Auf in den Kongo

Von Werner Sonne |
Wer heute noch einmal in Joseph Conrads Roman "Herz der Finsternis" blättert, glaubt viele Parallelen zur Gegenwart zu finden. Ein dunkles Land wird da beschrieben, voller Wildnis, Grauen, Undurchschaubarkeit, ein Land mit brutaler Ausbeutung seiner Menschen, voller Gewalt und Tod.
Dieser Roman beschreibt das Jahr 1899, aber im Kongo hat sich in dieser Hinsicht wenig verändert. Über 3,5 Millionen Tote, das ist die Bilanz allein der letzten Jahre, und noch immer geht es um dieselben Motive, um die Rohstoffe, und - damit verbunden - um die nackte Macht. Der Kongo, ein Spielball vieler Interessen, der auch rund 45 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit nicht zur Ruhe kommt.

Der Wehrmachtsoffizier Siegfried Müller, genannt Kongo-Müller, hat Anfang der sechziger Jahre traurige Berühmtheit erlangt, als er an der Spitze einer Gruppe europäischer Söldner mit unvorstellbarer Grausamkeit dabei half, die Anhänger der gewählten neuen Regierung niederzumetzeln und einem schwarzen Diktator den Weg zu bereiten. Jetzt soll wieder eine Gruppe europäischer Soldaten, darunter auch 500 Deutsche, in den Kongo, diesmal jedoch sozusagen auf der Seite der Guten.

Und wer wollte da eigentlich noch Nein sagen? Geht es doch um die Absicherung von demokratischen Wahlen, um die Schaffung einer friedlichen Lage, in der das gequälte Volk endlich sein eigenes Schicksal bestimmen soll. So weit, so gut, möchte man sagen, und gute Reise für unsere Soldaten, und eine glückliche, baldige Rückkehr.

Und dennoch tut sich der Bundestag, der diesen Auslandseinsatz der Bundeswehr absegnen muss, ganz außergewöhnlich schwer, dieser Kongo-Mission zuzustimmen. Die Kanzlerin hat sich schon festgelegt, sie will den übrigen Europäern zeigen, dass Deutschland sich nicht drückt, wenn die EU nach deutschen Soldaten ruft und deutsche Verantwortung für den Rest der Welt einfordert. Aber viele Abgeordnete der Großen Koalition würden ihr am liebsten die Gefolgschaft verweigern.

Warum eigentlich? Gibt es doch längst über 6000 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz, auf dem Balkan, in Afghanistan, in Usbekistan, und ja, auch in Afrika, in Dschibuti. Hier allerdings im Kampf gegen den internationalen Terror, nicht wegen Afrika selbst. Aber warum nun ausgerechnet im Kongo nicht?

Das Unbehagen im Parlament ist ebenso tief wie auch teilweise diffus. Ganz gewiss geht es dabei auch um die Kernfrage: Welche Rolle will Deutschland eigentlich künftig übernehmen? Sind wir auf dem Weg, der Weltpolizist zu werden? Müssen wir eigentlich überall dabei sein, wenn es irgendwo eine Krise gibt?

Deutsche Interessen werden auch am Hindukusch, also in Afghanistan, verteidigt, hat uns Peter Struck versichert. Da es hier um den Kampf gegen den Terror ging, mag das noch hingehen. Wo aber sind die deutschen Interessen im Kongo? Neben allgemeinen Bekenntnissen zu Demokratie und Krisenprävention hat die Bundesregierung wenig an Erklärung anzubieten. Folgt man diesen Kriterien, dann stellt sich ganz schnell die Frage: Was ist mit den Dutzenden anderen Krisengebieten dieser Welt? Was mit dem Sudan, was mit Simbabwe, was mit Nepal, was mit Ost-Timor? Wo anfangen, wo aufhören?

Überheben wir uns nicht, überstrapazieren wir unsere Bundeswehr nicht, wenn wir uns auf die Kongo-Mission einlassen? Laden wir die Vereinten Nationen nicht geradezu ein, bei der nächsten Krise gleich wieder nach deutschen Soldaten zu rufen? Viele Fragezeichen, und noch zu wenig Antworten aus der Politik.

Her muss endlich eine gründlichere Debatte über die Frage, was wirklich deutsche Interessen sind - und wann wir es uns leisten sollen, das Leben unserer jungen Soldaten aufs Spiel zu setzen. Sie als erste haben einen Anspruch darauf, erklärt zu bekommen, warum sie eigentlich tausende Kilometer entfernt auf einem fremden Kontinent ihren Kopf hinhalten sollen.

Aber auch wir übrigen Bürger, nicht zuletzt auch wir Steuerzahler, haben ein Anrecht darauf, dass unser Parlament sich endlich einmal ausführlich mit diesen wichtigen Fragen beschäftigt. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass wir uns plötzlich an immer mehr Orten dieser Welt mit unseren Soldaten wieder finden, dass wir irgendwo hineinschliddern und keinen Ausweg mehr finden.

Schon jetzt ist klar, dass die Bundeswehr noch auf viele Jahre auf dem Balkan bleibt, schon jetzt ist offensichtlich, dass kein Ende des Afghanistan-Einsatzes in Sicht ist. Nicht zuletzt diese Erfahrungen sind es, die die Skepsis nähren, ob die Kongo-Mission wirklich nach spätestens vier Monaten zu Ende ist. Es ist deshalb gut, dass der Bundestag sich schwer tut mit seiner Zustimmung. Wenn daraus die große nationale Debatte über all die offenen Fragen entsteht, wenn das Parlament also klarstellt, was beim Einsatz unseres Militärs wirklich deutsche Interessen sind, dann ist das ein wichtiger Schritt in die berühmte richtige Richtung.


Werner Sonne, Journalist, 1947 in Riedenburg geboren, arbeitete zunächst beim Kölner Stadt-Anzeiger, war dann Korrespondent für United Press International in Bonn und ging 1968 zum Westdeutschen Rundfunk. Er absolvierte Studienaufenthalte am Salzburg Seminar for American Studies sowie an der Harvard University. Unter anderem war er Hörfunk-Korrespondent in den ARD-Studios Bonn und Washington. 1981 wechselte Werner Sonne zum Fernsehen, war unter anderem ARD-Studioleiter in Warschau, Korrespondent in Bonn und Washington und im ARD-Hauptstadtstudio Berlin sowie Moderator der Sendung "Schwerpunkt" im ARD/ZDF-Informationskanal Phoenix. Derzeit arbeitet er als Berliner Korrespondent für das ARD-Morgenmagazin. Werner Sonne ist Co-Autor der Romane: "Es war einmal in Deutschland' (1998), "Allahs Rache" (1999), "Quotenspiel" (1999) und "Tödliche Ehre'’ (2001).