Aufbruch, Hybris und Verfall

Rezensiert von Tilman Krause · 23.05.2006
Der französische Autor Philippe Besson konzentriert sich in seinem Roman auf die letzten Lebensmonate des Dichters Arthur Rimbaud. Er erzählt von der Rückkehr eines verlorenen Sohnes in den Schoß der Familie. Besson entwirft ein Kammerspiel zwischen drei Personen. Dabei ist der Autor ein eindringlicher, intensiver, auch streckenweise grausamer Erzähler.
Der in Frankreich vielfach preisgekrönte und seit der Verfilmung seines Romans "Sein Bruder" durch Patrice Chéreau auch international bekannte Philippe Besson erzählt hier zum ersten Mal einen historischen Roman. "Brüchige Tage" handelt nämlich von dem "poète maudit" Arthur Rimbaud.

Es ist aber nicht die Geschichte von Aufstieg und Durchsetzung eines Skandalautors, der in der intellektuellen Szene von Paris in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts so großes Aufsehen erregte. Nein, Besson konzentriert sich auf die letzten Lebensmonate des Dichters. Er erzählt von der Rückkehr eines verlorenen Sohnes. Von der Rückkehr eines Gescheiterten und Gestrauchelten in den Schoß der Familie.

Rimbaud, der Sonnendurstige, der Himmelsstürmer, der Ikarus: Ihm ist sein kometengleicher Auf- und Ausstieg (hinauf auf den Parnass der Literatur, hinaus aus den europäischen Zwängen und hinein in das wilde, ungezähmte Herz Afrikas) nämlich nicht bekommen. Krank und schwach und verbittert konnte er sich in Übersee nicht mehr halten und kommt nun - gar nicht reumütig allerdings - zu Mutter und Schwester zurück, die einen Bauernhof bewirtschaften in einer jener Landschaften des nördlichen Frankreichs, in denen immer Herbst, gar Winter zu sein scheint.

Philippe Besson entwirft nun ein Kammerspiel zwischen drei Personen, dem kranken, beinamputierten Dichter, der ganz und gar angewiesen ist auf die Unterstützung durch die Familie. Seine Schwester, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, anhand ihres (fiktiven!) Tagebuchs, ist die Aufopferungsvolle, tief Religiöse, die nun punktuell konfrontiert wird mit dem Vorleben ihres Bruders, der nicht nur literarisch die Grenze sprengte, sondern auch durch seinen Lebenswandel als offen schwul lebender Mann zu einer Zeit, als das noch den sozialen Tod nach sich ziehen konnte.

Die Mutter hingegen ist ganz die hartherzige, strenge, nicht verzeihende Vertreterin der bestehenden Ordnung, die in allem, was ihrem Sohn an Widrigkeiten widerfährt, nur die gerechte Strafe Gottes für sein sündiges Tun erblickt. Dazwischen bewegt sich der gewesene Dichter, der gewesene Geschäftsmann auch, dem nun am Ende nichts mehr bleibt als eine immer unwahrscheinlichere Hoffnung auf den letzten, finalen Aufbruch und Ausbruch sowie die Erinnerung an eine Vergangenheit, die ihm nichts mehr nützt.

Besson ist ein eindringlicher, intensiver, auch streckenweise grausamer Erzähler: Er inszeniert seinen historischen Stoff als Parabel von Aufbruch, Hybris und Verfall des Künstlers: Je höher er hinaus will, desto hartnäckiger holt ihn das Leben wieder ein. Eine wenig optimistische Botschaft, aber eine konsequent durchdeklinierte Fallgeschichte, die gerade durch ihre Ausweglosigkeit sehr bewegt und den Leser innerlich lange beschäftigen wird.

Philippe Besson: Brüchige Tage
Übersetzt von Caroline Vollman
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006
160 Seiten