Auf Glückssuche in der Wüste
Die gerade mal 28-jährige Claire Vaye Watkins spielt in allen zehn Stories ihres Debütbands "Geister, Cowboys. Stories" mit den Mythen des amerikanischen Westens. Auf eine derart vielgestaltete Weise, dass man nur staunen kann.
Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, denkt sich ein italienischer Student der Ingenieurswissenschaften, während er in Las Vegas festsitzt, dann könnten sie jetzt schon zuhause sein, von der unendlichen Weite der Landschaft schwärmen, von den Drogen, den Frauen. Doch es lief nicht nach Plan. Abenteuerlustig sind er und sein Freund Renzo einfach in die Wüste gelaufen, mit einer einzigen Flasche Wasser. Renzo spottete noch über den Pfad, dem sie folgten, weil ihm die Wüstenlandschaft nicht "authentisch" genug war. Dann war er verschwunden. Seit Tagen wird er per Hubschrauber gesucht. Die Einheimischen wissen längst, dass es keine Rettung mehr gibt.
Claire Vaye Watkins spielt in allen zehn Stories ihres Debütbands mit den Mythen des amerikanischen Westens, auf eine derart vielgestaltige Weise, dass man nur staunen kann. So reich an Themen, Bildern und Motiven, so reich an Tonlagen, Perspektiven und erzählerischen Finten kommt selten ein Debüt daher, noch dazu eines, dessen Autorin gerade mal achtundzwanzig ist.
Allerdings hat Claire Vaye Watkins, die 1984 im Death Valley geboren wurde und in Nevada aufwuchs, eine Biografie, die sie womöglich darin geschult hat, wie man erzählt und was man von sich preisgibt. Sie ist die Tochter von Paul Watkins, einst die rechte Hand von Charles Manson, dem Führer der rassistischen Hippie-Sekte, die Sharon Tate und vier weitere Menschen ermordete.
Ihr Vater, der an Krebs starb, als sie sechs war, hatte mit den Morden nichts zu tun und sagte als Zeuge gegen Manson aus. Doch die Hypothek, die sie gleich in der ersten Geschichte abträgt, wiegt schwer. Sie gibt diesem Band sein Gewicht, auch dort, wo er vom Ephemeren handelt, von der Sehnsucht nach Reichtum und Ruhm, der Suche nach Gold und Silber, dem Wunsch nach Erlösung, der Hoffnung auf Liebe oder vom Himmel über der Wüste, dessen Farbenspiel er ebenso evoziert, wie er es als Folge von Staub und Luftverschmutzung entzaubert.
"Geister, Cowboys" - wie der Band nach der ersten Geschichte in der vorzüglichen Übersetzung von Dirk van Gunsteren heißt – fängt mit großem Geschick gebrochene Biografien und Atmosphären ein. Keine Geschichte verläuft plan. Die Handlungsfäden sind oft erstaunlich verknotet. Häufig tauchen zwei Schwestern auf, die sich wechselseitig stützen, unfähige Mütter, ungewollte Schwangerschaften oder Freundinnen, die das Kleinstadt-Leben so sehr nach Abwechslung gieren lässt, dass sie zu allem bereit sind.
Ob sie Liebeskummer wie eine posttraumatische Belastungsstörung beschreibt oder einfach nur die Garage eines Vorstadthauses als gähnendes "Maul": Claire Vaye Watkins findet starke Bilder, ohne je prätentiös zu sein. Sie kann lakonisch eröffnen und sofort nachdenklich werden, sie kann in der Gegenwart beginnen und im nächsten Abschnitt ins 19. Jahrhundert springen. Bis auf die längste Geschichte, die vom kalifornischen Goldrausch erzählt, spielen alle Geschichten in Nevada. Im Original heißt der Band wie der Spitzname des im Bürgerkrieg gegründeten Staats: "Battleborn".
Besprochen von Meike Feßmann
Claire Vaye Watkins: Geister, Cowboys. Stories
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Ullstein Verlag, Berlin 2012
304 Seiten, 19,99 Euro
Claire Vaye Watkins spielt in allen zehn Stories ihres Debütbands mit den Mythen des amerikanischen Westens, auf eine derart vielgestaltige Weise, dass man nur staunen kann. So reich an Themen, Bildern und Motiven, so reich an Tonlagen, Perspektiven und erzählerischen Finten kommt selten ein Debüt daher, noch dazu eines, dessen Autorin gerade mal achtundzwanzig ist.
Allerdings hat Claire Vaye Watkins, die 1984 im Death Valley geboren wurde und in Nevada aufwuchs, eine Biografie, die sie womöglich darin geschult hat, wie man erzählt und was man von sich preisgibt. Sie ist die Tochter von Paul Watkins, einst die rechte Hand von Charles Manson, dem Führer der rassistischen Hippie-Sekte, die Sharon Tate und vier weitere Menschen ermordete.
Ihr Vater, der an Krebs starb, als sie sechs war, hatte mit den Morden nichts zu tun und sagte als Zeuge gegen Manson aus. Doch die Hypothek, die sie gleich in der ersten Geschichte abträgt, wiegt schwer. Sie gibt diesem Band sein Gewicht, auch dort, wo er vom Ephemeren handelt, von der Sehnsucht nach Reichtum und Ruhm, der Suche nach Gold und Silber, dem Wunsch nach Erlösung, der Hoffnung auf Liebe oder vom Himmel über der Wüste, dessen Farbenspiel er ebenso evoziert, wie er es als Folge von Staub und Luftverschmutzung entzaubert.
"Geister, Cowboys" - wie der Band nach der ersten Geschichte in der vorzüglichen Übersetzung von Dirk van Gunsteren heißt – fängt mit großem Geschick gebrochene Biografien und Atmosphären ein. Keine Geschichte verläuft plan. Die Handlungsfäden sind oft erstaunlich verknotet. Häufig tauchen zwei Schwestern auf, die sich wechselseitig stützen, unfähige Mütter, ungewollte Schwangerschaften oder Freundinnen, die das Kleinstadt-Leben so sehr nach Abwechslung gieren lässt, dass sie zu allem bereit sind.
Ob sie Liebeskummer wie eine posttraumatische Belastungsstörung beschreibt oder einfach nur die Garage eines Vorstadthauses als gähnendes "Maul": Claire Vaye Watkins findet starke Bilder, ohne je prätentiös zu sein. Sie kann lakonisch eröffnen und sofort nachdenklich werden, sie kann in der Gegenwart beginnen und im nächsten Abschnitt ins 19. Jahrhundert springen. Bis auf die längste Geschichte, die vom kalifornischen Goldrausch erzählt, spielen alle Geschichten in Nevada. Im Original heißt der Band wie der Spitzname des im Bürgerkrieg gegründeten Staats: "Battleborn".
Besprochen von Meike Feßmann
Claire Vaye Watkins: Geister, Cowboys. Stories
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Ullstein Verlag, Berlin 2012
304 Seiten, 19,99 Euro