Aufklärung über den Islam
Bücher über den Islam beschäftigen sich oft mit Extremismus oder mit der Unterdrückung von Frauen. Der Islamwissenschaftler Rachid Benzine und der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide stellen hingegen die wichtigsten muslimischen Reformdenker des 20. und 21. Jahrhunderts vor und beschreiben eine moderne und friedfertige Religion.
Kritiker des Islam behaupten immer wieder, es gebe so etwas wie den einen Islam, der unveränderlich sei. Demnach ist er eine Religion, welche Gewalt gutheißt, Menschenrechte nicht kennt und der Demokratie im Wege steht.
Diese These ist polemisch und trotzdem oder gerade deswegen im Westen weit verbreitet. Sie entspringt einer sehr einseitigen Sicht, wie der französische Islamwissenschaftler beklagt:
"Das Bild des Westens vom Islam und von der islamischen Welt ( ... ) ist das einer weitgehend fortschrittsfeindlichen, monolithischen Realität, die unfähig geworden ist, die Kraft zur Erneuerung aufzubringen und sich an neue Bedingungen des menschlichen Daseins anzupassen. Der Islam als spirituelle Realität und noch mehr als sich ständig wandelnde intellektuelle Ressource wird ( ... ) ignoriert."
So nimmt man etwa in Deutschland innerislamische Reformdebatten kaum zur Kenntnis. Rachid Benzines Buch schließt diese Lücke, zumindest ein wenig. Der Islamwissenschaftler stellt darin die wichtigsten muslimischen Reformer vor. Und er erläutert, wie diese neuen Denker Islam und Moderne vereinbaren wollen. Ihm gelingt es, ein komplexes Thema verständlich darzulegen. Einer der wichtigsten war der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid, der einst in einem Zeitungsartikel seine Prämisse beschrieb:
"Wir müssen unser religiöses Erbe frei erforschen. Dies ist die oberste Bedingung der Erneuerung. Wir müssen das Verbot freien Denkens aufheben. Das Feld der Erneuerung sollte keine Grenzen haben. Es ist kein Platz für 'Schutzhäfen der Lehre', die der Kritik enthoben sind. Solche Schutzhäfen ( ... ) bedeuten eine Zensur, die in der Geschichte des islamischen Denkens keinen Raum hat."
Für die Reformer bedeutet das, sich mit der islamischen Orthodoxie anzulegen. Sie beherrscht seit Jahrhunderten die Hochschulen und Moscheen. An den konservativ geprägten Lehrinstitutionen gilt nicht das kritische Denken als Maxime. Hoch geschätzt ist vielmehr die Nachahmung von Traditionen aus dem Mittelalter. Die Reformer wollen diese verkrusteten Strukturen aufbrechen.
Doch wer so etwas tut, muss mit heftigen Reaktionen rechnen. Viele der Reformdenker wurden mit dem Tode bedroht und mussten ins Exil gehen. Abu Zaids Fall erregte in den neunziger Jahren weltweit Aufsehen, weil ihn ein ägyptisches Gericht zum Apostaten erklärte und seine Ehe annullierte.
Sein Vergehen war es, moderne Methoden der Literaturanalyse auf den Koran anzuwenden. Vor allem wollte er das heilige Buch der Muslime im historischen Kontext betrachten, wie Rachid Benzine erklärt:
"Nach der Auffassung Abu Zaids ermöglicht allein der kontextuelle Hintergrund, vor dem das heilige Buch entstanden ist, es zu analysieren und zu interpretieren und sich dabei vor ideologischer Manipulation zu schützen ( ... ) Es ist diese Vorgehensweise, die es dem Ausleger ermöglicht, sachgemäß und kompetent das 'Historische' und 'Zeitbedingte' abzulösen und zu dem zu führen, was universal und zeitlos gültig ist."
Der Koran, er wurde so entsakralisiert. Für Abu Zaid war er nicht mehr identisch mit dem ewigen Wort Gottes - für viele gläubige Muslime eine ungeheuerliche These. Mag der Widerstand auch groß gewesen sein - die Ideen der neuen Denker zu Islam und Moderne haben überlebt.
Das zeigt sich mittlerweile auch an deutschen Hochschulen, vor allem an den neu gegründeten Zentren für islamische Theologie. Bislang gibt es in Deutschland allzu wenige muslimische Intellektuelle, die sich Gehör verschaffen.
Der Münsteraner Theologe hat nun mit dem Werk "Islam ist Barmherzigkeit" ein äußerst bemerkenswertes Buch vorgelegt. Aufgewachsen ist er in Saudi-Arabien, wo er einen sehr rigiden Glauben kennen lernte:
"Wenn ich an meinen Religionsunterricht in Saudi-Arabien zurückdenke, erinnere ich mich nicht, dass uns Schülern ein einziges Mal von der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes erzählt worden wäre. Wenn über Gott gesprochen wurde, dann nur darüber, wie man ihn verherrlichen soll, über seinen Zorn, über seine Strafen, seine Hölle, in die er alle, die ihm gegenüber ungehorsam sind, schicken würde."
Das Bild des strengen und strafenden Herrschers Gott ist unter Muslimen weit verbreitet. Doch Khorchide bricht damit. Sein Gott ist vor allem eins: barmherzig. Der Münsteraner Professor hat den Koran als Liebesbrief Gottes an den Menschen gelesen, wie er sagt.
"Wenn wir von einem Gott sprechen, dann ist [er] ein vollkommener Gott. Er will nichts für sich. Er ist in sich genügsam. Er ist in sich vollkommen. Wenn wir von einem Gott reden, der verherrlicht werden will, da werden wir Gott überhaupt nicht gerecht damit, da machen wir Gott klein. Wir machen aus ihm etwas, das minderwertig ist womöglich, also das angewiesen ist auf Verherrlichung. Das wäre gar nicht Gott."
Sein Buch ist ein Meilenstein für den Islam in der Bundesrepublik. Es ist das erste große Statement der noch jungen islamischen Theologie in Deutschland. Mouhanad Khorchide entwirft nichts anderes als den Grundriss eines Islam, der allen gängigen Klischees widerspricht.
Er steht damit in der Tradition der Reformer. Vieles, was die neuen Denker dargelegt haben, findet sich auch bei ihm wieder. Etwa, dass die Scharia, das göttliche Recht, nur ein menschliches Konstrukt ist.
"Wenn unter Scharia ein juristisches System verstanden wird, das alle Lebensbereiche erfassen und genau vorschreiben soll, in welcher Situation was zu tun ist, dann steht das in klarem Widerspruch zum Islam. Wieso eigentlich? Weil es nicht Aufgabe von Religionen, auch nicht des Islam, ist, Gesetze zu erlassen. Das eigentliche Anliegen des Islam ist, dass der Mensch sich vervollkommne, um die Gemeinschaft Gottes zu erlangen."
Die Schlussfolgerungen für Khorchide und die anderen Reformtheologen sind weitreichend: Sie lehnen Gewalt im Namen Gottes ab. Sie sehen auch keinen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie oder Islam und Menschenrechten. Die Gläubigen stehen nicht unter Zwang, sondern sollen sich frei zu einem liebenden Gott bekennen.
Mouhanad Khorchide und Rachid Benzine zeigen, dass der Islam alles andere als monolithisch ist, sondern vielmehr pluralistisch, lebendig und debattenfreudig.
Rachid Benzine: Islam und Moderne, Die neuen Denker
Verlag der Weltreligionen Berlin
Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit, Grundzüge einer modernen Religion
Herder Verlag Freiburg
Links auf dradio.de:
Projektion irrationaler Ängste- Doug Saunders: "Mythos Überfremdung. Eine Abrechnung"
Ideologisch und voller Vorurteile - Wolfgang Benz: "Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet"
Lesart 2012-08-19 - Faszination des Islams - Volker Koop: "Hitlers Muslime" und Gilbert Achcar: "Die Araber und der Holocaust"
Ein Überblick über die Kultur des Islams- Peter Heine: "Märchen, Miniaturen, Minarette"
Diese These ist polemisch und trotzdem oder gerade deswegen im Westen weit verbreitet. Sie entspringt einer sehr einseitigen Sicht, wie der französische Islamwissenschaftler beklagt:
"Das Bild des Westens vom Islam und von der islamischen Welt ( ... ) ist das einer weitgehend fortschrittsfeindlichen, monolithischen Realität, die unfähig geworden ist, die Kraft zur Erneuerung aufzubringen und sich an neue Bedingungen des menschlichen Daseins anzupassen. Der Islam als spirituelle Realität und noch mehr als sich ständig wandelnde intellektuelle Ressource wird ( ... ) ignoriert."
So nimmt man etwa in Deutschland innerislamische Reformdebatten kaum zur Kenntnis. Rachid Benzines Buch schließt diese Lücke, zumindest ein wenig. Der Islamwissenschaftler stellt darin die wichtigsten muslimischen Reformer vor. Und er erläutert, wie diese neuen Denker Islam und Moderne vereinbaren wollen. Ihm gelingt es, ein komplexes Thema verständlich darzulegen. Einer der wichtigsten war der Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid, der einst in einem Zeitungsartikel seine Prämisse beschrieb:
"Wir müssen unser religiöses Erbe frei erforschen. Dies ist die oberste Bedingung der Erneuerung. Wir müssen das Verbot freien Denkens aufheben. Das Feld der Erneuerung sollte keine Grenzen haben. Es ist kein Platz für 'Schutzhäfen der Lehre', die der Kritik enthoben sind. Solche Schutzhäfen ( ... ) bedeuten eine Zensur, die in der Geschichte des islamischen Denkens keinen Raum hat."
Für die Reformer bedeutet das, sich mit der islamischen Orthodoxie anzulegen. Sie beherrscht seit Jahrhunderten die Hochschulen und Moscheen. An den konservativ geprägten Lehrinstitutionen gilt nicht das kritische Denken als Maxime. Hoch geschätzt ist vielmehr die Nachahmung von Traditionen aus dem Mittelalter. Die Reformer wollen diese verkrusteten Strukturen aufbrechen.
Doch wer so etwas tut, muss mit heftigen Reaktionen rechnen. Viele der Reformdenker wurden mit dem Tode bedroht und mussten ins Exil gehen. Abu Zaids Fall erregte in den neunziger Jahren weltweit Aufsehen, weil ihn ein ägyptisches Gericht zum Apostaten erklärte und seine Ehe annullierte.
Sein Vergehen war es, moderne Methoden der Literaturanalyse auf den Koran anzuwenden. Vor allem wollte er das heilige Buch der Muslime im historischen Kontext betrachten, wie Rachid Benzine erklärt:
"Nach der Auffassung Abu Zaids ermöglicht allein der kontextuelle Hintergrund, vor dem das heilige Buch entstanden ist, es zu analysieren und zu interpretieren und sich dabei vor ideologischer Manipulation zu schützen ( ... ) Es ist diese Vorgehensweise, die es dem Ausleger ermöglicht, sachgemäß und kompetent das 'Historische' und 'Zeitbedingte' abzulösen und zu dem zu führen, was universal und zeitlos gültig ist."
Der Koran, er wurde so entsakralisiert. Für Abu Zaid war er nicht mehr identisch mit dem ewigen Wort Gottes - für viele gläubige Muslime eine ungeheuerliche These. Mag der Widerstand auch groß gewesen sein - die Ideen der neuen Denker zu Islam und Moderne haben überlebt.
Das zeigt sich mittlerweile auch an deutschen Hochschulen, vor allem an den neu gegründeten Zentren für islamische Theologie. Bislang gibt es in Deutschland allzu wenige muslimische Intellektuelle, die sich Gehör verschaffen.
Der Münsteraner Theologe hat nun mit dem Werk "Islam ist Barmherzigkeit" ein äußerst bemerkenswertes Buch vorgelegt. Aufgewachsen ist er in Saudi-Arabien, wo er einen sehr rigiden Glauben kennen lernte:
"Wenn ich an meinen Religionsunterricht in Saudi-Arabien zurückdenke, erinnere ich mich nicht, dass uns Schülern ein einziges Mal von der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes erzählt worden wäre. Wenn über Gott gesprochen wurde, dann nur darüber, wie man ihn verherrlichen soll, über seinen Zorn, über seine Strafen, seine Hölle, in die er alle, die ihm gegenüber ungehorsam sind, schicken würde."
Das Bild des strengen und strafenden Herrschers Gott ist unter Muslimen weit verbreitet. Doch Khorchide bricht damit. Sein Gott ist vor allem eins: barmherzig. Der Münsteraner Professor hat den Koran als Liebesbrief Gottes an den Menschen gelesen, wie er sagt.
"Wenn wir von einem Gott sprechen, dann ist [er] ein vollkommener Gott. Er will nichts für sich. Er ist in sich genügsam. Er ist in sich vollkommen. Wenn wir von einem Gott reden, der verherrlicht werden will, da werden wir Gott überhaupt nicht gerecht damit, da machen wir Gott klein. Wir machen aus ihm etwas, das minderwertig ist womöglich, also das angewiesen ist auf Verherrlichung. Das wäre gar nicht Gott."
Sein Buch ist ein Meilenstein für den Islam in der Bundesrepublik. Es ist das erste große Statement der noch jungen islamischen Theologie in Deutschland. Mouhanad Khorchide entwirft nichts anderes als den Grundriss eines Islam, der allen gängigen Klischees widerspricht.
Er steht damit in der Tradition der Reformer. Vieles, was die neuen Denker dargelegt haben, findet sich auch bei ihm wieder. Etwa, dass die Scharia, das göttliche Recht, nur ein menschliches Konstrukt ist.
"Wenn unter Scharia ein juristisches System verstanden wird, das alle Lebensbereiche erfassen und genau vorschreiben soll, in welcher Situation was zu tun ist, dann steht das in klarem Widerspruch zum Islam. Wieso eigentlich? Weil es nicht Aufgabe von Religionen, auch nicht des Islam, ist, Gesetze zu erlassen. Das eigentliche Anliegen des Islam ist, dass der Mensch sich vervollkommne, um die Gemeinschaft Gottes zu erlangen."
Die Schlussfolgerungen für Khorchide und die anderen Reformtheologen sind weitreichend: Sie lehnen Gewalt im Namen Gottes ab. Sie sehen auch keinen Widerspruch zwischen Islam und Demokratie oder Islam und Menschenrechten. Die Gläubigen stehen nicht unter Zwang, sondern sollen sich frei zu einem liebenden Gott bekennen.
Mouhanad Khorchide und Rachid Benzine zeigen, dass der Islam alles andere als monolithisch ist, sondern vielmehr pluralistisch, lebendig und debattenfreudig.
Rachid Benzine: Islam und Moderne, Die neuen Denker
Verlag der Weltreligionen Berlin
Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit, Grundzüge einer modernen Religion
Herder Verlag Freiburg
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