"Aufbau von Zivilgesellschaften"

Lilli Kobler im Gespräch mit Frank Meyer |
Die Präsenz in Krisenregionen wie dem Sudan bietet unglaubliche Chancen, beurteilt die Leiterin des Goethe-Instituts Lilli Kobler ihre Arbeit in Khartum. Allerdings dürfe man die Wirkung kultureller Kooperationen auf die Demokratisierung autoritärer Staaten auch nicht überschätzen.
Frank Meyer: Welchen Chance, welchen Sinn hat Kultur- und Bildungsarbeit in Krisenregionen, dort, wo gekämpft und geschossen wird, wo Menschen vertrieben werden? Heute beginnt in Bonn eine Konferenz des Goethe-Instituts, die sich mit dieser Frage auseinandersetzt.

Und wir haben jetzt eine Frau zu Gast, die in einer der spannungsreichsten Regionen der Welt arbeitet: Lilli Kobler, sie leitet das Goethe-Institut in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Seien Sie herzlich willkommen!

Lilli Kobler: Hallo!

Meyer: Der Sudan hat ja seit der Unabhängigkeit fast 40 Jahre Bürgerkrieg erlebt. Seit 2003 wird in der Region Darfur gekämpft, dort sollen 200.000 Menschen in den letzten Jahren ums Leben gekommen sein bei diesen Kämpfen. Welche Chance hat das Goethe-Institut überhaupt, in so einem Land mit seinem Angebot wahrgenommen zu werden?

Kobler: Das Goethe-Institut sitzt in Khartum, in der Hauptstadt des Sudans, zwei Flugstunden vom Süden entfernt, anderthalb Flugstunden von Darfur entfernt, da spürt man erst mal relativ wenig von diesen Konflikten, die man ja hier in den Medien vor allem präsentiert bekommt, und den humanitären Katastrophen. Natürlich bewegt man sich in einem Spannungsfeld, das merkt man ganz klar, das merkt man auch in Khartum.

Das Goethe-Institut bewegt sich in einem sehr spannenden Feld mit interessanten Leuten, die sich nicht unbedingt in der Politik befinden, sondern eben im kulturellen Bereich, und ich denke schon, dass Kulturarbeit neben anderen Tätigkeiten durchaus einen Beitrag zum Aufbau von Zivilgesellschaften einfach leisten kann, insofern Perspektiven, Möglichkeiten bietet, Freiräume auch schafft. Also das Goethe-Institut als Raum ganz physisch, aber auch im übertragenen Sinne.

Meyer: Und was machen Sie da genau? Also man weiß immer, Goethe-Institut bietet Sprachkurse an, das ist so das Schwarzbrot. Was kommt noch dazu?

Kobler: Also wir haben drei Bereiche. Das Goethe-Institut betreibt, wie sie ja gesagt haben, Sprachkurse, man kann Deutsch bei uns lernen. Dann haben wir eine ganz kleine Bibliothek, also Informations- und Bibliotheksdienst bieten wir an. Information, ein aktuelles Deutschlandbild vermitteln wir, wir haben deutsche Bücher oder auch Übersetzungen von deutschen Autoren ins Arabische beispielsweise. Und dann, als große Sparte, die man auch kennt, ist dann die kulturelle Programmarbeit.

Meyer: Was machen Sie da konkret?

Kobler: Vielleicht gebe ich Ihnen Beispiele, damit man sich das so ein bisschen veranschaulichen kann auch: Wir haben im letzten Jahr gestartet eine Dokumentarfilmausbildung, wo wir internationale Filmemacher sozusagen da hatten, um in Workshops richtig Handwerkszeug an der Kamera – also es ging um Regie, es ging um Schnitt, es ging dann darum, einfach einen Dokumentarfilm auch zu produzieren, also auch um die Produktion von Filmen.

Und da haben dann vor allem junge Künstler, junge Filmemacher, aber auch Kulturaffine, also das mussten nicht professionelle Filmemacher sein, haben dann sechs kleine Dokumentarfilme produziert, die auf eine unglaubliche Nachfrage gestoßen sind, sowohl im Sudan, dann aber auch in der Region und auch in Deutschland. Man kennt ja nicht sudanesisches Kino oder sudanesische Filme. Man sieht sehr viel im Fernsehen in letzter Zeit, vor allem 2011, ein sehr wichtiges Jahr, in den Medien über den Sudan, aber nicht aus dem kulturellen Bereich.

Meyer: Baut so etwas auch auf, auf einer Struktur, die schon da ist? Also gibt es einen sudanesischen Dokumentarfilm, gibt es da Leute, die schon unterwegs sind, ist das ein wichtiges Medium für das Land?

Kobler: Die kulturelle Infrastruktur ist relativ schwach. Kinos gibt es fast gar nicht, es gibt einige paar Kinos, die existieren, die auch ab und zu mal etwas zeigen, aber es gibt eigentlich keine Filmindustrie mehr.

Meyer: Das heißt, das ist kaputtgegangen in diesen Jahrzehnten des Bürgerkrieges?

Kobler: Ja, also in den letzten 20 Jahren, würde ich mal sagen. Es gibt einen ganz interessanten Verein: die Sudanese Film Group. Das sind ältere Herren, die sehr, sehr gut ausgebildet sind. Die wurden damals in Moskau zum Teil oder auch in Kairo ausgebildet, die Filme gemacht haben, sehr interessante Ästhetik, vor allen Dingen in den 80ern noch. Und Ende der 80er, Anfang der 90er war es dann damit vorbei und wurden auch die Möglichkeiten genommen, Filme zu machen. Und die haben quasi 20 Jahre auch keine Filme gemacht.

Und mit solchen Leuten setzen wir uns natürlich auch zusammen und versuchen, diese auch Netzwerke wieder aufzubauen, solche Leute wieder zusammenzubringen mit einer neuen Generation. Mit Ausbildungsinstitutionen, die Interesse daran haben, das vielleicht wieder aufzubauen.

Meyer: Sie haben vorhin gesagt, die Zivilgesellschaft stärken, unterstützen, sehen Sie auch als eine Aufgabe an des Goethe-Instituts. Es gab vor einigen Wochen einen sehr interessanten Zeitungsartikel vom Präsidenten des Goethe-Institutes, Klaus-Dieter Lehmann, der im Blick auf die nordafrikanischen Staaten und die Umbrüche dort geschrieben hat, aber auch im Blick auf China:

Dass er auch eine Aufgabe der Goethe-Institute genau darin sieht, eben die Zivilgesellschaft, auch die kritische Zivilgesellschaft zu stärken, auch zu stärken gegen die Mächtigen in solchen Ländern, gegen Diktatoren, Autokraten. Ist so etwas möglich in Khartum, oder würde man damit ein zu großes Risiko eingehen?

Kobler: Also ich denke, wir haben das letztlich schon immer getan. Jetzt, durch die Revolution und die Umbrüche spricht man das vielleicht noch viel stärker aus, darf man das jetzt auch ansprechen. Man muss natürlich, ganz klar, auch vorsichtig sein. Erstens darf man sich glaube ich nicht zu viel zumuten, jetzt Krisen zu bewältigen, Konfliktprävention ist ja auch ein beliebtes Wort, da muss man glaube ich auch vorsichtig sein, was die Möglichkeiten sind.

Und zweitens, finde ich, hat man eine Verantwortung natürlich auch den Menschen vor Ort gegenüber, mit denen man auch arbeitet, die natürlich auch vielleicht überwacht werden oder auch Folgen daraus ziehen können. Wenn sie an einem beispielsweise Journalismus-Workshop bei uns teilnehmen, wo es auch kritischer zugeht, muss man natürlich abwägen, wie weit man da auch gehen kann. Und da sehe ich unsere Verantwortung darin, sehr sensibel damit umzugehen.

Meyer: Weil Sie das Stichwort Überwachung gerade einwerfen: Wie ist das für das Goethe-Institut, inwiefern wird Ihre Arbeit überwacht, kontrolliert vom sudanesischen Staat?

Kobler: Wir sind relativ frei in dem, was wir machen dürfen. Man muss natürlich die Gegebenheiten kennen und sich da nicht zu provozierend natürlich verhalten, aber ich sehe unsere Möglichkeiten sehr, sehr positiv. Also wir sind relativ ungehindert in unserer Arbeit im Institut, Filme werden beispielsweise gezeigt, ohne durch eine Zensurbehörde zu gehen, wie das in vielen Ländern der Fall ist. Wir wählen dann natürlich auch Filme aus, die man zeigen kann, man muss sich da natürlich ganz bewusst sein, was man macht. Und man muss davon ausgehen, dass natürlich das Regime und die Regierung genau weiß, was man macht.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir haben Lilli Kobler zu Gast, die Leiterin des Goethe-Instituts im Sudan. Es gab ja im Januar im Sudan das Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan, im Juli wird die Teilung des Landes vollzogen werden. Und nun fragt man sich an vielen Orten, was wird da passieren?

Gibt es mit dieser Teilung des Landes, gibt es vielleicht nach dieser langen Bürgerkriegsgeschichte eine Chance, dass es dort friedlicher weitergeht? Wagen Sie da so etwas wie eine Prognose?

Kobler: Eine sehr gute Frage, die stelle ich mir auch jeden Tag, gerade im Jahr 2011, weil wir Arbeiten auch weiter machen wollen und planen wollen und es sehr, sehr fraglich ist, wie es weitergeht. Frieden gibt es ja an sich seit 2005, seit das Comprehensive Peace Agreement unterzeichnet wurde zwischen Nord und Süd. Der Bürgerkrieg im Süden wurde dadurch nach 20 Jahren fast beendet, sodass es jetzt 2011, sechs Jahre später eben dazu kam, dass das Volk vom Süden wählen durfte. Und im Januar wurde abgestimmt einheitlich für die Unabhängigkeit, und am 9. Juli ist dann der offizielle Unabhängigkeitstermin.

Meyer: Aber es gibt auch immer wieder kleinere Kampfhandlungen und es gibt eben die fortgesetzten Kämpfe in Darfur …

Kobler: … schon jetzt, schon jetzt, vor allem in den Grenzgebieten. Also es gibt eben diese zwei Krisenherde, Darfur und dann die Spaltung des Südens vom Norden jetzt. Schon in den Grenzgebieten jetzt kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, und innerhalb des Südens auch. Es ist sehr, sehr undurchsichtig, ich habe noch nie ein Land erlebt, was einerseits so vielfältig ist, also in der kulturellen Vielfalt, in der über 700 Ethnien, die glaube ich im Land leben, ein riesiges Land …

Meyer: … über 100 Sprachen, die dort gesprochen werden …

Kobler: … ja genau, also manche Sprachen werden ja nur von ganz, ganz wenigen Leuten gesprochen, genau. Also sehr, sehr vielschichtig, was natürlich zur Folge hat, dass es auch immer wieder zu Machtgerangel kommt und zu ethnischen Konflikten und zu internationalen Konflikten. Also die Leute sind angespannt. Hinzu kommt natürlich die wirtschaftliche Lage, die nicht, also bei einer Inflation von ich glaube 40 Prozent seit letztem Jahr, ist halt die wirtschaftliche Lage angespannt.

Und dann die Nachbarländer, wo Revolutionen ausbrechen, natürlich auch irgendwie ein bisschen überschwappen. Also die Situation ist sehr angespannt und es wird sehr spannend zu sehen, was ab Juli passiert. Aber auch schon im Vorfeld.

Meyer: Also Sie sind im Norden stationiert mit dem Goethe-Institut. Wenn es dann einen unabhängigen Südsudan gibt, wie machen Sie mit Ihrer Arbeit dann für diese Region weiter, muss es dann ein südsudanesisches Goethe-Institut geben?

Kobler: Schon jetzt ist es ehrlich gesagt relativ schwierig, im Süden zu arbeiten, ohne dort ein Institut zu haben. Es ist wie gesagt zwei Flugstunden, es ist unglaublich weit. Bis jetzt arbeiten wir dort, wenn wir dort arbeiten, mit Partnern zusammen, beispielsweise in deutsch-französischen Kooperationsprojekten - die Franzosen haben dort ein Büro - für nächstes Jahr.

Wenn sich ein eigenständiger Staat bildet, denke ich, muss man perspektivisch gucken, dass man klein anfängt. Also wir haben ein Format, sag ich mal, was sich Dialogpunkt nennt, mit dem wir ganz oft anfangen. Das ist eine Art kleiner Bibliotheksbegegnungsort, den wir ansiedeln in der Universität zum Beispiel, und dort anfangen zu gucken, wie ist das Interesse überhaupt an Deutschland: an einem deutschen Kulturinstitut, an der Sprache. Kleinere Programme dort starten, ein Netzwerk aufbauen. Bevor man dann entscheiden kann, letztlich, ob man ein volles Institut dort aufmacht, hängt dann auch von der Sicherheitslage und den Gegebenheiten ab.

Meyer: Sie werden jetzt teilnehmen an der Tagung in Bonn zu den Chancen von Kultur- und Bildungsarbeit in solchen Regionen wie dem Sudan, in Krisenregionen. Was werden Sie Ihren Kollegen sagen in Bonn? Welche, was ist die Chance der Arbeit des Goethe-Instituts dort?

Kobler: Ich würde gerne aus einer ganz praktischen Perspektive berichten, was für Erfolge ich sehe, was ich sehe, wenn Dokumentarfilme entstehen, wenn die Leute einen unglaublichen Hunger an Bildung und Kultur haben, dann einen Dokumentarfilm machen und ihre Geschichte erzählen, und nicht die Geschichte des Bürgerkriegs oder der humanitären Katastrophe, wie es für die Medien produziert wird, sondern die Geschichte einer alten Künstlerin, die in New York groß geworden ist. Dass diese Geschichten Gehör finden und dass die Nachfrage danach unglaublich groß ist.

Ich sehe in unseren Veranstaltungen – sei es experimentelle Musik oder sei es Hip-Hop, sei es Dokumentarfilm –, die Leute kommen und diskutieren auch sehr, sehr lebendig und leidenschaftlich über diese Themen. Und ich denke, da ist ganz klar, dass diese Medien, diese kulturellen Medien da eine unglaubliche Chance haben, eben nicht Entwicklungszusammenarbeit oder wirtschaftliche Zusammenarbeit, sondern kulturelle Zusammenarbeit auch im, sag ich mal, im Dialog mit Deutschland oder Europa sich da zu öffnen.

Meyer: Das sagt Lilli Kobler, die Leiterin des Goethe-Instituts in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Kobler: Danke schön!
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