Auf Geisterfahrt
Juan Rulfos Roman "Pedro Páramo", dessen erste Auflage wegen schlechter Absatzzahlen zur Hälfte sogar verschenkt wurde, ist heute ein Klassiker der modernen lateinamerikanischen Literatur. Jetzt ist er in einer Neuübersetzung als Hörbuch erschienen.
"Ich bin nach Comala gekommen, weil mir gesagt wurde, dass hier mein Vater lebt, ein gewisser Pedro Páramo. Meine Mutter hat mir das gesagt, und ich habe ihr versprochen, ihn gleich nach ihrem Tod aufzusuchen. Ich habe ihr die Hände gedrückt, um das zu bekräftigen, denn sie lag im Sterben und ich hätte ihr alles versprochen."
Was ergreifend wie eine Familiensaga beginnt, wird für den jungen Juan Preciado, der auszieht, um seinen Vater zu suchen, zu einer schauerlichen Geisterfahrt. Hoffnungsfroh und voll der schönsten Erwartungen reist er in den Ort seiner Herkunft, der ihm als kleines Paradies geschildert wurde. Doch was er vorfindet, ist eine gottverlassene Einöde voller Ruinen, durch die ein giftiger Wind weht. Eine gespenstische Stille liegt über dem Dorf, dazwischen wispert, murmelt, raunt es. Die wenigen Leute, die er trifft, benehmen sich höchst sonderbar - und Pedro Páramo, sein Vater, sei seit langem tot, sagen sie.
"Dieses Dorf ist voller Echos. Es ist so, als seien sie in den Mauern oder unter den Steinen eingesperrt. Wenn du gehst, spürst du, dass sie dir auf den Hacken sind, hörst es knirschen, Gelächter, schon recht altes Gelächter, als wäre es müde vom Lachen, und Stimmen, die vom vielen Gebrauch abgenutzt sind. … An windigen Tagen siehst du, wie der Wind Blätter herumwirbelt, obwohl, wie du siehst, es gar keine Bäume gibt."
Juan hört einem Chor längst entrückter Stimmen zu, die ihm ihr Leid klagen. Sie berichten, wie sie zu Opfern wurden, von Rachefeldzügen, von Vergewaltigungen und Morden. Denn Comala ist ein Dorf von Untoten, ein verdammter Ort, geradewegs am Eingang zur Hölle, an dem die Zeit still zu stehen scheint. Schuld daran ist Pedro Páramo, ein selbstherrlicher Großgrundbesitzer, der skrupellos seinen Reichtum vermehrte, ein Frauenschänder und Tyrann, der alles und alle seiner Macht unterwarf. Er herrschte mit grausamer Brutalität ebenso wie mit tückischer Scheinheiligkeit.
"Er stellte fest, dass Pedro wie zu einem Ebenbürtigen mit ihm sprach. So was! Er folgte ihm mit großen Schritten und schlug sich dabei mit der Peitsche gegen die Beine. Bald wird er wissen, mit wem er es zu tun hat. … Pedro Pàramo machte es sich auf der Krippe bequem und wartete ab. 'Warum setzt du dich nicht?'- 'Ich stehe lieber, Pedro.' - 'Wie du willst. Vergiss mir aber nicht den Don.'"
Losgelöst von aller Chronologie erschafft der Roman ein vielstimmiges Vexierspiel aus Anekdoten und Gerüchten, Erinnerungen und Naturbildern. Doch nie wirkt er blutleer oder stilistisch überambitioniert. Er bleibt immer archaisch-einfach und leicht. Dass dieser Eindruck sich beim Hören unmittelbar überträgt, ist Urs Widmers engagiertem Vortrag zu verdanken. Der vielfach ausgezeichnete Schweizer Schriftsteller ist kein professioneller Vorleser, was in diesem Fall kein Nachteil ist. Im Gegenteil. Der gutturale Tonfall mit seiner leicht eidgenössischen Sprachmelodie erdet die vielen Stimmen aus dem Gespensterreich.
Wenn sich die Toten unterhalten, klingt es bei ihm, als wären sie am Leben, genauso verletzlich, skrupellos, sentimental oder hinterhältig, wie Menschen sind. Was besonders unter die Haut geht, ist, wie er Rulfos literarische Finesse umsetzt, die Grausamkeit zwischen den Worten zu inszenieren. Weil stets nur angedeutet, gewinnt sie nie handfeste Konturen und überlässt der Phantasie die Hauptarbeit. Ein narrativer Trick, der Don Pedros totalitäre Machtausübung so in ihrer ganzen Dimension spürbar macht.
"'Wusstest du, Fulgor, dass sie die schönste Frau ist, die je auf Erden gelebt hat? ... Jetzt will ich sie nicht noch einmal verlieren. Verstehst du mich, Fulgor? Sag ihrem Vater, er soll weiter in seinen Minen arbeiten. Und dort ... in diesem Gebiet, wo nie einer hinkommt, wird es wohl ein leichtes sein, den Alten verschwinden zu lassen. Meinst du nicht?' - 'Kann sein.' - 'Es soll sein. Sie muss ein Waisenkind werden. Es ist doch unsere Pflicht, so jemanden zu beschützen.'"
Wenn von einem Absatz zum anderen Zeitebenen und Blickwinkel wechseln, Monologe und Szenen, sorgt Widmer mit unterschiedlichen Stimmfarben dafür, dass die Hörer nicht die Orientierung verlieren. Der Schriftsteller in ihm spürt dem fein gesponnenen Gewebe zwischen Magie und Realismus nach. Genau wie Rulfo selbst macht er aus dieser Parabel ein zeitlos gültiges, hochsinnliches Lehrstück darüber, dass alle Macht endlich ist.
"Er schlug hart auf die Erde auf und brach auseinander wie ein Haufen Steine."
Besprochen von Edelgard Abenstein
Juan Rulfo: Pedro Páramo
Gelesen von Urs Widmer, übersetzt von Dagmar Ploetz
Christoph Merian Verlag, Basel 2009
4 CDs, 29,90 Euro
Was ergreifend wie eine Familiensaga beginnt, wird für den jungen Juan Preciado, der auszieht, um seinen Vater zu suchen, zu einer schauerlichen Geisterfahrt. Hoffnungsfroh und voll der schönsten Erwartungen reist er in den Ort seiner Herkunft, der ihm als kleines Paradies geschildert wurde. Doch was er vorfindet, ist eine gottverlassene Einöde voller Ruinen, durch die ein giftiger Wind weht. Eine gespenstische Stille liegt über dem Dorf, dazwischen wispert, murmelt, raunt es. Die wenigen Leute, die er trifft, benehmen sich höchst sonderbar - und Pedro Páramo, sein Vater, sei seit langem tot, sagen sie.
"Dieses Dorf ist voller Echos. Es ist so, als seien sie in den Mauern oder unter den Steinen eingesperrt. Wenn du gehst, spürst du, dass sie dir auf den Hacken sind, hörst es knirschen, Gelächter, schon recht altes Gelächter, als wäre es müde vom Lachen, und Stimmen, die vom vielen Gebrauch abgenutzt sind. … An windigen Tagen siehst du, wie der Wind Blätter herumwirbelt, obwohl, wie du siehst, es gar keine Bäume gibt."
Juan hört einem Chor längst entrückter Stimmen zu, die ihm ihr Leid klagen. Sie berichten, wie sie zu Opfern wurden, von Rachefeldzügen, von Vergewaltigungen und Morden. Denn Comala ist ein Dorf von Untoten, ein verdammter Ort, geradewegs am Eingang zur Hölle, an dem die Zeit still zu stehen scheint. Schuld daran ist Pedro Páramo, ein selbstherrlicher Großgrundbesitzer, der skrupellos seinen Reichtum vermehrte, ein Frauenschänder und Tyrann, der alles und alle seiner Macht unterwarf. Er herrschte mit grausamer Brutalität ebenso wie mit tückischer Scheinheiligkeit.
"Er stellte fest, dass Pedro wie zu einem Ebenbürtigen mit ihm sprach. So was! Er folgte ihm mit großen Schritten und schlug sich dabei mit der Peitsche gegen die Beine. Bald wird er wissen, mit wem er es zu tun hat. … Pedro Pàramo machte es sich auf der Krippe bequem und wartete ab. 'Warum setzt du dich nicht?'- 'Ich stehe lieber, Pedro.' - 'Wie du willst. Vergiss mir aber nicht den Don.'"
Losgelöst von aller Chronologie erschafft der Roman ein vielstimmiges Vexierspiel aus Anekdoten und Gerüchten, Erinnerungen und Naturbildern. Doch nie wirkt er blutleer oder stilistisch überambitioniert. Er bleibt immer archaisch-einfach und leicht. Dass dieser Eindruck sich beim Hören unmittelbar überträgt, ist Urs Widmers engagiertem Vortrag zu verdanken. Der vielfach ausgezeichnete Schweizer Schriftsteller ist kein professioneller Vorleser, was in diesem Fall kein Nachteil ist. Im Gegenteil. Der gutturale Tonfall mit seiner leicht eidgenössischen Sprachmelodie erdet die vielen Stimmen aus dem Gespensterreich.
Wenn sich die Toten unterhalten, klingt es bei ihm, als wären sie am Leben, genauso verletzlich, skrupellos, sentimental oder hinterhältig, wie Menschen sind. Was besonders unter die Haut geht, ist, wie er Rulfos literarische Finesse umsetzt, die Grausamkeit zwischen den Worten zu inszenieren. Weil stets nur angedeutet, gewinnt sie nie handfeste Konturen und überlässt der Phantasie die Hauptarbeit. Ein narrativer Trick, der Don Pedros totalitäre Machtausübung so in ihrer ganzen Dimension spürbar macht.
"'Wusstest du, Fulgor, dass sie die schönste Frau ist, die je auf Erden gelebt hat? ... Jetzt will ich sie nicht noch einmal verlieren. Verstehst du mich, Fulgor? Sag ihrem Vater, er soll weiter in seinen Minen arbeiten. Und dort ... in diesem Gebiet, wo nie einer hinkommt, wird es wohl ein leichtes sein, den Alten verschwinden zu lassen. Meinst du nicht?' - 'Kann sein.' - 'Es soll sein. Sie muss ein Waisenkind werden. Es ist doch unsere Pflicht, so jemanden zu beschützen.'"
Wenn von einem Absatz zum anderen Zeitebenen und Blickwinkel wechseln, Monologe und Szenen, sorgt Widmer mit unterschiedlichen Stimmfarben dafür, dass die Hörer nicht die Orientierung verlieren. Der Schriftsteller in ihm spürt dem fein gesponnenen Gewebe zwischen Magie und Realismus nach. Genau wie Rulfo selbst macht er aus dieser Parabel ein zeitlos gültiges, hochsinnliches Lehrstück darüber, dass alle Macht endlich ist.
"Er schlug hart auf die Erde auf und brach auseinander wie ein Haufen Steine."
Besprochen von Edelgard Abenstein
Juan Rulfo: Pedro Páramo
Gelesen von Urs Widmer, übersetzt von Dagmar Ploetz
Christoph Merian Verlag, Basel 2009
4 CDs, 29,90 Euro