"Das hat saumäßig wehgetan"
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Starke Überalterung, kaum Nachwuchs: Einige Klöster und Konvente müssen aufgeben, so wie gerade in Berlin. Die Zahl der Mönche hat sich in den letzten Jahrzehnten halbiert. Der Abschied ist eine organisatorische Herausforderung - und eine emotionale.
Ein Franziskanerpater räumt auf. Vielleicht zum letzten Mal. Damian Bieger sortiert Artikel, Notizen und Publikationen im Archiv der St. Ludwig-Gemeinde in Berlin-Wilmersdorf. Sortiert und gepflegt werden die Hinterlassenschaften von Gemeindemitglied Norbert Gembaczka.
Historische Schätze im Archiv der Gemeinde
Manche der Papiere stammen noch aus der Vorkriegszeit. Doch es gibt noch mehr. "Heute sind ein paar Bücher abgeholt worden", sagt Pater Damian. "Was die Kirche angeht, das ist ein echter Schatz. Das ist historisch relativ bedeutsam."
In Deutschland leben noch 240 Franziskanermönche in 30 Klöstern und Konventen. Die meisten von ihnen sind über 80 Jahre alt, nur 15 Mönche sind derzeit unter 50. Die Überalterung ist ein Problem, daher werden Standorte wie die Kirchengemeinde St. Ludwig in Berlin-Wilmersdorf von den Franziskanern aufgeben.
Pater Maximillian Wagner hat die Gemeinde geleitet. "Ich glaube, das liegt nicht an den alten Brüdern", sagt er. "Natürlich, wenn der Anteil der jüngeren noch höher wäre, wäre es noch attraktiver für junge Leute, da anzudocken. Wir müssen schon aufpassen, dass wir noch genügend Andockfläche bieten für jüngere Leute. Aber es ist allgemein so: Man will sich nicht mehr festlegen."
Dieses Problem ist bei den Nonnen noch viel größer. 1955 gab es 3500 Novizinnen in Deutschland, im Jahr 2013 waren es 62. Die Folge der "Verzwergung" der Orden ist, dass Klöster und Konvente aufgegeben werden. Doch was passiert mit den oft jahrhundertealten Gotteshäusern, und was mit dem Inventar?
Eine Flaschenpost der Geschichte
Pater Damian Bieger, einer der vier Franziskanerbrüder, die die Gemeinde St. Ludwig betreuten, ist ab dem ersten September Beauftragter für Geschichte und kulturelles Erbe der deutschen Franziskanerprovinz. Er zeigt ein altes Kupferrohr, das bei Dachausbesserungsarbeiten an der Kirche gefunden wurde:
"Da ist die Widmung in der Turmkugel oben gewesen, und da ist aufgeschrieben, wer da alles mitgearbeitet hat. Ja, und das ist dann hier: 'Im Namen des dreieinigen Gottes im Oktober 1927', ist alles in Altdeutsch geschrieben, als Pius der XI. die Kirche regierte, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg Präsident des Deutschen Reiches war. Also, das ist eine Flaschenpost für die Geschichte."
Ein ganzes Kloster mit jahrhundertealtem Inventar wie Büchern, Gemälden und liturgischem Gerät aufzulösen, sei auch für einen promovierten Kirchenhistoriker keine leichte Angelegenheit, sagt Pater Damian. "Ich möchte das mit einem Bild fassen. Wir Franziskaner sind ein sehr alter Orden, 800 Jahre sind wir jetzt alt, da sammelt sich ganz viel an über die Jahrhunderte. Das ist, als wenn Sie ein Haus erben." Und man wisse ja, was einen in so einem Haus erwarte, so der Pater:
"Es ist ein furchtbares Durcheinander, und Sie wissen genau, unter diesem ganzen Wust liegen wirklich Kostbarkeiten. Wir dürfen nicht vergessen, wer wir sind. Also, unser Erbe ist auch das, woraus wir leben, das ist unsere Wurzel. Wir sollten uns nicht ständig mit den alten Sachen beschäftigen in dem Sinne: Das ist kostbar, und da darf keiner ran. Ich koordiniere den Prozess des Erhaltens."
Die Kamera des Heiligen Franziskus
Pater Damian zur Seite steht die FFF, die Fachstelle für Franziskanische Forschung in Münster. Bernd Schmies ist ihr Geschäftsführer. "Die Fachstelle franziskanische Forschung in Münster wurde 2007 von den deutschsprachigen Ordensprovinzen der Franziskaner und Kapuziner und Franziskanermennoniten gegründet", erklärt Schmies. "Das Beispiel der Zittauer Fastentücher illustriert sehr gut die Arbeit der FFF. Dabei interessierten uns bau- und kunstgeschichtliche Fragen ebenso wie provinz- und landesgeschichtliche Aspekte."
Pater Damian Bieger hat inzwischen in seinem Büro noch eine weitere Rarität entdeckt, eine echte Schönheit, die so manchen Fotografen begeistern würde: "Eine uralte Leica-Kamera. Ich bin mir unsicher, ob sie aus den 50er-Jahren oder aus den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts ist." Diese Leica könne eine Geschichte erzählen, sagt Pater Damian, denn mit ihr seien die mittelalterlichen Pergamente fotografiert worden, aus denen man die Schriften des Heiligen Franziskus rekonstruiert habe:
"Im 20. Jahrhundert haben wir Franziskaner, wie auch andere Orden, uns daran erinnert, wer wir denn eigentlich sind. Bedingt durch die Säkularisation und auch durch die Entwicklung im 19. Jahrhundert war ein Stück weit in Vergessenheit geraten, wer wir eigentlich sind. Und die große franziskanische Entdeckung des 20. Jahrhunderts – nicht zuletzt durch diese Kamera – war, dass wir jetzt sagen können: Was hat Franziskus tatsächlich geschrieben? Und das hat die Ordensgesetzgebung verändert in den 1960er-Jahren. Das ist entscheidungsleitend geworden dafür, wie wir heute und in Zukunft leben wollen. Also, diese Kamera und die mittelalterlichen Häute, das hängt enger zusammen, als man denkt."
Lektionen in Demut
Wer wir eigentlich sind: Diese zentrale Frage bewegt Pater Damian sehr. Zumal bei Erlösen aus dem Verkauf der zum Teil sehr wertvollen Antiquitäten auch die Frage nach der Armut aufkommt, die die Franziskaner seit Jahrhunderten geloben.
"Ja, natürlich, wir sind gezwungen, uns zu konzentrieren. Und Konzentration bedeutet natürlich auch, dass wir bewerten und entscheiden müssen. Armut? Also, ich glaube, sich von Sachen zu trennen, das geht schon. Neulich haben wir der bayerischen Staatsbibliothek 14 Inkunabeln, also Wiegendrucke, gegeben. Und dafür haben wir kein Geld bekommen. Ich glaube, da würden wir uns auch tatsächlich verraten. Also, wir machen keinen Antiquitätenhandel.
Auf die Frage, ob es nicht wehtut, wenn man diese altehrwürdigen Gotteshäuser aufgeben muss, nickt Pater Damian:
"Der emotionale Teil ist ja auch, dass wir uns, wenn wir so was aufgeben, eingestehen müssen, dass wir Sachen nicht mehr können, die wir früher mal konnten. Und dabei fühlt sich keiner gut. Als wir Anfang des Jahres in Neviges weggegangen sind, das ist für mich persönlich, das ist meine erste Liebe: In Neviges habe ich die Franziskaner kennengelernt, da bin ich in den Orden eingetreten, da war ich Kaplan, da war ich Pfarrer, das hat saumäßig wehgetan.
Wir sind jetzt gerade in einer Zeit, dass, wenn ich es mal fromm sage, der liebe Gott fügt es so, dass wir klein und demütig gemacht werden. Aber ich denke, dass wir unsere Stunde wiederhaben werden."