Aufnahmen von ungewöhnlicher Intimität
Als Fotografin war sie eine Ausnahmebegabung, die es verstand, ihre Verführungskünste fürs Berufliche zu nutzen: Gisèle Freund. Die in Paris lebende Journalistin Bettina de Cosnac hat eine Biografie über Freund geschrieben und damit ein Lücke gefüllt.
Sich selbst bezeichnete sie immer als Amateurin. Denn sie hat ihr Handwerk in keiner Schule gelernt, nie einen Kurs besucht, selbst das Retuschieren blieb ihr ein Fremdwort. Und doch wurde sie mit ihren Porträts und Fotoreportagen weltberühmt. Sie ist die einzige unter ihren Kollegen, der so viele international bekannte Literaten und Künstler Modell gesessen haben, und sie war die erste, die eine wissenschaftliche Arbeit über die Geschichte der Fotografie schrieb.
Erstaunlicherweise gab es bislang keine Biografie über Gisèle Freund. Diese Lücke schließt nun die in Paris lebende Journalistin Bettina de Cosnac, die die Fotografin in den 80er-Jahren persönlich kennenlernte, pünktlich zu deren hundertstem Geburtstag. Sie hat in Archiven recherchiert, mit Zeitgenossen gesprochen und private, unveröffentlichte Briefe entdeckt. Den Lebensweg erzählt sie chronologisch, in kurzen Kapiteln, detailfreudig und immer wieder angereichert mit Anekdoten.
Gisèle Freund, die am 19. Dezember 1908 in Berlin-Schöneberg zur Welt kam, wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie auf. Ihr Vater war Kaufmann und Kunstsammler. Liebermann und Slevogt porträtierten ihn, Baluschek, Käthe Kollwitz und Alfred Einstein gingen bei Freunds aus und ein. Selbstbewusst und links, verließ sie mit 16 ihr Elternhaus, studierte Soziologie bei Adorno, Karl Mannheim und Norbert Elias und flüchtete 1933 aus Deutschland nach Paris.
Zunächst ganz allein auf sich gestellt, verschaffte sie sich über die Verlegerin Adrienne Monnier, mit der sie jahrelang eine intime Freundschaft verband, Zugang zur Literatur- und Kunstszene. Schon während ihres Studiums hatte sie begonnen, fotojournalistisch zu arbeiten.
Nun porträtierte sie André Malraux, Walter Benjamin, mit dem sie monatelang einen Tisch in der Bibliothèque Nationale teilte, um ihre Dissertation zu schreiben, James Joyce und sie schaffte es bald, ihre Arbeiten zu verkaufen, an Paris Match, Times Magazine, Life und Look. Sie gehörte zu den ersten, die eine bahnbrechende Neuerung, den 1938 auf den Markt gekommenen 35-mm-Farbfilm nutzte, während die meisten ihrer Berufskollegen wie Henri Cartier-Bresson die Farbfotografie noch ablehnten.
Gisèle Freund war eine Kommunikationsbegabung. Dank dieser Fähigkeit gelang es ihr, Begegnungen mit den jungen "Wilden" der 30er-Jahre, mit Jean-Paul Sartre, Jean Cocteau, Peggy Guggenheim, Marcel Duchamp und Colette wie private Zusammenkünfte zu gestalten. Die sensiblen Aufnahmen sind während des Gesprächs entstanden und beeindrucken durch ihre ungewöhnliche Intimität. Sie sind weder im Studio inszeniert, noch durch Retuschen bearbeitet.
Zu den Ikonen der Porträtfotografie zählen ihre Studien von Simone de Beauvoir etwa, die hingebungsvoll - rosa Bluse, blauer Rock - auf rotem Sofa lagert oder ihre Fotoserien von Virginia Woolf oder Frida Kahlo. Daneben warf sich Gisèle Freund aber auch immer wieder ins Getümmel und machte Fotoreportagen. Bis in die 70er-Jahre bereiste sie die ganze Welt und schuf berührende sozialkritische Serien über Menschen, die in Not oder im Luxus lebten.
Berühmt wurde sie auch mit ihrer Enthüllungsreportage über das Privatleben von Evita Perón im Jahr 1950, die zu diplomatischen Störungen zwischen Argentinien und den USA führte - und zu ihrem Ausschluss aus der Agentur Magnum. Einer der Höhepunkte ihrer Karriere war 1981 das offizielle Porträt des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand, das sie nach dessen glanzvoller Wahl anfertigte.
Erst 1957 besuchte sie Deutschland, obwohl sie es nach ihrer Emigration eigentlich nie wieder betreten wollte. 1996 wurde die in zahllosen internationalen Ausstellungen geehrte Künstlerin dort mit dem Titel einer Professorin honoris causa ausgezeichnet.
Etwas unterbelichtet bleibt in der munter erzählten Biografie leider die theoretische Seite der Fotografie. Doch reißt die Autorin immerhin die - letztlich unlösbare - Frage an, welchen Anteil Walter Benjamin an Freunds Thesen hat und umgekehrt, in welcher Weise sie den Kunstwerk-Essay beeinflusst haben könnte.
Ebenso erhellt sie den Nebel aus Legenden, den Gisèle Freund Zeit ihres Lebens um sich verbreitete, um ihre materiellen Verhältnisse etwa, die sie aus Angst, zu der "Gauche caviar", der Luxuslinken, gezählt zu werden, immer vertuscht hat. Ohne indiskret zu sein, stellt de Cosnac immer wieder einen besonderen Zug Gisèle Freunds heraus, den der begnadeten Frauenverführerin: ein Talent, das zum Geheimnis ihres Erfolgs gehört.
Ergänzend zu der Biografie sei das 1985 erschienene einzigartige Bild-Tagebuch der Fotografin empfohlen, das der Schirmer/Mosel-Verlag in einer Neuauflage herausgebracht hat - ein Vergnügen für alle, die es nach der Lebensbeschreibung zum Anschauen all der wunderbaren Künstlerporträts drängt.
Rezensiert von Edelgard Abenstein
Bettina de Cosnac: Gisèle Freund. Ein Leben
Arche Verlag, Zürich/Hamburg 2008
304 Seiten, 24 Euro
Erstaunlicherweise gab es bislang keine Biografie über Gisèle Freund. Diese Lücke schließt nun die in Paris lebende Journalistin Bettina de Cosnac, die die Fotografin in den 80er-Jahren persönlich kennenlernte, pünktlich zu deren hundertstem Geburtstag. Sie hat in Archiven recherchiert, mit Zeitgenossen gesprochen und private, unveröffentlichte Briefe entdeckt. Den Lebensweg erzählt sie chronologisch, in kurzen Kapiteln, detailfreudig und immer wieder angereichert mit Anekdoten.
Gisèle Freund, die am 19. Dezember 1908 in Berlin-Schöneberg zur Welt kam, wuchs in einer großbürgerlichen jüdischen Familie auf. Ihr Vater war Kaufmann und Kunstsammler. Liebermann und Slevogt porträtierten ihn, Baluschek, Käthe Kollwitz und Alfred Einstein gingen bei Freunds aus und ein. Selbstbewusst und links, verließ sie mit 16 ihr Elternhaus, studierte Soziologie bei Adorno, Karl Mannheim und Norbert Elias und flüchtete 1933 aus Deutschland nach Paris.
Zunächst ganz allein auf sich gestellt, verschaffte sie sich über die Verlegerin Adrienne Monnier, mit der sie jahrelang eine intime Freundschaft verband, Zugang zur Literatur- und Kunstszene. Schon während ihres Studiums hatte sie begonnen, fotojournalistisch zu arbeiten.
Nun porträtierte sie André Malraux, Walter Benjamin, mit dem sie monatelang einen Tisch in der Bibliothèque Nationale teilte, um ihre Dissertation zu schreiben, James Joyce und sie schaffte es bald, ihre Arbeiten zu verkaufen, an Paris Match, Times Magazine, Life und Look. Sie gehörte zu den ersten, die eine bahnbrechende Neuerung, den 1938 auf den Markt gekommenen 35-mm-Farbfilm nutzte, während die meisten ihrer Berufskollegen wie Henri Cartier-Bresson die Farbfotografie noch ablehnten.
Gisèle Freund war eine Kommunikationsbegabung. Dank dieser Fähigkeit gelang es ihr, Begegnungen mit den jungen "Wilden" der 30er-Jahre, mit Jean-Paul Sartre, Jean Cocteau, Peggy Guggenheim, Marcel Duchamp und Colette wie private Zusammenkünfte zu gestalten. Die sensiblen Aufnahmen sind während des Gesprächs entstanden und beeindrucken durch ihre ungewöhnliche Intimität. Sie sind weder im Studio inszeniert, noch durch Retuschen bearbeitet.
Zu den Ikonen der Porträtfotografie zählen ihre Studien von Simone de Beauvoir etwa, die hingebungsvoll - rosa Bluse, blauer Rock - auf rotem Sofa lagert oder ihre Fotoserien von Virginia Woolf oder Frida Kahlo. Daneben warf sich Gisèle Freund aber auch immer wieder ins Getümmel und machte Fotoreportagen. Bis in die 70er-Jahre bereiste sie die ganze Welt und schuf berührende sozialkritische Serien über Menschen, die in Not oder im Luxus lebten.
Berühmt wurde sie auch mit ihrer Enthüllungsreportage über das Privatleben von Evita Perón im Jahr 1950, die zu diplomatischen Störungen zwischen Argentinien und den USA führte - und zu ihrem Ausschluss aus der Agentur Magnum. Einer der Höhepunkte ihrer Karriere war 1981 das offizielle Porträt des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand, das sie nach dessen glanzvoller Wahl anfertigte.
Erst 1957 besuchte sie Deutschland, obwohl sie es nach ihrer Emigration eigentlich nie wieder betreten wollte. 1996 wurde die in zahllosen internationalen Ausstellungen geehrte Künstlerin dort mit dem Titel einer Professorin honoris causa ausgezeichnet.
Etwas unterbelichtet bleibt in der munter erzählten Biografie leider die theoretische Seite der Fotografie. Doch reißt die Autorin immerhin die - letztlich unlösbare - Frage an, welchen Anteil Walter Benjamin an Freunds Thesen hat und umgekehrt, in welcher Weise sie den Kunstwerk-Essay beeinflusst haben könnte.
Ebenso erhellt sie den Nebel aus Legenden, den Gisèle Freund Zeit ihres Lebens um sich verbreitete, um ihre materiellen Verhältnisse etwa, die sie aus Angst, zu der "Gauche caviar", der Luxuslinken, gezählt zu werden, immer vertuscht hat. Ohne indiskret zu sein, stellt de Cosnac immer wieder einen besonderen Zug Gisèle Freunds heraus, den der begnadeten Frauenverführerin: ein Talent, das zum Geheimnis ihres Erfolgs gehört.
Ergänzend zu der Biografie sei das 1985 erschienene einzigartige Bild-Tagebuch der Fotografin empfohlen, das der Schirmer/Mosel-Verlag in einer Neuauflage herausgebracht hat - ein Vergnügen für alle, die es nach der Lebensbeschreibung zum Anschauen all der wunderbaren Künstlerporträts drängt.
Rezensiert von Edelgard Abenstein
Bettina de Cosnac: Gisèle Freund. Ein Leben
Arche Verlag, Zürich/Hamburg 2008
304 Seiten, 24 Euro