Auferstanden aus Ruinen

Von Walter Kittel |
Vom Tempel in Jerusalem bis zum Frankfurter Goethehaus: Was einst in Trümmern lag, das bauen Menschen oft wieder auf. Eine Ausstellung in München dokumentiert prominente Fälle architektonischer Rekonstruktion.
Ein Foto von 1902. Es zeigt den Markusplatz in Venedig. Ein riesiger Schutthaufen ist zu sehen. Zehn Jahre später, 1912, stand der markante Turmbau wieder, der "Campanile von San Marco". Man hatte ihn nach seinem plötzlichen, überraschenden Einsturz rekonstruiert, wie so vieles in der Geschichte der Architektur überall auf der Welt nach Erdbeben, Stürmen, Bränden oder Kriegen wieder aufgebaut wurde.

Ganz unabhängig von der Vielzahl an Gründen, die eine Stadt oder Gesellschaft im Einzelfall motiviert haben mögen, ein geliebtes Bauwerk nochmals zu errichten, zeigt die Ausstellung gleich im ersten Raum den historischen Ursprung dieses Bemühens. Es ist, wie so vieles in der Geschichte der Menschheit, religiös begründet, erklärt Kurator Winfried Nerdinger.

"Da fangen wir an mit dem Tempel in Jerusalem, der Zeustempel in Olympia ist im Laufe seiner Geschichte mindestens drei bis viermal zusammengestürzt und wieder rekonstruiert worden. Beispiele aus Ephesos, dann gehen wir weiter zu dem Dom von Speyer und "San Paolo fuori le mura", das war der Ort, wo der Apostel Paulus bestattet worden ist, das brannte 1823 ab und der Papst persönlich hat angeordnet, das haben wir hier drüber gestellt, das ganze Gebäude, diese frühchristliche Basilika soll wie unversehrt wieder hergestellt werden. Das ist also der heilige Ort, der rekonstruiert wird."

Den Beispielen für die Rekonstruktion "heiliger Orte" folgen Kapitel zur Rekonstruktion aus nationalen und politischen Gründen oder zur Erinnerung an Personen. Hierzu gehören dann etwa das Goethehaus in Frankfurt oder das Leibnizhaus in Hannover, aber auch das im Jahr 2003 rekonstruierte Wohn- und Malatelier von Paul Gauguin in Polynesien.

Die Geschichte der Rekonstruktion ist eben eine im Einzelnen ganz vielfältige, geografisch weit reichende und manchmal auch verworrene und verwirrende Geschichte, die sich nicht auf aktuelle Debatten wie etwa die um das Berliner Stadtschloss reduzieren lässt.

"Ich glaube, dass die Wenigsten wissen, dass sehr, sehr vieles, was sie auf ihren Reisen sehen oder auch so vom Geschichtsunterricht her kennen, Rekonstruktionen sind. Und das ist ja auch mit ein Teil dessen, was diese Ausstellung hoffentlich interessant macht, dass man hier auf viele, viele bekannte Gebäude stößt und immer wieder sagen muss: ah, das Kapitol in Washington ist auch rekonstruiert worden, dieses Kloster in Artos hier ist eine Rekonstruktion. Und so kann man durch diese Ausstellung hindurchgehen. Und wird immer wieder ganz neue Dinge erleben. Und wir zeigen immer, wie sah es vorher aus, wie wurde es zerstört und wie kam der Wiederaufbau."

Dass die Geschichte der Rekonstruktion eine scheinbar endlose und unüberschaubare ist, zeigen auch hunderte unmittelbar nebeneinander gehängte Fotos von Bürgerhäusern, Kirchen, Tempeln und Palästen in einer die Ausstellungsräume durchziehenden Installation. Der Besucher erfährt dabei zunächst nur einige, grundlegende Daten, wie den Ort, das ursprüngliche Erbauungsjahr und den Zeitraum der Rekonstruktion.

Angesichts der Vielzahl von Rekonstruktionen aus unterschiedlichsten Ländern und Epochen wird so immer mehr der Zweifel genährt, welchen Sinn die Unterscheidung zwischen "Original" und "Rekonstruktion" eigentlich noch hat, wenn der Wiederaufbau etwa bereits 200, 300 oder vielleicht sogar 1000 Jahre zurückliegt. Denn eigentlich sind es doch besonders Zeitzeugen, die sich von Rekonstruktionen beunruhigen lassen oder Kunsthistoriker und Architekten, denen im Einzelfall die Unterscheidung vielleicht noch gelingt.

"Bei nahezu jeder Rekonstruktion hat man das Problem, dass man an Punkte bei einem Bau kommt, die eben nicht dokumentiert sind. Irgendein kleiner Dachraum oder ein bestimmter Bereich im Fundament oder so etwas. Da habe ich eben keine Planmaterialien dazu, das ist nirgendwo abgebildet, dann muss ich das erfinden. Das ist immer Teil von Rekonstruktionen, dass der Architekt manche Dinge dazuerfinden muss, damit das funktioniert."

So besitzen die Rekonstruktionen oft auch die Qualität von Originalen. Während über Jahrhunderte der Aufwand, zerstörte Gebäude originalgetreu wieder aufzubauen, gesellschaftlich meist geschätzt und politisch gewollt war, wurden die Entscheidungen und Debatten nach zwei Weltkriegen wesentlich komplizierter. Dieses Thema wird unter anderem in dem Ausstellungskapitel zur "Rekonstruktion von Bildern und Symbolen einer Stadt" dargestellt.

Aktuelle Diskussionen wie die um das Berliner Stadtschloss greift die Ausstellung jedoch nicht auf. Sie begnügt sich mit den historischen Darstellungen zu Rekonstruktionen in Städten wie Frankfurt, Münster oder Hamburg in der Nachkriegszeit. Außerdem werden etwa die heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Rekonstruktionen in belgischen und französischen Städten nach dem ersten Weltkrieg gezeigt.

Geschichte der Rekonstruktion in der Pinakothek der Moderne