Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl: Viva la Vagina! Alles über das weibliche Geschlecht
S. Fischer, Frankfurt/Main 2018, 400 Seiten
16,99 Euro
Die Wahrheit über die Vagina
Medizin und Biologie waren lange eine reine Männerdomäne - mit teils fatalen Folgen für das Wissen über das weibliche Geschlechtsorgan. Zwei junge Ärztinnen haben nun ein lehrreiches und ebenso unterhaltsames Sachbuch über die Vagina geschrieben.
"An dieser Stelle bietet sich eine kleine Pause an, in der wir zwei Dinge kommentieren wollen, die im Biologieunterricht in der Schule vernachlässigt werden." Diese freundliche, aber nachdrückliche Herangehensweise zieht sich durch das gesamte Buch der Norwegerinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl. Die jungen Ärztinnen unterziehen dem medizinischen Fachwissen über das weibliche Geschlecht ein gründliches Fact-Checking. Dass Biologie und Medizin wie alle Wissenschaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts eine Männerdomäne gewesen sind, ist bekannt. Doch in welchem Ausmaß diese Perspektive bis heute zu blinden Flecken, pseudo-wissenschaftlichen Mythen und haarsträubenden Stigmatisierungen führt, kommt nach der Lektüre des 400 Seiten starken Sachbuchs dann doch überraschend.
Falscher Kult um das Jungfernhäutchen
Nehmen wir den Kult um die weibliche Jungfräulichkeit. Die "Hymenrekonstruktion" ist längst auch in Europa ein gängiger chirurgischer Eingriff, bei dem das sogenannte Jungfernhäutchen wiederhergestellt wird. Schließlich soll es erst in der Hochzeitsnacht reißen, gilt doch das weibliche Blut als Nachweis vorheriger Unberührtheit. Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl halten mit Fakten dagegen. Das Hymen ist kein Siegel, das den gesamten Scheideneingang bedeckt. Es ist eine ringförmige Schleimhautfalte mit einem Loch in der Mitte, ein Überbleibsel aus dem Embryonalstadium, dem wie der männlichen Brustwarze keine biologische Funktion zukommt. Da das Hymen enorm flexibel und dehnbar ist, stammen Blutstropfen beim Sex viel eher von kleinen blutenden Rissen in der Scheidenwand. Die beiden Ärztinnen beklagen fehlende Aufklärung in der Fachliteratur: "Es ist haarsträubend, dass sich die Mediziner bisher so wenig für eine Struktur interessiert haben, die für moderne Frauen schlimmstenfalls den Verlust der Ehre oder gar den Tod bedeuten kann".
"Ein gesunder Intimbereich riecht"
Nachhilfebedarf in Sachen weibliche Biologie sehen die Autorinnen aber auch im "westlich-liberalen" Kulturkreis. Von der irreführenden Hierarchisierung zwischen klitoralem und vaginalem Orgasmus über den Mythos, nur Männer hätten feuchte Träume, bis zur Rehabilitierung des weiblichen Ausflusses: "Ein gesunder Intimbereich riecht. Das ist einfach so." Diese klare, verständliche Sprache, mit der die Autorinnen engagiert Stellung beziehen, setzt sich wohltuend ab von einem auf Objektivität und Fachbegriffe setzenden Standard medizinischer Nachschlagewerke. Dem Buch liegt ihr norwegischer Blog "Underlivet" (Unterleib) zugrunde, was diese persönliche Herangehensweise erklärt.
Vorbildliche Aufklärungsarbeit
In gerade mal fünf Kapiteln leisten die jungen Medizinerinnen vorbildliche Aufklärungsarbeit, die unterhaltsam geschrieben und mit anschaulichen Illustrationen versehen ist. Sie prangern "Fake News" über das weibliche Geschlechtsorgan an, ergänzen Informationen, die ihnen in der Fachliteratur fehlen und stellen Tipps und Checklisten zur Verfügung - von der Intimrasur bis zum Gebärmutterhalskrebs. Nie war ein medizinisches Sachbuch über das weibliche Geschlecht näher dran an der Lebensrealität von heute. Chapeau!