Missbrauch im Bistum Würzburg

Stolpersteine bei der Aufarbeitung

09:36 Minuten
St.-Kilian-Dom mit Turm des Rathauses in Würzburg.
Das Bistum Würzburg hat die von der Deutschen Bischofskonferenz geforderten Gremien gegründet - einfach ist der Aufarbeitungsprozess trotzdem nicht. © imago images / Ralph Peters
Von Tobias Krone |
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Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche sind manche Fragen komplexer als ursprünglich angenommen. Exemplarisch dafür steht der Betroffenenbeirat im Bistum Würzburg.
Bernhard Rasche wurde in seiner Jugend missbraucht, in einem katholischen Ordensinternat in Franken. „Ich hatte das Bett direkt an der Tür“, erzählt Rasche.

Der kam einfach eines Abends und griff dann mit der Hand unter die Decke mit eindeutigen Absichten. Ich war zwölf Jahre alt – und habe ihm auf die Finger geklopft. Da hat er sie dann zurückgezogen. Und dann ging er ein Bett weiter und hat diesen Mitschüler von mir wirklich fast jeden Abend missbraucht. Und er war nicht der einzige. Der Orden spricht mittlerweile von mindestens 16 Betroffenen.

Die Vorfälle ereignen sich Anfang der 1970er-Jahre. Bernhard Rasche ist heute 63 Jahre alt. Sein Geld verdient er mit Computertechnik. Die Jugenderlebnisse verdrängte er. 2008 sei er jedoch zusammengebrochen. „Es gab damals ein paar persönliche Dinge, die mich schwer getroffen haben. Wo ich Halt gesucht habe, und keinen gefunden habe, auch in mir selber nicht.“ Nach längerem Nachdenken habe er sich entschieden, den Missbrauch anzuzeigen: „Weil mir klar wurde, dass der Missbrauch etwas mit meinem Zustand zu tun hatte.“
Juristisch ist der Fall längst verjährt. Bernhard Rasche ging an die Öffentlichkeit und konfrontierte den Bischof. Mit der Diözese Würzburg hatte sein Fall genau genommen nichts zu tun, weil der Orden, der das Internat betrieb, unabhängig ist. Dennoch engagierte sich Rasche bis vor einem Jahr in einem Gesprächskreis von Betroffenen mit dem Würzburger Bischof Franz Jung. „Ich hatte schon das Gefühl in dem Gespräch, da ist jemand – der Bischof und der Generalvikar –, die wollen zuhören, die wollen was wissen, die wollen informieren, also in gewisser Weise eine gewisse Transparenz zeigen.“

Kein Kirchenvertreter in der Kommission

Seit die Deutsche Bischofskonferenz von allen 27 deutschen Diözesen eine Aufarbeitungsstruktur fordert, bemüht sich auch Bischof Franz Jung um Aufklärung. Wie deutschlandweit vorgesehen, gibt es in Würzburg einen Betroffenenbeirat – und seit vergangenem Jahr eine unabhängige Aufarbeitungskommission. In diese wiederum entsendet der Betroffenenbeirat zwei Mitglieder. Ferner sitzen Menschen mit psychiatrischen und rechtlichen Fachkenntnissen darin, unter der Leitung der Jura-Professorin Anja Amend-Traut, die selbst keiner Konfession angehört.
Sie verkündete gleich zu Beginn in einem Video-Talk mit dem Bischof auf Instagram, dass sie das einzige kirchliche Mitglied in der Kommission, den Personalchef der Diözese, durch einen Strafrechtler ausgetauscht hatte, obwohl die Deutsche Bischofskonferenz in den Kommissionen einen Kirchenvertreter empfiehlt.
Weiter sagte Amend-Traut in dem Insta-Talk: „Wir als Würzburger Aufarbeitungskommission waren im Hinblick auf diese ursprüngliche Besetzung der Auffassung, dieser Empfehlung nicht nachkommen zu wollen, um eine uneingeschränkte Unabhängigkeit der Kommission sicherstellen zu können. Und an dieser Stelle möchte ich mich bei Ihnen, Herr Dr. Jung, auch nochmal für Ihre Unterstützung in dieser Hinsicht ausdrücklich bedanken.“

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Dieser Schritt macht deutlich, wie ernst es der Professorin ist, unabhängig vom Bischof zu sein. Bei vielen Betroffenen und kritischen Theologinnen und Theologen erntet sie dafür Anerkennung. Nun will ihre Kommission in Würzburg einen ähnlichen Weg gehen wie die Erzbistümer Köln und München-Freising – und ein strafrechtliches Gutachten in Auftrag geben. Der Fall der Diözese Würzburg könnte so als ein positives Beispiel gelten. Erst 14 von 27 Diözesen haben – Stand Mitte Februar – diese Gremien überhaupt gegründet.
Doch trotz der Bemühungen sind nur wenige Betroffene interessiert, an der Aufarbeitungsstruktur mitzuwirken. Von den sechs Frauen und Männern im Betroffenenbeirat Würzburg sind inzwischen nur noch drei übrig – zwei weniger als die vorgegebene Mindestanzahl. Auf die Frage nach dem Warum äußert sich der Betroffenenbeirat auf Anfrage schriftlich. Unter anderen führt er diese Gründe an:
„Gerade Betroffene sexuellen Missbrauchs haben ihre je eigene Lebens- und Leidensgeschichte. Sich in einem Gremium zu engagieren, das sich ausschließlich mit diesem schlimmen Thema befasst, ist für viele Menschen sicher schwierig und oft retraumatisierend. Das ist sicher ein wesentlicher Hinderungsgrund. Viele nehmen der Kirche (auch) ihren Aufklärungswillen nicht ab. Warum sich dann engagieren?“

Klarnamen - ja oder nein?

Aus Sicht von Bernhard Rasche liegt es an mehreren Problemen. Zum einen an der Frage, wie der Bischof den Betroffenenbeirat konstituieren wollte. Zunächst wollte er den schon bestehenden Gesprächskreis einfach in Betroffenenbeirat umbenennen. Doch Bernhard Rasche protestierte. Die Sitze für den Beirat müssten öffentlich ausgeschrieben werden. Nur so könne man Transparenz gewährleisten.
Das war 2020. Der Bischof lenkte ein und schrieb den Betroffenenbeirat öffentlich neu aus. Ein von ihm bestimmtes Gremium aus medizinischen Fachleuten sollte aus Bewerbungen den Betroffenenbeirat wählen. Schließlich fanden sich vor etwa einem Jahr sechs Betroffene zusammen.
Doch wieder gab es Diskussionen. Denn es bestand keine Einigkeit darüber, ob die Betroffenen im Beirat mit Klarnamen auftreten. Bernhard Rasche: „Wir kritisieren zurecht die Intransparenz, die Vertuschung und die Verschwiegenheit. Dann müssen diese Gremien genau das Gegenteil sein. Sie müssen offen sein, transparent, da müssten Klarnamen genannt werden. Und das war nicht möglich. Und damit ist für mich kein Handeln möglich.“

Missgunst und Misstrauen

Berechtigtes Transparenzinteresse kollidierte hier mit dem berechtigten Schutzbedürfnis von Traumatisierten. Doch damit nicht genug. Aus dem Umfeld Betroffener ist zu hören, dass sich die Mitglieder teilweise erbittert gestritten hätten – etwa darüber, wie stark das Gremium mit dem Bistum interne Informationen teilen oder wie viel Mitspracherecht die Betroffenen bei Studien haben sollten. Laut der Würzburger Zeitung Main-Post hätten sich manche nicht mehr beworben, da sie eine „toxische Atmosphäre“ erlebt hätten. Dazu lässt der Betroffenenbeirat schriftlich mitteilen: „Der jetzige Beirat hat kein Interesse, Fragestellungen aus der Vergangenheit zu beantworten.“
Bernhard Rasche und ein anderes Mitglied traten nach der Diskussion um die Klarnamen aus – eine weitere Person wurde jüngst von den anderen Betroffenenbeiräten abgewählt. „Die Art und Weise der Kommunikation seitens der Sprecherin nach innen und außen war von Missgunst und Misstrauen durchzogen, sodass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich war,“ erklärt der Beirat auf Anfrage, das Bistum will sich dazu nicht äußern. Die abgewählte Beirätin gibt gegenüber Deutschlandfunk Kultur einen anderen Grund an: Sie habe sich während ihrer Arbeit zu sehr gegen das Bistum aufgelehnt. Details dieses Konflikts sind nicht öffentlich nachzuvollziehen.

Absurde Situation in der Kommission

Seit ihrer Abwahl treten die restlichen Mitglieder mit ihren Namen öffentlich auf. Auf Anfrage will der Betroffenenbeirat keine Berufe nennen. Doch im Internet findet man sie. Geblieben im Betroffenenbeirat sind eine Mitarbeiterin einer als pfingstkirchlich eingestuften Organisation und zwei katholische Religionslehrer. Einer der Religionslehrer wurde vom Beirat in die Aufklärungskommission entsandt. Was nun zu der etwas absurden Situation führt, dass die einzige Person mit kirchlichen Verbindungen in der unabhängigen Aufarbeitungskommission ein Betroffener ist– denn die Berufserlaubnis von Religionslehrerinnen und -lehrern hängt am Segen der Kirche.
Die Vorsitzende der Aufarbeitungskommission Anja Amend-Traut hält es für wichtig, „dass die Betroffenen sich auch in gewisser Weise freischwimmen und sich künftig nicht mehr dem Vorwurf ausgesetzt sehen müssen, sie seien nicht unabhängig“.
Es sei natürlich für Betroffene in besonderem Maße schwerwiegend, wenn andere Betroffene sagten: „Wir können uns der Arbeit des Betroffenenbeirates nicht anschließen, weil die Unabhängigkeit in Frage steht.“ Der Betroffenenbeirat allerdings müsse in dieser Sache für sich selbst sprechen, betont Amend-Traut: „Es sind zwei verschiedene Gremien und wir sind unabhängig voneinander.“ Das bedeute auch: Wenn der Betroffenenbeirat selbst nicht agiere, dann sei das sein gutes Recht.

Der Schutz von Betroffenen

Bis jetzt hält sich die Beratungsbilanz des Betroffenenbeirats in Grenzen. Gerade mal eine Person hat sich innerhalb eines Jahres von ihm beraten lassen. Möglicherweise weckt die Kirchennähe der Beiratsmitglieder wenig Vertrauen bei Betroffenen, die nichts mehr mit der Kirche zu tun haben wollen.
Der unabhängige Anwalt Ulrich Wastl forderte bei der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens: „Es ist dringendst notwendig, für Opfer einen geschützten Raum zu schaffen, in dem sie sich äußern können. Und geschützt heißt, dass ihnen niemand gegenübersitzt, der einen weißen Kragen zum schwarzen Hemd trägt.“ Sprich: Die Kirche oder deren Räumlichkeiten seien kein geschützter Raum.
Was hält man in Würzburg von dieser Forderung? Der Betroffenenbeirat stellt klar, dass der Schutz von Betroffenen bei ihm an erster Stelle stehe. Inzwischen bestimme er selbst über neue Mitglieder – der Bischof sei nur dann anwesend, wenn das der Beirat auch ausdrücklich wünsche.
Dennoch setzen die Mitglieder stärker auf Kooperation mit dem Bischof als auf Konfrontation. Die Forderung des Münchner Gutachters Wastl kommentiert der Beirat so: „Wastl sieht die Kirche eher als Täterorganisation – diese Sichtweise teilen wir nicht.“

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