Auf literarischer Spurensuche
Nach der Auszeichnung von Friedrich Christian Delius mit dem Büchnerpreis hat der Wallstein Verlag die Dissertation des Schriftstellers neu aufgelegt. Darin geht er literarischen Motiven großer Autoren auf die Spur - und brandmarkt die Ideologie hinter der Poetik.
Der Büchnerpreis wurde in diesem Jahr an Friedrich Christian Delius verliehen, und das hat einige neue interessante Erkenntnisse gebracht. Zu den schönsten davon gehört, dass im Zuge dieser renommierten Auszeichnung der Göttinger Wallstein Verlag, auf germanistische Trouvaillen spezialisiert, nun auch die Dissertation von Delius ausgegraben hat. "Der Held und sein Wetter" erschien zuerst 1971, in gesellschaftspolitisch turbulenter Zeit, in der Reihe "Literatur als Kunst" im Hanser Verlag. Man lasse sich das einmal auf der Zunge zergehen: eine Reihe, die so heißt, in einem großen Publikumsverlag!
Herausgeber dieser Reihe war Walter Höllerer, der Doktorvater von Delius, und Höllerer dürfte es auch gewesen sein, der seinen Schüler zu diesem Thema inspiriert hat. Denn der damals alles überragende Literaturmanager hatte sich in den 50er-Jahren über "Lachen und Weinen" im 19. Jahrhundert habilitiert, und an die von Höllerer zitierten Autoren schließt sich Delius durchaus an - vor allem in der Vorliebe für Jean Paul, den der junge Radikale am Schluss seines Buches als einziges leuchtendes Gegenbeispiel innerhalb der deutschen Misere charakterisiert.
Das Thema klingt eher feuilletonistisch und impressionistisch, doch Delius verband damit Ende der 60er-Jahre ein hartes ideologiekritisches Konzept. Er überführt sie "alter Tricks", mit denen "die Romane ihre Leser einkochen", wie es Wolf Haas in seinem Vorwort zusammenfasst. Wenn die Tragödie unausweichlich wird, regnet es im deutschen poetologischen Realismus. Und wenn die Bürger zukunftsgewiss in den Tag hineinleben, lacht ihnen die Sonne Homers. Diese Eindeutigkeit ist es, die Delius als literarische wie auch politische Ideologie brandmarkt.
An den Beispielen der Bestsellerautoren Otto Ludwig und Wilhelm Raabe zeigt er das Programm dieser falschen Eindeutigkeit auf, bei Fontanes Roman "Unwiederbringlich" dringt er zu der Möglichkeit melancholischer Kompromisse vor, bis er in einem Ausblick mit Robert Musil "die Zersetzung der Emotionen durch Reflexionen" als längst überfällige Konsequenz darstellt und in dem bewunderten Jean Paul ein ästhetisches Programm entdeckt, das mit den Erwartungshaltungen des Lesers furios spielt. Der junge Delius beweist hier ein für eine wissenschaftliche Arbeit auffälliges, sehr sensibles literarisches Gespür.
Das Ganze wurde am äußerst bewegten Ende der 60er-Jahre geschrieben, und das merkt man vor allem der Einleitung an. Sie ist ein eindrucksvolles historisches Dokument. Delius zeigt sich etwas zerknirscht, dass er sich mit diesem eigentlich doch eher irrelevanten Thema aufgehalten hat und übt harsche Selbstkritik: Er kreidet sich selbst "methodische Mängel" an und beklagt, dass er noch nicht zu einer "materialistischen Literaturkritik" vorgedrungen sei. Gemach, gemach: Es ist ein sehr detailreiches, intelligentes Buch und eine wunderbare Zeitmaschine - zum einen führt sie ins merkwürdige deutsche Biedermeier zurück, zum anderen aber in lustige revolutionäre Aufbruchzeiten.
Besprochen von Helmut Böttiger
F.C. Delius: Der Held und sein Wetter. Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bürgerlichen Realismus
Mit einem Vorwort von Wolf Haas
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
221 Seiten, 24,90 Euro
Herausgeber dieser Reihe war Walter Höllerer, der Doktorvater von Delius, und Höllerer dürfte es auch gewesen sein, der seinen Schüler zu diesem Thema inspiriert hat. Denn der damals alles überragende Literaturmanager hatte sich in den 50er-Jahren über "Lachen und Weinen" im 19. Jahrhundert habilitiert, und an die von Höllerer zitierten Autoren schließt sich Delius durchaus an - vor allem in der Vorliebe für Jean Paul, den der junge Radikale am Schluss seines Buches als einziges leuchtendes Gegenbeispiel innerhalb der deutschen Misere charakterisiert.
Das Thema klingt eher feuilletonistisch und impressionistisch, doch Delius verband damit Ende der 60er-Jahre ein hartes ideologiekritisches Konzept. Er überführt sie "alter Tricks", mit denen "die Romane ihre Leser einkochen", wie es Wolf Haas in seinem Vorwort zusammenfasst. Wenn die Tragödie unausweichlich wird, regnet es im deutschen poetologischen Realismus. Und wenn die Bürger zukunftsgewiss in den Tag hineinleben, lacht ihnen die Sonne Homers. Diese Eindeutigkeit ist es, die Delius als literarische wie auch politische Ideologie brandmarkt.
An den Beispielen der Bestsellerautoren Otto Ludwig und Wilhelm Raabe zeigt er das Programm dieser falschen Eindeutigkeit auf, bei Fontanes Roman "Unwiederbringlich" dringt er zu der Möglichkeit melancholischer Kompromisse vor, bis er in einem Ausblick mit Robert Musil "die Zersetzung der Emotionen durch Reflexionen" als längst überfällige Konsequenz darstellt und in dem bewunderten Jean Paul ein ästhetisches Programm entdeckt, das mit den Erwartungshaltungen des Lesers furios spielt. Der junge Delius beweist hier ein für eine wissenschaftliche Arbeit auffälliges, sehr sensibles literarisches Gespür.
Das Ganze wurde am äußerst bewegten Ende der 60er-Jahre geschrieben, und das merkt man vor allem der Einleitung an. Sie ist ein eindrucksvolles historisches Dokument. Delius zeigt sich etwas zerknirscht, dass er sich mit diesem eigentlich doch eher irrelevanten Thema aufgehalten hat und übt harsche Selbstkritik: Er kreidet sich selbst "methodische Mängel" an und beklagt, dass er noch nicht zu einer "materialistischen Literaturkritik" vorgedrungen sei. Gemach, gemach: Es ist ein sehr detailreiches, intelligentes Buch und eine wunderbare Zeitmaschine - zum einen führt sie ins merkwürdige deutsche Biedermeier zurück, zum anderen aber in lustige revolutionäre Aufbruchzeiten.
Besprochen von Helmut Böttiger
F.C. Delius: Der Held und sein Wetter. Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bürgerlichen Realismus
Mit einem Vorwort von Wolf Haas
Wallstein Verlag, Göttingen 2011
221 Seiten, 24,90 Euro