Aufgeräumt

Von Johannes Halder |
Die Kölner Fotografin Candida Höfer gehört neben Andreas Gursky, Thomas Struth und anderen Absolventen der legendären Düsseldorfer "Becher-Klasse” zu den international renommiertesten deutschen Fotokünstlern. Das Karlsruher Museum für Neue Kunst zeigt jetzt mit über 250 Fotografien eine Retrospektive auf ihre Werkgruppen, die seit 1968 entstanden sind.
Räume, Innenräume: Museen, Bibliotheken, Opernhäuser und Theater, Blicke in Archive und Depots, in Kirchen und Paläste. Keine Menschenseele stört die Symmetrie, die rhythmischen Reihen von Bildern, Bücherrücken und Regalen, die perspektivischen Fluchten von Vitrinen, Tischen, Stühlen oder Schränken, die Tiefe der Säle und Flure, die beschauliche Intimität des Inventars. Alles wirkt ordentlich und aufgeräumt, wie herausgelöst aus der Zeit.

Wer die bekannten Fotos von Candida Höfer sieht, kann kaum glauben, dass es eigentlich die Begegnung mit Menschen war, die sie zu den menschenleeren Räumen brachte. In den siebziger Jahren, als Studentin in der legendären Klasse von Bernd Becher an der Düsseldorfer Akademie, machte sie Bilder von türkischen Gastarbeitern: von fremden Familien in ihren fremd anmutenden Lebensräumen, in ihren Wohnungen, Gaststätten und Läden, aber auch im Straßenbild, das sie durch ihre Anwesenheit veränderten. Ein Schlüsselerlebnis, sagt sie heute, denn:

"Durch diese Situation bin ich also in Kontakt gekommen mit den Gastarbeitern und wurde dann zu Ihnen auch nach Hause eingeladen."

Doch diese Leute und ihre Lebensbedingungen vor der Linse so präzise auszuforschen wie sie das mit den Räumen tun kann, war ihr zu indiskret. Sie wollte die Menschen nicht wie optisches Material behandeln, und also hat sie eines dabei schnell gemerkt:

"Der Mensch ist nicht mein Thema. Und dann habe ich auch gemerkt, dass in den Räumen, also wenn der Mensch vorhanden ist, dass bestimmte Situationen nicht sichtbar werden."

Seitdem gilt Candida Höfer in der Kunstszene als eine Art Raumpflegerin. Frühmorgens, bevor die Benutzer und Besucher kommen, hat sie den Raum für sich, dann kann sie ihn mit der Kamera ihrer ästhetischen Behandlung unterziehen. Doch was muss ein Raum haben, damit er als Motiv für sie an Reiz gewinnt? Ganz einfach, sagt die Fotografin: "Er muss eine Aura haben."

"Aber ich kann das leider nicht beschreiben, was es ist. Es ist einfach eine, ja, eine Gefühlssache."

Mit diesem Gefühl hat sie auch zoologische Gärten fotografiert und die Tiere mit der gleichen statischen Sachlichkeit behandelt wie das tote Inventar der Naturkundemuseen, die sie ebenfalls in ganzen Serien aufs Bild bannt. Doch bei aller seriellen Systematik – es geht ihr nicht um ein Archiv räumlicher Typologien oder um ortspezifische Dokumente der Zeit.

"Es entsteht natürlich, dass es gewisse Zeitdokumente dann werden, aber das ist nicht meine Intention."

Es ist nicht immer leicht, Zugang zu den Räumlichkeiten zu bekommen, außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Ein Privileg, zu dem ihr, das gibt sie zu, auch ihre wachsende Prominenz verhilft. Der Name Höfner öffnet mittlerweile manche Tür. Die Aufnahmetechnik selbst ist wenig spektakulär. Vier Stunden, wenn es geht, nimmt sie sich Zeit für einen Raum; alles darunter führt zu Hektik, und das mag sie nicht. Ein typischer Höfer-Raum strahlt Ruhe aus, und vor allem das Licht ist dabei wichtig.

"Also ich bringe selber nichts mit, und ich finde das immer wieder erstaunlich, was die Kamera und das Negativmaterial schafft, weil es gibt oft Raumsituationen, da ist so gut wie überhaupt kein Licht vorhanden. Und natürlich muss man da die Belichtungszeit verlängern, und die kann manchmal schon sehr schön lange sein. Aber es klappt immer."

Im Extremfall kann das bis zu einer Stunde sein. Auch deshalb wäre die Anwesenheit von Menschen störend. Zur Aufnahme dient Höfer eine handelsübliche Mittelformatkamera mit Stativ, nichts wird arrangiert und inszeniert. Trotzdem ist erstaunlich, wie aufgeräumt, detailgenau und stimmig alles wirkt. Manche Details entdeckt die Kölner Fotokünstlerin erst im Labor oder auf den bis zu zwei Meter breiten Abzügen.

"Ich habe einen fabelhaften Assistenten, und der ist eigentlich immer da."

Hand in Hand mit ihm holt sie in dessen Düsseldorfer Labor noch eine Menge aus dem Negativ heraus.

"Das würde ich aber nicht jetzt als Manipulation empfinden. Meine Meinung ist sowieso, dass Fotografie nicht das Abbild zeigt. Und ich will das ja auch nicht machen. Also ich will ein Bild zeigen, was mir gefällt."
Technisch machbar wäre da noch Vieles. Doch es geht ihr weniger um Technik als um Inhalt. Eines fällt auf: Höfers Räume sind stets Räume für den geistigen Gebrauch.

"Die Dimensionen der Industrieanlagen sind für mich nicht überschaubar. Also mich interessieren die Räume der Geschichte mehr."

Die Karlsruher Schau ist so angelegt, als hätte man die Räume und Exponate eigens als Motiv für Candida Höfer präpariert. Die Hängung der Werke orientiert sich an dialoghaften Blickachsen und spielt mit einen System gezielter Wegführungen. Funktionsräume zur Projektion von Diaserien, Galeriewände, und schließlich ein Studio mit Arbeitstisch und Monitor. Ein Seh-Labor, gewissermaßen, mit viel Raum zum Sehen und zum Denken.

Zwei Tage pro Woche ist das Museum geschlossen. Es mag schon sein, dass Candida Höfer an einem dieser Tage kommt und die Räume, ihre Räume, fotografiert. Kein Besucher wird ihr begegnen. Sie wird den Ort verlassen, wie sie ihn angetroffen hat: als Raum der Ruhe.