Auf Sand gebaut

Von Dirk Asendorpf |
Statt billiger afrikanischer Sonnenenergie lieferte das Wüstenstrom-Projekt bisher vor allem Grund für Streitereien. Investoren zogen sich zurück, Personal wurde ausgetauscht, Namen geändert. Die Verantwortlichen zeigen sich zweckoptimistisch und feiern den Baubeginn des ersten Kraftwerks.
Für den ersten Spatenstich ist Mohammed Ben Al-Hassan, Marokkos junger König, im Mai persönlich nach Ouarzazate gekommen, das Staatsfernsehen berichtet ausführlich. Etwas außerhalb der Stadt, auf einer öden Hochebene des Atlasgebirges, soll das weltgrößte Solarkraftwerk entstehen. Gut 600 Millionen Euro stehen für den ersten Abschnitt zur Verfügung, finanziert vor allem von der Weltbank und anderen Entwicklungsbanken. Beginnt damit jetzt die Verwirklichung des großen Desertec-Konzepts, das der Club of Rome vor genau zehn Jahren vorgestellt hat? Thiemo Gropp leitet die zugehörige, 2009 gegründete Desertec Stiftung.

"Ouarzazate ist letztendlich ein erstes indirektes Ergebnis unserer Arbeit. In 2008 fanden erste Gespräche mit dem marokkanischen Energieministerium, mit der Weltbank und etlichen anderen statt, und über fünf Jahre wurden dann Solarpläne entwickelt, es wurden die politischen Rahmenbedingungen geschaffen, es wurde 'ne Finanzierung aufgestellt, und jetzt, fünf Jahre später, ist das erste Kraftwerk im Bau."

Auch die ebenfalls 2009 mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit gegründete Desertec Industrie Initiative (Dii) feiert den Baubeginn in Marokko als Erfolg. Den hat sie auch bitter nötig, denn in letzter Zeit hatte der Zusammenschluss von Großunternehmen wie Eon, RWE, ABB und Deutsche Bank vor allem mit internem Streit von sich Reden gemacht. Zuerst verließen mit Bosch und Siemens zwei wichtige Gesellschafter die Dii, im Juni stieg die Desertec Stiftung aus. Anschließend wurde Co-Geschäftsführerin Aglaia Wieland gefeuert. Der Niederländer Paul van Son leitet die Dii nun alleine. Den Namen Desertec verwendet er nicht mehr.

"Ursprünglich stand das im Vordergrund, Desertec als Idee, als Vision. Und dann hat die Desertec-Stiftung gesagt, der Name gehört uns. Und dann haben wir gesagt: 'Okay, jetzt heißen wir Dii, das ist so ähnlich wie BMW."

Derzeit braucht Nordafrika den Strom, nicht Europa
Der Vergleich mit dem Hersteller schwerer Limousinen überrascht. War die Industrie-Initiative doch angetreten, den Ausstoß von Treibhausgas deutlich zu reduzieren. Europa sollte dafür mit sehr viel erneuerbarer Solarenergie aus Nordafrika versorgt werden.

"Heute wissen wir es natürlich besser. Wir sehen jetzt gerade in Europa ein extremes Überangebot an Strom und in Nordafrika, gerade in den Maghreb-Ländern, einen Engpass."

Deshalb fließt derzeit sehr viel Strom aus Spanien nach Marokko. Und weil dort die Bevölkerung schneller wächst als die Zahl neuer Kraftwerke, wird das vorerst auch so bleiben. Der Export nach Europa steht nicht mehr im Mittelpunkt der Strategie, die Paul van Son verfolgt. Und Solarenergie nimmt darin auch keine zentrale Rolle mehr ein.

"Uns geht es darum, den Energiemix in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten insgesamt zu verbessern. Und da sind die großen Quellen erst mal Wind, übrigens an erster Stelle, wo man sieht, dass in Nordafrika langfristig 60 Prozent der Energieversorgung aus Wind kommen wird, die übrigen 40 Prozent aufgeteilt auf Photovoltaik und Solarthermie."

Die Technik zur Nutzung der Windkraft ist ausgereifter und billiger als die für Desertec angepriesene Solarthermie. Auch das überrascht, denn die Sonne liefert in der Sahararegion eigentlich fast unbegrenzt kostenlose Energie. Rund 4000 Stunden im Jahr, zweieinhalb mal länger als in Deutschland, flirrt sie über den menschenleeren Ebenen. Theoretisch würde dort schon die Fläche Hessens ausreichen, um so viel Wüstenstrom zu erzeugen wie ganz Europa verbraucht. Doch die praktische Umsetzung hat viele Tücken.

Wie ein überdimensionales Spiegelkabinett glänzt die weiträumig eingezäunte Plataforma Solar, 35 Kilometer nördlich der andalusischen Hafenstadt Almería aus dem Desierto de Tabernas, Europas einziger Wüste. Seit 30 Jahren arbeiten spanische und deutsche Wissenschaftler hier intensiv zusammen, Christoph Richter leitet die deutsche Forschergruppe. Sie gehört zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in dem die Ursprungsidee für Desertec entstand.

"Es ist ein wesentlicher Teil der Arbeiten hier, dass man Technologien, die vom Prinzip her durchaus schon lange bekannt sind, so weiter entwickelt, dass sie eben noch zuverlässiger werden, noch wesentlich kostengünstiger werden und einfach auch noch höherer Effizienzen erzielen. Es ist ein sehr großer Anteil ingenieurstechnischer Anwendungsarbeit, Verbesserungen eher im Detail, wo es mehr um das Lösen von technischen Fragestellungen geht und nicht so sehr um Grundlagenforschung."

Eine Energiequelle, zwei Systeme
Zwei Systeme für die Umwandlung von Sonnenstrahlung in Elektrizität werden auf der Plataforma Solar direkt nebeneinander erprobt. Beim sogenannten Parabolrinnenkraftwerk konzentrieren endlose Reihen gebogener Spiegel die Strahlung auf eine gläserne Rohrleitung, in der Flüssigkeit erhitzt und ins Kraftwerk geleitet wird. Mit dieser Technik wurden bereits Mitte der 80er Jahre erste Kraftwerke in den USA gebaut. Auch in Andalusien ist sie an einem guten Dutzend Standorten im Einsatz.

Weit überragt wird das Parabolrinnen-Testkraftwerk von einem Solarturm. Dutzende bewegliche Spiegel, die sogenannten Heliostaten, lenken das Sonnenlicht auf eine Quarzglasscheibe an der Turmspitze und erzeugen dahinter Temperaturen von über 1000 Grad. Auch diese Technik ist bereits in ersten kleineren Kraftwerken im Einsatz.

"Es gibt natürlich jetzt praktisch einfach 'nen deutlichen Vorsprung der Parabolrinne, weil es eben entsprechend viel Erfahrung gibt. Und langfristig ist zu erwarten, dass das hohe Potenzial, das in der Turmtechnologie einfach aufgrund der höheren Temperaturen steckt, da auch noch sehr große Entwicklungspotenziale bietet. Ich glaube, die beiden Technologien werden vermutlich nebeneinander existieren über lange Zeit. Ähnlich wie Sie auch Autos mit Diesel oder Benzin fahren. Ich sehe da keine endgültige Entscheidung. Die haben dann ihre unterschiedlichen Stärken und Schwächen an bestimmten Standorten und Einsatzmöglichkeiten."

Auch im marokkanischen Ouarzazate wird zunächst ein Parabolrinnenkraftwerk gebaut, in der nächsten Ausbaustufe soll dann ein Solarturm folgen. Er kommt mit deutlich weniger Kühlwasser aus, ein wichtiger Faktor in der Sahara. Außerdem können die Heliostaten weitgehend aus Standardkomponenten vor Ort hergestellt werden. Parabolrinnen sind dagegen weltweit nur von wenigen Herstellern in der nötigen Qualität erhältlich und entsprechend teuer. Beide Techniken haben gegenüber der in Deutschland weit verbreiteten Photovoltaik den großen Vorteil, dass die erzeugte Hitze relativ kostengünstig in Salz- oder Keramikspeichern zwischengelagert werden kann und so auch an einem Wolkentag und bei Nacht eine zuverlässig steuerbare Stromproduktion ermöglicht. Doch der Preis pro Kilowattstunde ist mit rund 20 Cent noch deutlich zu hoch. Desertec-Stiftungs-Vorstand Thiemo Gropp hofft, dass sich das bald ändern wird.

"Wenn Sie sich die Photovoltaik anschauen, dann sind 70, 80, 90 Milliarden Subventionen in diesen Bereich geflossen und dadurch gab es eine massive Kostendegression und die Schaffung eines Weltmarktes. Deutschland war hier Vorreiter. Bei der Solarthermie ist das nicht passiert. Trotz dieser fehlenden Unterstützung ist die Solarthermie ein ganzes Stück vorangekommen. Es gibt eine Reihe von Projekten, die in toto über die nächsten Jahre drei, vier, fünf Gigawatt aufsummieren werden, aber das ist noch nicht genug. Und in der Tat: Auch die Solarthermie braucht eine gewisse Anschubunterstützung."

Finanzkrise trifft auch die Solarbranche
Die allerdings ist derzeit nicht in Sicht. Im Gegenteil. In der Finanzkrise hat Spanien sogar rückwirkend die Einspeisevergütung für solarthermische Kraftwerke gekürzt. Die Auswirkungen waren bis nach Deutschland zu spüren. Die Stadtwerke München mussten ihren 64-Millionen-Kaufanteil am größten andalusischen Solarkraftwerk Andasol komplett abschreiben. Künftigen Investoren ist das eine deutliche Warnung. Und in Nordafrika sind die politischen Rahmenbedingungen noch weit unsicherer als im EU-Land Spanien. Enrique Martínez Pomar war lange Geschäftsführer des Verbands Erneuerbarer Energieunternehmen in Spanien und leitet jetzt eine Beratungsfirma. Er sieht schwarz für die dreistelligen Milliardeninvestitionen, die für eine Realisierung der Desertec-Idee nötig wären.

"Ein Investor ist ja kein Wohltätigkeitsverein. Und stabile Investitionsbedingungen gibt es nirgendwo in Nordafrika. Kein Wunder, dass bisher nur isolierte Einzelprojekte in Planung sind. Es ist kaum vorstellbar, dass wir uns in Europa mit Stromimporten in eine neue Abhängigkeit von den arabischen Ländern bringen. Heute sind wir beim Öl von ihnen abhängig und das ist ja auch nicht gut."

15 Prozent des gesamten europäischen Strombedarfs will Desertec ab Mitte des Jahrhunderts mit Sonnenenergie aus Nordafrika decken. Doch zu den technischen und wirtschaftlichen Hürden sind in den vergangenen zwei Jahren auch noch die dramatischen politischen Umbrüche der arabischen Revolution gekommen.

"Desertec hat sicherlich darunter zum Teil gelitten kurzfristig. Langfristig, denke ich, kann die Umsetzung der erneuerbaren Pläne davon profitieren. Insofern gibt es ein Für und ein Wider. Aber die arabische Revolution hat sicherlich ihre Berechtigung und dass dann nicht alles völlig reibungslos läuft, das ist zu erwarten und normal."

Dass das erste große Solarkraftwerk Nordafrikas jetzt ausgerechnet in Marokko entsteht, überrascht nicht. Schließlich ist Marokkos König neben Algeriens Präsident Bouteflika der einzige Herrscher, der die Umbrüche des arabischen Frühlings überlebt hat. Und ein gewisser erneuerbarer Anteil in der Stromversorgung, davon ist Marokkos Regierung überzeugt, macht das Land unabhängiger von Öl- und Gasimporten aus den unsicheren Nachbarländern. Davon war auf der Festveranstaltung zum Baubeginn viel, von einem künftigen Solarstromexport nach Europa aber überhaupt keine Rede.

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