Aufklärung

Wie gefährlich ist "Sexting"?

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Sexting setzt sich aus "Sex" und "texting" ("Nachrichten verschicken") zusammen. © picture alliance / dpa / Frédéric Cirou
Markus Merkle im Gespräch mit Nana Brink |
Immer mehr Jugendliche fotografieren sich nackt und verschicken diese Bilder dann über ihr Smartphone. Man müsse stärker über die Folgen und Gefahren des sogenannten Sextings aufklären, sagt Medienpädagoge Markus Merkle.
Nana Brink: Man muss keine eigenen Kinder im Teenager-Alter haben, man kann es auch in der U-Bahn oder auf der Straße beobachten: Ständig fummeln die Kids an ihren SmartPhones. Ein riesiger Markt, wie wir gerade auf der größten Mobilfunkmesse in Barcelona sehen können.
Milliarden Worte schwirren täglich durch den Äther und nicht nur Worte, natürlich werden auch Fotos verschickt, und nicht nur harmlose, so nach dem Motto "hier stehe ich gerade". In Mode gekommen ist das sogenannte Sexting. Das sind Nacktfotos, die Jugendliche von sich verschicken.
Das ist eine Wortmischung zwischen Sex und Texting, also das Verschicken von Nachrichten nach dem Motto "ich will was sehen von Dir". Freiwilliges Posing scheint also ganz hoch im Kurs zu stehen, mit der Betonung auf freiwillig.
Markus Merkle betreut das Projekt "handysektor.de", das wird gefördert von der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen und dem medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest und beschäftigt sich genau mit diesem Phänomen.
Schönen guten Morgen, Herr Merkle!
Markus Merkle: Schönen guten Morgen.
Brink: Sexting, das Verschicken von Nacktfotos, wäre uns als Teenager überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Warum tun die das heute?
Merkle: Ja, das kann ich mir vorstellen. Das ist auch ein Stück weit eine gesellschaftliche Veränderung, vielleicht so eine andere Jugendkultur. Ich denke, jede Jugend hat da ihre Eigenheiten im positiven wie im negativen Sinne. Und wenn Sie jetzt speziell nach den Gründen fragen: Die Gründe, die wir hören, die sind sehr vielfältig.
Das fängt an bei der Selbstbestätigung, dass man Feedback bekommen möchte, wau, du siehst aber toll aus, und vor allem Mädchen verwechseln da auch Schönheit oft mit dem Zeigen von möglichst viel Haut. Die Jungs stehen dem aber eigentlich in nichts nach. Zum Beispiel hat ein Junge aus einer 6. Klasse mir vor Kurzem ganz stolz erzählt, dass er ein oberkörperfreies Bild auf Facebook gestellt hat und dann über 50 Likes bekommen hat.
Brink: Ist das ein Kult um den Körper, also das extreme mit sich selbst Beschäftigen?
Merkle: Die Selbstbetrachtung gab es ja schon immer, wie sehe ich auch nackt aus. Aber sobald man das Bild verschickt, dann wird es gefährlich, und das beobachten wir tatsächlich, dass heutzutage Jugendliche wirklich vielleicht auch von der Werbung oder von den Vorbildern, die es in den Medien gibt, hübsch sein wollen, schön sein wollen, Selbstbestätigung bekommen möchten.
Das ist wirklich einer der Hauptgründe für Sexting, für das Verschicken von diesen Nacktbildern. Was uns ein bisschen mehr beunruhigt ist sogar noch ein weiterer Grund, und das ist der sogenannte Liebesbeweis. Ich mache mal ein Beispiel: Wenn zum Beispiel ein Freund von seiner Freundin ein Nacktbild möchte, dann sagt der, Mensch, Du liebst mich doch, Du kannst mir doch vertrauen, dann schick mir doch bitte jetzt auch ein Nacktfoto von Dir. Vielleicht sagt sie am Anfang noch nein, möchte ich eigentlich nicht unbedingt. Dann sagt er aber, komm, Du kannst mir wirklich vertrauen, ich schicke es auch nicht weiter. Irgendwann ist es so weit, dass sie sagt, okay, ja, ich muss ihm doch eigentlich vertrauen, wenn ich mit ihm zusammen sein möchte, schickt ihm dann das Bild, und ab dann hat sie es nicht mehr in der Hand, was damit passiert.
Brink: Aber ist ihr das denn bewusst, oder ist das den meisten nicht bewusst?
Ein großer Vertrauensbruch
Merkle: Ja, das ist so eine Sache. Eigentlich sollte es ihnen durchaus bewusst sein und im Nachhinein sagen auch alle, Mensch, wie dumm war ich da nur, warum habe ich das bloß gemacht, eigentlich hätte ich es doch wissen müssen, aber ich habe dieser Person vertraut, ich habe wirklich gedacht, die schickt das nicht weiter, das ist wirklich was Intimes nur zwischen uns beiden, und das ist dann auch meistens ein richtig großer Vertrauensbruch, der da stattfindet, oft natürlich auch, wenn die Beziehung zum Beispiel in die Brüche gegangen ist, dass es dann erst im Nachhinein verschickt wird.
Brink: Sie haben es erwähnt: Bei den Mädchen kommt es, oder zumindest wir haben jetzt das Beispiel genannt, dass Mädchen das als Liebesbeweis verschicken muss, ein Nacktbild von sich. Umfragen haben auch ergeben, dass 19 Prozent aller Mädchen und elf Prozent der Jungen - immerhin: Es ist ja schon eine ganz große Zahl - das verschickt, aber mehr Mädchen. Warum? Gibt es eine Erklärung? Als Frau zweifelt man da ja so ein bisschen dran, ob irgendwas gefruchtet hat.
Merkle: Es ist ganz schwer, hier konkrete Zahlen zu sagen. Mir ist keine Studie bekannt, die jetzt da wirklich genau aufschlüsselt, wie viele Mädchen oder Jungs das tatsächlich machen. Wir wissen von beiden, dass sowohl Mädchen als auch Jungs das verschicken. Aber wenn Sie jetzt sagen, Sie haben da eine Zahl rausbekommen? Was ich mir vorstellen könnte, ist, dass es tatsächlich so ist, dass Mädchen doch noch ein Stück weit mehr Selbstbestätigung haben möchten, dass es bei ihnen doch noch ein bisschen mehr um ein Schönheitsideal geht, als das bei Jungs ist. Die wollen eher cool sein, vielleicht ihre Muskeln zeigen, aber das war es dann auch schon.
Brink: Den Schülern ist ja, wie Sie es geschildert haben, manchmal gar nicht klar, dass das Verschicken von Nacktfotos ziemlich üble Folgen haben kann, wenn man es dann zum Beispiel auf Facebook wiederfindet.
Merkle: Ja. Dann wird es spätestens ein großes Problem, auf Facebook oder aber auch in WhatsApp-Gruppen. WhatsApp ist ja so ein Messenger-Dienst, den Jugendliche auf ihrem SmartPhone haben, so eine kleine App, und auch über WhatsApp - da gibt es dann zum Beispiel eine Klassengruppe oder eine Gruppe mit meiner kompletten Klicke -, dort werden solche Nacktbilder verschickt. Und wenn das Bild erst mal an viele Empfänger gelangt ist, sei es jetzt über Facebook oder über WhatsApp, dann hat man es tatsächlich nicht mehr in der Hand, was mit diesem Bild passiert.
Brink: Die meisten Eltern sind ja dann ziemlich fassungslos und sagen, kann ich da überhaupt was tun. Nehme ich dann meinem Kind das SmartPhone weg?
Verständnis aufbringen
Merkle: Ich glaube, das wäre wahrscheinlich die falsche Lösung. Verbote bringen da eigentlich selten was. Aber klar: Es ist wichtig, dass wir die Jugendlichen über die Gefahr von Sexting aufklären, dass wir ihnen das bewusst machen, was da passieren kann, und es ist auch wichtig, dass wir Eltern aufklären, was bei der Jugend läuft. Ich kenne ganz viele Elternteile, die hätten sich das gar nicht vorstellen können, dass ihr Kind so was macht, und es ist auch wichtig, dass wir sie darin unterstützen, dass sie nicht gleich ein Verbot aussprechen, sondern dass sie viel mehr eine bewusste Aufmerksamkeit, so ein Feinfühligkeitsgefühl entwickeln, dass sie merken, irgendwas stimmt mit meinem Kind nicht, und dass sie vielleicht auch ein Stück weit Verständnis aufbringen können, wenn so ein Fall passiert ist, um dann gemeinsam mit ihrem Kind nach einer Lösung zu suchen.
Brink: Markus Merkle hat uns erklärt, wie das Phänomen Sexting funktioniert.
Schönen Dank für das Gespräch, Herr Merkle.
Merkle: Gerne geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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