Aufarbeitung

Versöhnung über den Gräbern

Friedhof Sologubowka bei Sankt Petersburg. Bestattung deutscher Wehrmachtssoldaten, deren sterbliche Überreste Bundeswehrsoldaten und russische Armeeangehörige auf dem ehemaligen Schlachtfeld exhumiert haben.
Friedhof Sologubowka bei Sankt Petersburg. Bestattung deutscher Wehrmachtssoldaten, deren sterbliche Überreste Bundeswehrsoldaten und russische Armeeangehörige auf dem ehemaligen Schlachtfeld exhumiert haben. © Deutschlandradio / Sabine Adler
Von Sabine Adler |
Der Bund der Kriegsgräberfürsorge bemüht sich 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs um eine Versöhnung Deutschlands mit Russland und der Ukraine. Das klappt ganz gut - so lange die Soldaten heikle politische Themen meiden.
Mitten in Kiew am Ufer des Dnepr liegt der Park Askoldowa Mogila. Vielleicht der geschichtsträchtigste Ort der Ukraine überhaupt, denn hier hat Askold, einer der Gründer der Kiewer Rus, seine letzte Ruhe gefunden.
Unweit der Kapelle machen Bundeswehrsoldaten zusammen mit ukrainischen Armeeangehörigen ganz andere historische Funde: Gebeine deutscher Soldaten. Über 1300 sollen hier bis 1943 begraben worden sein, jetzt dürfen sie exhumiert werden, was Wolfgang Strojek vom Volksbund der Kriegsgräberfürsorge zu schätzen weiß:
"Dafür sind wir der ukrainischen Seite sehr dankbar, dass man ungeachtet der historischen Bedeutung uns hier diese Arbeiten gestattet."
"Gestern haben wir fünf Soldaten ausgegraben", sagt Artjom Suchanow von der Präsidentengarde. "Sie hatten Erkennungsmarken und können jetzt den Verwandten übergeben werden." Die meisten werden auf einem deutschen Soldatensammelfriedhof, in diesem Fall in Kiew, beigesetzt. Der Bundeswehrseelsorger Christian Stock:
"Die Menschenwürde endet nicht mit dem Tod. Für die Angehörigen ist es wichtig, einen konkreten Ort zu haben für die Trauer. Lasset uns beten."
Neben den Ausgrabungen und der Pflege der Friedhöfe ist der eigentliche Sinn der gemeinsamen Einsätze, dass sich die Soldaten kennen lernen. Feldwebel Patrick Hendel aus Thüringen und Hauptmann Martin Kaiser aus Sachsen haben nach diesen 14 Tagen viel erfahren über die Ukraine.
Bundeswehrsoldat sichert sterbliche Überreste eines Wehrmachtssoldaten auf dem Askoldowa-Mogila-Friedhof in Kiew.
Bundeswehrsoldat sichert sterbliche Überreste eines Wehrmachtssoldaten auf dem Askoldowa-Mogila-Friedhof in Kiew.© Deutschlandradio / Sabine Adler
"Was man hier auf den Straßen erlebt, auch wenn man sich nach Dienst mit den normalen Leuten unterhält, dieses Gemeinschaftsgefühl kann man in der Ukraine nicht nur sehen, man kann es direkt spüren. Die fragen uns auf dem Maidan, ob wir spenden. Wir haben auch was gegeben. Die haben uns auch beeindruckende Bilder gezeigt von den Kriegshandlungen. Wir haben die Verwundeten gesehen von den Freiwilligen-Bataillonen. Mit denen haben wir uns oft unterhalten abends."
"Sehr viele stammen aus Lugansk oder Donezk und ihre Freunde sind dort unten. Also ich spüre diese Zerrissenheit in diesem Land und bewundere, dass sie trotzdem noch sehr fröhlich und sehr patriotisch weiterleben können."
Die Stimmung unter den Soldaten ist angespannt
Ortswechsel: Russland, Sankt Petersburg, linkes Flussufer der Newa. In fünf Gruben schippen je zwei russische und zwei deutsche Männer in Tarnanzügen. Ein bisschen zu abgezählt. Die Stimmung wirkt angespannt, frei von der Leber weg reden weder die russischen noch die Bundeswehrsoldaten. Erst recht nicht über das, was ihnen als Armeeangehörige vor allem auf den Nägeln brennt: den Krieg in der Ukraine.
"Überhaupt nicht. Nein, nein. Es ist auch nichts von den Spannungen, die es zwischen der EU und Russland gibt, zu merken. Die russischen Soldaten sind sehr gastfreundlich, betreuen uns hier sehr gut. Haben Sie nicht ein paar Fragen an sie? Hinsichtlich der politischen Situation? Hätte ich schon, ja. Verkneifen Sie sich die? Ja. Wir wollen ja nicht politisieren, wir wollen hier zusammenarbeiten. Das ist ja der Sinn dieses Einsatzes. Ich denke schon, dass dieser gemeinsamer Einsatz einer der wenigen Kanäle ist, die noch offen sind und ich denke, dass man bestrebt ist, diese Kontakte offen zu halten."
Ähnlich wie Hauptmann Udo Fischer aus Berlin klingen die beiden russischen Soldaten Alexander Pertschon und Igor Nikolskij:
"Ehrlich gesagt, wir reden nicht darüber. Weil das ein heikles Thema ist? Nein, weil es sich nicht ergeben hat. Wenn sie damit angefangen hätten, wäre der Kontakt vielleicht nicht so gut gewesen und wir hätten gedacht: also diese Deutschen! Und sie vermutlich: diese Russen! Die Politik überlassen wir denen da oben. Ich bin froh, dass so ein Treffen möglich war, unabhängig davon was in der Ukraine vor sich geht."
"Die feierliche Einbettung nimmt der General a.D. und Generalinspekteur der Bundeswehr vor, Herr Schneiderhan."
Deutsche und sowjetische Feldspaten, Munitionstasche und Patronen, die Bundeswehrsoldaten  und russische Armee-Angehörige bei gemeinsamen Ausgrabungen am Newa-ufer bei Sankt Petersburg gefunden haben.
Deutsche und sowjetische Feldspaten, Munitionstasche und Patronen, die Bundeswehrsoldaten und russische Armee-Angehörige bei gemeinsamen Ausgrabungen am Newa-ufer bei Sankt Petersburg gefunden haben.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Die deutsche und russische Delegation setzen auf dem Friedhof von Sologubowka 38 deutsche Soldaten bei. Einzeln heben die Ehrengäste die kleinen Särge in die Erde. Ex-General Wolfgang Schneiderhan, Vizechef, davor Markus Meckel, der Chef des Volksbundes der Kriegsgräberfürsorge. Er sprach das Thema Ukraine bei der Zeremonie an.
"Wir stehen auf einem Friedhof deutscher Soldaten, die Teil dieser Verantwortung waren, die wir Deutschen tragen. Wir haben versucht zu lernen, dass es wichtig ist, schon den Anfängen zu wehren. Und wir haben gemeinsam mit anderen Völkern die Bedeutung des internationalen Rechtes gelernt: Dass wir gerade angesichts der Tatsache, dass in Europa wieder Krieg ist, gemeinsam danach fragen, wie wir zurückkehren können auf dieses Ebene des gemeinsamen Rechtes. Die Arbeit des Volksbundes ist getragen von diesem Motto: Versöhnung über den Gräbern, Arbeit für den Frieden."
Der russische Generalmajor Wladimir Popow ganz Diplomat antwortet: Für Frieden muss verhandelt werden.
"Man kann einen Krieg nur dann beenden, wenn man sich zu Gesprächen an einen Tisch setzt. Und das erfüllt, was unterschrieben worden ist."
Über die Verantwortung Russlands für den Krieg im Osten der Ukraine verlor der russische Generalmajor kein Wort.
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