Gerhard Staguhn, Jahrgang 1952, studierte Germanistik in München und Religionswissenschaft in Berlin. Von 1986 bis 1993 war er ständiger Mitarbeiter des "Frankfurter Allgemeinen Magazins". Seit 1990 schreibt er Sachbücher, darunter auch solche für jugendliche Leser zu Themen der Naturwissenschaft und der Religion. Seine Bücher wurden in elf Sprachen übersetzt. Der Autor ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Berlin.
Tierliebe ist heimliche Selbstliebe
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Was wir an unseren Haustieren lieben, sind vor allem ihre menschlichen Wesenszüge: Wir nutzen sie als Abbild unserer selbst, meint der Autor Gerhard Staguhn. Das Wohl des Tieres gerate dabei aus dem Blick.
Das Tier ist ein Wunder und Rätsel. Tiere beeindrucken uns, sie machen uns staunen, sie ziehen uns an oder stoßen uns ab. Doch niemals lassen sie uns kalt. Und niemals erfahren und begreifen wir sie in ihrem ganzen Wesen, selbst dann nicht, wenn wir über viele Jahre mit ihnen zusammenleben.
Menschen lieben nur fünf Prozent aller Tierarten
Am liebsten teilt das "Säugetier Mensch" sein Leben mit Säugetieren, erst recht, wenn sie die gängigen Attribute der Liebenswürdigkeit auf sich vereinen: Wenn sie harmlos, niedlich, zutraulich, anhänglich sind. Was die Größe der von uns geliebten Tiere betrifft, so kommen etwa 95 Prozent der Tierarten als Objekte der Tierliebe erst gar nicht in Betracht, nämlich all jene, die kleiner sind als ein Hühnerei. Zu weit sind sie vom Menschlichen entfernt. Sie sind einem fremd. Und das Fremde macht uns mehr Angst, als dass es uns anzieht.
An den Tieren liebt der Mensch das Menschliche. Dieses versucht er, durch Vermenschlichung der Tiere noch zu verstärken, bis hin zur Verletzung der Würde des Tiers. Aber viel mehr noch als ein irgendwie Menschliches liebt der Mensch in den Tieren sich selbst. Tierliebe ist eine heimliche Selbstliebe. Die Tiere dienen uns als narzisstischer Spiegel. Und zum Narzissmus tritt klammheimlich der Egoismus hinzu: Man schafft sich ein Tier an, um es den eigenen, meist seelischen Bedürfnissen nutzbar zu machen. Mit einem Tier an der Seite geht es uns besser.
Tiere dienen als narzisstischer Spiegel
Tierhaltung ist, wie schon der Name verrät, ein Festhalten des Tiers. Das gehaltene und dabei festgehaltene Tier wird in zumeist liebender Absicht in Lebensverhältnisse hineingezwungen, die seinem angeborenen Verhalten nur bedingt entsprechen. Doch diese nüchterne Erkenntnis wird von Tierhaltern geflissentlich verdrängt, zumal wenn das Tier im Gefängnis einer großstädtischen Wohnung gehalten wird. Aber was wird nicht alles aus purer Liebe verdrängt!
Um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts spricht gegen die Liebe zum Tier. Selbst eine Liebe, die blind macht, ist immer noch eine Liebe. Auch sie hat ihren Wert. Dieser besteht zum Beispiel im sozialen Wert der Einsamkeitsmilderung oder der Strukturierung eines entgleisten Lebens, das den Zugang zu anderen Menschen nicht mehr findet, vielleicht auch gar nicht mehr sucht. Und dieser soziale Wert der Tierliebe bleibt auch dann noch erhalten, wenn er auf Kosten des Tieres geht. Die Zahl der Haustiere, die von ihren Besitzern aus lauter Liebe langsam zu Tode gehätschelt und zu Tode gefüttert werden – es sind Legion.
Tiere lieben und hassen nicht
Was macht eigentlich die Tiere als Liebesobjekte so attraktiv? Nun, sie enttäuschen uns nicht, sie sind immer für uns da. Und weil dem so ist, neigt der Mensch dazu, seinem innig geliebten Tier eine nicht minder innige Gegenliebe unterzujubeln: Ich liebe mein Tier, also liebt mein Tier auch mich. Diesem Trugschluss gibt sich der Tierliebende bereitwillig hin, weil er insgeheim weiß, dass jede Liebe, die keine Gegenliebe erzeugt, ein Unglück ist. Aber Tiere lieben nicht. Sie sind auch zu Verrat und Hass nicht fähig. Tiere, zumal Hunde, können sich zweifellos mit Haut und Haar an einen Menschen binden, doch diese starke Bindung ist noch längst keine Liebe.
Dies mit nüchternem Blick so zu sehen, ist wahrscheinlich der beste Weg, dem geliebten Tier, diesem Wunder und Rätsel, ein Stück weit gerecht zu werden. Diese Gerechtigkeit bestünde als Erstes darin, dem Tier keine menschliche Seele und erst recht keine menschliche Gegenliebe unterschieben zu wollen. "Die Tiere", so meint der Schriftsteller Elias Canetti, "wollen die Seele des Menschen nicht, sie verabscheuen sie, sie ist ihnen zu gedunsen und zu hässlich. Sie ziehen ihre anmutige Armut vor" – und, so könnte man hinzufügen, den Reichtum ihrer eigenen Seele.