aus dem Thermosbecher. Egal, wie kurz die Strecke ist, zu Fuß geht heute niemand mehr in Iqaluit. Das Wetter ist trüb, die Luft kalt.
Die blassen Wollgräser und selbst die leuchtend pinkfarbenen Zwerg-Weidenröschen, die zwischen den Häusern wachsen, tragen nicht gerade zu guter Laune bei. Auch den weißen Kanadiern fehlt etwas in Iqaluit. Für Jim Little sind es Parks mit weiten Grünflächen, mit Bäumen, wie er sie aus dem Süden Kanadas, aus seiner Heimat kennt.
Jim Little: "Ich habe großen Respekt vor der Kultur der Inuit. Sie haben hier Jahrhunderte lang überlebt, ohne pflanzliche Nahrung. Es gab nur ein wenig Tang, Blumen, Blätter und Beeren. Zu 95 Prozent haben sie sich vom Fleisch der Tiere ernährt. Seit der weiße Mann gekommen ist, sind viele Tiere verschwunden. Mit dem heutigen Bestand könnte die wachsende Bevölkerung in Iqaluit nicht mehr ernährt werden.
Als Ergebnis bekommt nun ein Großteil der Inuit staatliche Unterstützung, damit sie im Supermarkt einkaufen kann. Aber diese Nahrung hat so gut wie keinen Nährwert. Es ist in der Regel Fast Food und enthält zu viel Zucker und Salz. Wirklich nahrhaftes Essen ist zu teuer und es verlangt auch etwas mehr an Zubereitungszeit, mehr als nur das Öffnen einer Packung oder das Aufdrehen einer Flasche. Viele Inuit haben Diabetes und Zahnprobleme, weil sie fehl ernährt sind. Wenn sie ihre traditionelle Nahrung hätten, ginge es ihnen vermutlich besser."
Jim Little ist kein Ernährungsexperte, sondern Gelegenheitsarbeiter für gut bezahlte, hochgefährliche Jobs. Er zeigt auf weiße Riesentanks in Flughafennähe. Er reinigt sie von innen, aber nur, wenn es nötig ist. So hat er viel Freizeit und ein besonderes Hobby: Er kümmert sich um eines der Gewächshäuser, die in den letzten Jahren in der Region gebaut wurden, eine Idee, die auch aus dem Problem wachsender Müllberge in der Arktis entstanden ist. Während auf Halden Motorschlitten und anderer Elektroschrott langsam verrostet, haben engagierte Bürger für Biomüll eine sinnvolle Verwendung gefunden.
"Dieses Gewächshaus ist eher ein Experiment. Wir bringen uns hier selbst bei, was wir erfolgreich züchten können. Die Erde ist nicht importiert, wie in anderen Gewächshäusern. Sie wurde aus 25 Prozent lokal produziertem Kompost zusammen mit hiesiger Erde hergestellt. Wir stellen 20 Tonnen Humus pro Jahr her mit dem gesammelten Bioabfall von 87 Mitgliederfamilien des Gewächshauses, den wir zu Kompost verarbeiten. Auch viele Inuit gehören dazu.
Ein paar der Ältesten bei den Inuit haben Blumenkästen zu Hause mit den Pflanzen und der Erde, die wir hier produziert haben. Einige Leute meinen, das gehöre doch nicht zur Kultur der Inuit, Nahrung anzupflanzen, aber das meiste hier in Iqaluit gehört ohnehin nicht mehr zur Inuitkultur, so wie sie vor 100 Jahren noch existierte."
Die Temperatur im etwa 30 Quadratmeter großen Gewächshaus ist wesentlich angenehmer als draußen. Wasser in Behältern, das tagsüber von der Sonne aufgeheizt wird, gibt nachts seine Wärme ab. Es duftet nach Erde und verschiedenen Kräutern. In Kästen auf Tischen gedeihen Blumen, Tomaten und Erbsen, die in ihrer geringen Menge wohl nur Kostproben für die 87 Mitgliederfamilien sein können. Sogar die Premierministerin von Nunavut, Eva Aariak, gehört zu den Biomüllsammlern in Iqaluit. Die 60-Jährige ist stolz auf den Spagat zwischen zwei Welten.
Eva: "Diese Vielfalt unterschiedlicher Ideen ist ja gerade das Schöne hier. Wir müssen uns das heraussuchen, was in unserer Kultur funktioniert und überlegen, was können wir selbst produzieren und was sollten wir von außerhalb bringen.
Wir leben auch hier im 21. Jahrhundert und probieren neue Technologien aus. Wir existieren in Iqaluit versteckt vom Rest der Welt und müssen uns deshalb selbst globalisieren. Wir suchen uns das Beste aus beiden Kulturen heraus, aus der der Inuit und der des Südens."
Das Flughafengebäude von Iqaluit ist maisgelb gestrichen und weithin sichtbar. Es ist die Drehscheibe der Stadt, hier gibt es ein stetes Kommen und Gehen, hier trifft man Bekannte. Fliegen ist im straßenlosen Nunavut selbstverständlich. Bis 1955 war der Ort Luftstützpunkt der US-Streitkräfte.
Heute testen Flugzeugbauer ihre Maschinen auf der über drei Kilometer langen Rollbahn auf Wintertauglichkeit. Auch ein Airbus A380 landete hier bei seinem Probeflug in der Arktis und wer über den Nordatlantik fliegt, wird von einem Fluglenksystem in Iqaluit geleitet.
Ein Blick aus dem Flugzeugfenster, auf die Häuser der Stadt, inmitten der Tundra, ein Mosaik aus Land und Wasser in den Farben Blau und Grün. Bis Montreal sind es 2000 Kilometer. Die vordere Hälfte jedes Passagierflugzeugs ist der Fracht vorbehalten. Denn heute wird arktischer Fisch und Robbenfleisch auch in den Süden transportiert: Gourmet-Köche haben sie dort als Delikatesse entdeckt.
Beißender Gestank nach Fäkalien erfüllt die Luft. Die Männer von der Stadtreinigung sind nicht zu beneiden. Doch das Abpumpen von Brauchwasser und Toiletteninhalt in große Tankwagen ist in Iqaluit tägliches Geschäft und ein sicherer Arbeitsplatz obendrein, wie der Präsident der Arbeitergewerkschaft Doug Workman erklärt.
Workman: "Hier in der Arktis gibt es keine Wasser- und Gasleitungen in der Erde wie im Süden Kanadas, wegen des Permafrosts, des dauernd zugefrorenen Bodens. Wenn überhaupt Rohre verlegt wurden, dann nur oberhalb. Mit dem Klimawandel gibt es vielleicht die Möglichkeit, mehr Rohre in die Erde zu bringen, wer weiß. Bisher ist es noch nicht soweit. Also, wird weiter Wasser mit Lastwagen gebracht und abgeholt."
Im Sommer taut der Perma- oder Dauerfrostboden der Arktis etwa 50 Zentimeter tief auf. Damit die Häuser dann nicht im weich gewordenen Untergrund einsinken oder umkippen, stehen sie auf fest im Boden verankerten Stelzen. Den Zwischenraum füllen die Wasser- und Gastanks. Eine brennende rote Lampe an jedem Haus zeigt an, dass die Bewohner dort noch mit allem versorgt sind. Flache, lang gezogene Inseln schauen bei Ebbe aus dem bleigrauen Wasser der Frobisher-Bay, die sozusagen vor Iqaluits Haustür liegt.
Kommt die Flut, steigt der Wasserspiegel um 30 Meter an. Nur vier Monate lang ist die Bay eisfrei. Von Oktober bis Juni wird sie von einem Gürtel aus Presseis umgeben, kantigen Eisschollen, die von den Gezeiten zu immer neuen Formationen aufgetürmt werden. Auch im Sommer treiben kleinere Eisberge in die Bucht. Früher waren die Ureinwohner der Arktis, die Inuit, Nomaden, die in Zelten oder Iglus lebten und mit Schlittenhunden unterwegs waren. Heute fahren sie mit Autos auf den ungeteerten Straßen von Iqaluit
In den letzten Jahren wurden in Iqaluit Reihenhäuser mit leuchtend roten Dächern ans Ufer der Bay gestellt. Die älteren Gebäude erinnern eher an Container, die wie zwischen Felsbrocken und Hügel hingewürfelt wirken. Das Straßenmuster zeigt, dass im Hinterland immer wieder neues Bauland der endlos weiten baumlosen Tundra abgerungen wurde. "Road to Nowhere" steht an einer Ausfallstraße, die dann tatsächlich in einer moosigen, mit Tümpeln durchzogenen Ebene, also im Nichts endet. Ein Gewirr aus Steinbrocken und Rinnsalen versperrt den Weiterweg. Über Morastflächen tanzen Mücken. Kein Ort für Urlaub und Freizeit. Diejenigen, die Doug Workman vor Jahrzehnten aus dem Süden Kanadas kamen, blieben, weil sie Arbeit fanden.
Workman: "In den letzten 30 Jahren wurden hier meist Jobs im öffentlichen Dienst geschaffen, entweder in den Büros der Stadtverwaltung oder für Lastwagenfahrer. Dann gibt es den Flughafen, der auch zum Teil von der Stadt betrieben wird, und die Wetterstationen. Weiter Schneeräumdienste und solche zur Instandhaltung der Straßen oder Notdienste wie die Feuerwehr. Wenn es nachts Feuer gibt, dann können unsere Arbeiter viele Überstunden anschreiben, aber nicht, dass wir jemanden zum Feuerlegen ermutigen wollen."
Eine Stadt in der Arktis – und sei sie auch noch so klein – stellt hohe logistische Anforderungen, was die Versorgung der Bevölkerung betrifft. Seit Iqaluit die Hauptstadt Nunavuts ist, kommen noch mehr Menschen dorthin.
Workman: "Die Autonomie-Regierung von Nunavut hat hier viele ihrer Abteilungen angesiedelt, angefangen vom Amt für den Schutz der Umwelt bis hin zur Bildung. Es gibt ein Lehrerausbildungsprogramm im Arktischen College. Wir haben Verbindungen mit einer Uni in der Provinz Saskatschewan. Dann gibt es in Iqaluit das einzige Krankenhaus der ganzen Region."
... und mittlerweile auch drei große Hotels. Das "Frobisher Inn" ist ein Riesengebäude, das wie eine Landmarke auf einem Hügel inmitten von Iqaluit erbaut wurde. An den Tischen des Hotel-Restaurants sitzen fast ausschließlich Weiße. Als Spezialitäten werden auf der Speisekarte Karibusteak und Arctic Char angeboten, eine Saiblingart, die mit dem Lachs verwandt ist.
Die Preise für ein Gericht liegen bei umgerechnet 30 Euro. Ab und zu geht ein ärmlich gekleideter Inuk, das ist die Einzahl von Inuit, von Tisch zu Tisch und bietet schüchtern kleine Kunstgegenstände zum Verkauf an. Weißen gehören die Hotels und die meisten Läden der Stadt. Dennoch kommen auch immer mehr Inuit nach Iqaluit.
Workman: "Beim öffentlichen Dienst in Nunavut liegt die Beschäftigungsrate der Inuit bei 51 Prozent, etwa 3000 Personen. In den kleinen Gemeinden Nunavuts sind sogar 90 Prozent Inuit angestellt, meist als einfache Arbeiter. Auch in Supermärkten, wie den Northern Store zum Beispiel, der früher der Hudson's Bay Company gehörte, werden genau wie im Co-Op Laden hauptsächlich Inuit beschäftigt."
Obst und Gemüse, Backwaren, Milch, Schuhe und Kleidungsstücke, alles was hier in den Tiefkühltruhen und Regalen liegt, wurde aus dem Süden Kanadas eingeflogen. Als Altersheim für einst Frisches, so beschreiben Kritiker die Tatsache, dass manche Waren welk und runzelig sind, wenn sie beim Verbraucher ankommen. Martha Putlaq, 39, stammt aus einer kleinen Gemeinde im Süden von Iqaluit. Wie die meisten erledigt sie nach Büroschluss ihre Einkäufe.
Martha: "Ich bin bei meinen Eltern auf dem Land aufgewachsen. Wenn wir etwas brauchten, gingen wir zum jagen und fischen und haben so überlebt. Auch heute ist das für uns wichtig, denn Essen und Kleidung aus dem Supermarkt sind hier im Norden sehr teuer, weil alles mit dem Flugzeug angeliefert wird.
Außerdem ist unsere traditionelle Nahrung immer frisch, ganz anders als die im Supermarkt. Karibu zum Beispiel schmeckt wie Rindfleisch, hat aber kein Fett. Hier in der Gegend gehen wir auch auf Karibujagd. Von diesem teueren modernen Essen allein können wir nicht leben und deshalb gibt es heute noch Familien, die hauptsächlich auf die traditionelle Inuit Kost angewiesen sind."
Einst waren die Inuit Selbstversorger, lebten von dem, was die arktische Geröll- und Eiswüste ihnen bot. Elisapee Ikkidluak kommt aus demselben Dorf wie Martha und schwärmt wie sie vom Leben vergangener Zeiten.
Elisapee: "Ich brauche diese Kost vom Land, Robbenfleisch, Karibu, Fisch, denn es ist mein Leben. Ich kann nicht immer dieses Zeug aus dem Supermarkt essen, denn sonst vergesse ich noch, wer ich bin. Jetzt versuchen wir auch wieder zu unserer traditionellen Kleidung aus Robbenfellen zurückzukehren.
Ich betreue ein Programm, in dem wieder Hosen und Jacken aus Fellen und Leder gefertigt werden, denn im Winter halten nur die die kalte Luft draußen. Die Jacken können unglaublich warm sein, kein Vergleich mit den Sachen hier aus dem Supermarkt."
Trotz aller Anpassung wirken die in Städten wohnenden Inuit wie strafversetzt. Ihr wirkliches Leben spielt sich jenseits der Stadtgrenze statt. Das, was die Weißen als "Road to Nowhere" bezeichnen, ist für sie Heimat. Wie viele Inuit noch hauptberuflich zum Jagen und Fischen gehen, ist unbekannt. Martha ist Mutter eines zwölfjährigen Sohnes, der, obwohl er in der Stadt aufwächst, auch das Landleben kennen lernen soll.
Martha: "Wir gehen hier wie jeder andere von Montag bis Freitag ins Büro. Aber am Wochenende fahren wir, wenn es das Wetter erlaubt, mit dem Boot hinaus auf die Frobisher Bay, angeln und sammeln Muscheln. Es gehört heute nicht mehr zu unserem täglichen Leben wie früher, aber wir sorgen dafür, dass unsere Traditionen nicht ganz vernachlässigt werden."
Wie jeden Morgen bringt Jim Little, ein Mann um die 50, seinen Sohn zur Schule. Während der Fahrt nimmt er immer mal einen Schluck Kaffee aus dem Thermosbecher. Egal, wie kurz die Strecke ist, zu Fuß geht heute niemand mehr in Iqaluit. Das Wetter ist trüb, die Luft kalt.
Die blassen Wollgräser und selbst die leuchtend pinkfarbenen Zwerg-Weidenröschen, die zwischen den Häusern wachsen, tragen nicht gerade zu guter Laune bei. Auch den weißen Kanadiern fehlt etwas in Iqaluit. Für Jim Little sind es Parks mit weiten Grünflächen, mit Bäumen, wie er sie aus dem Süden Kanadas, aus seiner Heimat kennt.
Jim Little: "Ich habe großen Respekt vor der Kultur der Inuit. Sie haben hier Jahrhunderte lang überlebt, ohne pflanzliche Nahrung. Es gab nur ein wenig Tang, Blumen, Blätter und Beeren. Zu 95 Prozent haben sie sich vom Fleisch der Tiere ernährt. Seit der weiße Mann gekommen ist, sind viele Tiere verschwunden. Mit dem heutigen Bestand könnte die wachsende Bevölkerung in Iqaluit nicht mehr ernährt werden.
Als Ergebnis bekommt nun ein Großteil der Inuit staatliche Unterstützung, damit sie im Supermarkt einkaufen kann. Aber diese Nahrung hat so gut wie keinen Nährwert. Es ist in der Regel Fast Food und enthält zu viel Zucker und Salz. Wirklich nahrhaftes Essen ist zu teuer und es verlangt auch etwas mehr an Zubereitungszeit, mehr als nur das Öffnen einer Packung oder das Aufdrehen einer Flasche. Viele Inuit haben Diabetes und Zahnprobleme, weil sie fehl ernährt sind. Wenn sie ihre traditionelle Nahrung hätten, ginge es ihnen vermutlich besser."
Jim Little ist kein Ernährungsexperte, sondern Gelegenheitsarbeiter für gut bezahlte, hochgefährliche Jobs. Er zeigt auf weiße Riesentanks in Flughafennähe. Er reinigt sie von innen, aber nur, wenn es nötig ist. So hat er viel Freizeit und ein besonderes Hobby: Er kümmert sich um eines der Gewächshäuser, die in den letzten Jahren in der Region gebaut wurden, eine Idee, die auch aus dem Problem wachsender Müllberge in der Arktis entstanden ist. Während auf Halden Motorschlitten und anderer Elektroschrott langsam verrostet, haben engagierte Bürger für Biomüll eine sinnvolle Verwendung gefunden.
"Dieses Gewächshaus ist eher ein Experiment. Wir bringen uns hier selbst bei, was wir erfolgreich züchten können. Die Erde ist nicht importiert, wie in anderen Gewächshäusern. Sie wurde aus 25 Prozent lokal produziertem Kompost zusammen mit hiesiger Erde hergestellt. Wir stellen 20 Tonnen Humus pro Jahr her mit dem gesammelten Bioabfall von 87 Mitgliederfamilien des Gewächshauses, den wir zu Kompost verarbeiten. Auch viele Inuit gehören dazu.
Ein paar der Ältesten bei den Inuit haben Blumenkästen zu Hause mit den Pflanzen und der Erde, die wir hier produziert haben. Einige Leute meinen, das gehöre doch nicht zur Kultur der Inuit, Nahrung anzupflanzen, aber das meiste hier in Iqaluit gehört ohnehin nicht mehr zur Inuitkultur, so wie sie vor 100 Jahren noch existierte."
Die Temperatur im etwa 30 Quadratmeter großen Gewächshaus ist wesentlich angenehmer als draußen. Wasser in Behältern, das tagsüber von der Sonne aufgeheizt wird, gibt nachts seine Wärme ab. Es duftet nach Erde und verschiedenen Kräutern. In Kästen auf Tischen gedeihen Blumen, Tomaten und Erbsen, die in ihrer geringen Menge wohl nur Kostproben für die 87 Mitgliederfamilien sein können. Sogar die Premierministerin von Nunavut, Eva Aariak, gehört zu den Biomüllsammlern in Iqaluit. Die 60-Jährige ist stolz auf den Spagat zwischen zwei Welten.
Eva: "Diese Vielfalt unterschiedlicher Ideen ist ja gerade das Schöne hier. Wir müssen uns das heraussuchen, was in unserer Kultur funktioniert und überlegen, was können wir selbst produzieren und was sollten wir von außerhalb bringen.
Wir leben auch hier im 21. Jahrhundert und probieren neue Technologien aus. Wir existieren in Iqaluit versteckt vom Rest der Welt und müssen uns deshalb selbst globalisieren. Wir suchen uns das Beste aus beiden Kulturen heraus, aus der der Inuit und der des Südens."
Das Flughafengebäude von Iqaluit ist maisgelb gestrichen und weithin sichtbar. Es ist die Drehscheibe der Stadt, hier gibt es ein stetes Kommen und Gehen, hier trifft man Bekannte. Fliegen ist im straßenlosen Nunavut selbstverständlich. Bis 1955 war der Ort Luftstützpunkt der US-Streitkräfte.
Heute testen Flugzeugbauer ihre Maschinen auf der über drei Kilometer langen Rollbahn auf Wintertauglichkeit. Auch ein Airbus A380 landete hier bei seinem Probeflug in der Arktis und wer über den Nordatlantik fliegt, wird von einem Fluglenksystem in Iqaluit geleitet.
Ein Blick aus dem Flugzeugfenster, auf die Häuser der Stadt, inmitten der Tundra, ein Mosaik aus Land und Wasser in den Farben Blau und Grün. Bis Montreal sind es 2000 Kilometer. Die vordere Hälfte jedes Passagierflugzeugs ist der Fracht vorbehalten. Denn heute wird arktischer Fisch und Robbenfleisch auch in den Süden transportiert: Gourmet-Köche haben sie dort als Delikatesse entdeckt.