Aufputschmittel

Siegeszug von Crystal Meth

Von Ronald Düker |
Crystal Meth, dieses kristalline Metamphetamin, hat hierzulande eine ganze Region fest im Griff. Quer durch alle Gesellschaftsschichten verfallen Menschen einer Droge, die sie zunächst oft nur für ein Mittel gegen Stress und Überarbeitung halten.
Sie putschen sich auf wie die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, als dieselbe Substanz unter dem Namen "Pervitin" verteilt wurde. Dabei gilt Crystal Meth als hoch gefährlich. Warum aber? Und wie hängt dieses kristalline Metamphetamin mit der neuesten Konjunktur des "Neuro Enhancement" zusammen, also der Verbesserung unserer Gehirn-Leistung durch Chemie, für die renommierte Wissenschaftler schon heute eifrig werben?

Manuskript zur Sendung:
"Die Wirkung, die ist am Anfang phänomenal. Und nachdem sich der Körper dran gewöhnt hat, an diese Wirkung, dann ist sie es irgendwann nicht mehr, und dann will man es halt aufstocken mit noch mehr. Noch mehr, noch mehr, noch mehr, noch mehr."
"Ich dachte, das wären psychische Probleme, wegen denen ich mich immer umbringen will. Ich hätte nie an die Droge gedacht. Nie."
Drogen in Deutschland. Wie spricht man darüber? Neben Christiane F. und ihren "Kindern vom Bahnhof Zoo" fällt einem zunächst einmal der Schriftsteller und Journalist Jörg Fauser ein. Der hatte in seinem Leben eigentlich alles genommen, was er bekommen konnte. Deshalb nannte man ihn auch den deutschen William S. Burroughs. Kaum einer konnte so gut die jeweiligen Wirkungen der verschiedenen Substanzen erklären, zum Beispiel den Unterschied zwischen Sekt und Bier.
"Der Sekt ..."
... schimpfte Fauser im Jahr 1983,
"dieser falsche Aufputschteufel, der uns erst mit Sodbrennen, dann mit Magengeschwüren attackiert, erst mit falscher Euphorie beleidigt und dann mit Depressionen herausfordert, der Sekt ist eine Seuche - Volksseuche Nr. 1. Dabei wäre wie so oft im Leben, das Desaster zu vermeiden gewesen, wären wir doch beim Naheliegendsten geblieben, beim Bier. Als ob das Bier nicht alles hätte, was wir Deutschen brauchen, um mit beiden Füßen fest auf der Erde zu blieben, wenn das Leben uns stürmisch kommt - und als ob nicht auch das Bier, in Maßen und in guten Qualitäten genossen, genau jenen Dämmerzustand herstellt, der uns sachte von der festen Erde abhebt und uns hernach einen bekömmlichen Schlaf schenkt. Ich frage mich, wofür wir Sekt brauchen, wenn wir Bier haben."
An diese Zeilen denke ich, als mir auf dem Weg nach Bayreuth eines jener braunen Autobahnschilder auffällt, auf denen in ganz Deutschland Werbung für die jeweils umliegende Gegend gemacht wird.
Suchtregion Oberfranken
"Genussregion Oberfranken. Land der Brauereien"
Tatsächlich ist Oberfranken aber keine Genussregion. Eher eine Suchtregion. Das wird zum Beispiel im "Joker Casino" deutlich, einer Spielhölle gleich am Bayreuther Hauptbahnhof. Rastlos und ganz und gar in ihr Tun vertieft, laufen die Spieler zwischen mehreren Automaten hin und her. Ein junger Mann in Skateboarder-Jacke hackt in manischem Tempo auf eine Maschine ein, auf der ein Spiel namens "Extra Wild" läuft. Seine Augen kleben wie hypnotisiert am Bildschirm. Plötzlich springt er auf, verschwindet auf der Toilette und kommt eine ganze Stunde lang nicht mehr zurück. So als hätte er die Zeit vergessen. Dies sind typische Effekte für eine Droge, die hier so verbreitet ist wie sonst nirgendwo in Deutschland: Crystal Meth - kristallines Metamphetamin, ein hochwirksames, halbsynthetisch hergestelltes Stimulans. Seit dem Schengener Abkommen aus dem Jahr 2007 sind die Grenzen offen. Und die insbesondere in Tschechien hergestellte Substanz ist in den grenznahen Regionen spottbillig zu bekommen. Kein Wunder also, dass man sich ausgerechnet in der Bezirksklinik Bayreuth auf die Therapie dieser Drogensucht spezialisiert hat. Roland Härtel-Petri, der Oberarzt der suchtmedizinischen Abteilung, erläutert, wie Crystal Meth im Gehirn eines Süchtigen wirkt:
"Alle Drogen haben ja irgendwo im Körper ihre Andockstellen bei den Neurotransmittern, beziehungsweise bei diesen Pumpen, die dafür sorgen, dass die Botenstoffe, die zwischen den Nervenzellen die Übertragung von Informationen ermöglichen, dass die wieder recycelt werden. Das Metamphetamin blockiert, wie auch andere Drogen, diese Rückaufnahme, das bedeutet, das Dopamin, das in den Zellspalt kommt, kann ganz, ganz lange und stark wirken."
Dopamin, das ist ein Neurotransmitter, der in unserem Gehirn für Glücksgefühle sorgt.
Ungeahntes Glücksgefühl
"Was es aber noch sehr viel stärker macht als alle anderen Substanzen ist, dass es selber in die Nervenzelle aufgenommen wird, also aus der, aus der das Dopamin gekommen ist, und der Nervenzelle dann die Dopamin-Speicherbläschen kaputt gehen, und auch die Kraftwerke der Zelle, die Mitochrondrien. So dass einerseits das ganze Dopamin schlagartig rauskommt, daher dieser Riesenflash, dieses großartige Glücksgefühl, das die Konsumenten am Anfang verspüren."
Crystal Meth wird häufig geraucht.
Crystal Meth wird häufig geraucht.© picture alliance / ZPress / Robin Nelson
Mit diesem Glückgefühl stellt sich schlagartig ein ungekanntes Selbstvertrauen ein, und das Gefühl von Stärke und Schnelligkeit. Man fühlt sich hellwach und hat keinen Hunger. Doch der Preis dafür ist hoch. Roland Härtel-Petri:
"Diese Nervenzellen selber, diese Ausläufer, diese Axone der Nervenzelle, die sterben dann ab, und dann funktioniert der Mensch eben nicht mehr. Die Nervenzelle funktioniert nicht mehr, und der Mensch kann sich dann nicht mehr motivieren auf die Dinge, die ihm sonst Freude bereiteten."
Wie so viele Substanzen, die heute als Drogen geläufig sind, also unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, tauchte auch das Metamphetamin zunächst als Medikament auf. Seine Geschichte reicht 80 Jahre zurück.
"Das Interessante oder das sehr Spezielle an Amphetamin und auch Metamphetamin liegt schon an ihrer Anlage. Amphetamin kam Anfang der 30er-Jahre auf den amerikanischen Markt, war ein Asthmamittel, verkaufte sich wahnsinnig gut, und der Hersteller war interessiert, noch mehr zu verkaufen. Um neue Märkte zu erschließen, hat er dann durch gezielte Finanzierung der Forschung, also er hat einfach Projekte geforscht, die neue Verwendungen erfunden haben oder neue Erfindungen entdeckt haben, je nachdem, wie man das betrachtet, er hat also dann nur die Sachen finanziert, bis zur Veröffentlichung finanziert, die neue Verwendungen für dieses Medikament hinzufügten."
Hans-Christian Dany. Er ist der Autor des Buches "Speed. Eine Gesellschaft auf Droge".
"Es wurde als Entzugsmittel für Alkohol verwendet, es wurde bei Parkinson verwendet, es gab über 40 Anwendungsbereiche innerhalb kürzester Zeit für eine einzige Substanz, von denen man sich dann sehr schnell von den meisten wieder verabschiedet hat. Und ich denke, da ist eben auch sehr stark diese Anlage zur Droge schon von dem Umgang, den die Industrie eigentlich darin angelegt hat, vorgegeben. Weil, die Unterscheidung zwischen Medikament und Droge ist ja in starkem Maße, was steht auf dem Beipackzettel, wofür soll man das anwenden, das ist jetzt dafür da, dass die Kopfschmerzen weggehen, aber man kann es halt auch, wenn man mehr davon nimmt oder, wenn man es nimmt, wenn man gar nichts hat, als Rauschmittel oder als einen Umgang mit Alltag verwenden. Das nennt man dann Droge."
Das Medikament wird zur Droge
Ein sehr frühes und vielleicht das prominenteste Amphetamin-Opfer war die amerikanische Schauspielerin Judy Garland. Sie ist auch ein Beispiel dafür, wie die Substanz, die zunächst als Medikament eingesetzt wurde, bald zur Droge wurde. Als Judy Garland 1969, und im Alter von nur 47 Jahren an einer Überdosis Tabletten starb, war das nur der Schlusspunkt hinter eine Drogenkarriere, die sie bereits als Teenager eingeschlagen hatte.
"Judy Garland war gecastet worden für den Film 'The Wizard of Oz'. Und zwischen diesem Casting und dem Beginn der Dreharbeiten hat sie angefangen plötzlich stark zu pubertieren und sah plötzlich nicht mehr wie die zehnjährige Dorothy, die sie in dem Film darstellen sollte, aus, sondern wurde langsam eine junge Frau. Ihr wuchs ein Busen und sie bekam halt Formen, die nicht mehr kindlich genug aussahen. Das ließ sich nicht alles mit dem Kostüm beseitigen, und daraufhin hat der Werksarzt der Filmfabrik vorgeschlagen, man könnte ihr doch einfach regelmäßig Amphetamin geben, sie würde dadurch dünner werden, und man könnte auch diesen Pubertätsprozess stoppen, beziehungsweise erst mal für eine Weile, für den Zeitraum der Dreharbeiten, unsichtbar machen."
"Die Wirkung davon war, dass sie einfach die ganze Zeit latent unter Drogen stand. Was man auch sehr gut sehen kann, also in den Filmaufnahmen, wie sie da so aus ganz, ganz weiter Ferne guckt und eben auch dieses Lied singt, was für mich so ein bisschen wie der Beginn der Verwendung einer Droge als Medium ist, der dann sich fortsetzt in so einer durch Drogen geprägten Popkultur. Was auch schon eben bei ihr auftaucht, ist dieses leichte Flirren in der Stimme und auch dieses Flirren, was auch diesem Lied das Besondere gibt."
"Hermann-Göring-Pillen" für Soldaten
Was Judy Garland während der Dreharbeiten im Jahr 1939 bekommen hatte, war Amphetamin, also derselbe Wirkstoff, der unter dem Namen "Speed" bis heute als aufputschende Droge konsumiert wird. Im selben Jahr, also mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, trat aber das Metamphetamin erstmals größer in Erscheinung. Die Wirkung dieser Substanz übertrifft die des Amphetamins um ein Vielfaches.
Der japanische Pharmakologe Akira Ogata hatte Metamphetamin zum ersten Mal 1921 in kristalliner Form synthetisiert. Nun erst schlug aber die Stunde des Großeinsatzes: Im Zweiten Weltkrieg versuchten die Achsenmächte Japan und Deutschland ihre militärische Unterlegenheit pharmazeutisch zu kompensieren. Unter dem Namen "Pervitin" wurde die vermeintliche Wunderdroge in Deutschland gefeiert. Die Tabletten sollten Konzentration, Marschgeschwindigkeit und Opferbereitschaft der Wehrmachtssoldaten erhöhen. Die Produktion des Pharmakonzerns "Temmler", der das Medikament in Berlin herstellte, wurde als kriegswichtig eingestuft. Im Volksmund war von der neuen "Panzerschokolade" oder den "Hermann-Göring-Pillen" die Rede.
"Die Wehrmacht war sehr interessiert an diesem Medikament, da es einfach Benutzer länger am Stück wachhalten konnte. Und es gab so eine Diskussion innerhalb der Wehrmacht, es gab eine Pro- und eine Kontra-Fraktion, und die Pro-Fraktion hat gesagt, damit können wir die halt tagelang am Stück marschieren lassen. Die Kontrafraktion hat gesagt, ja, aber wir schieben bei denen die Erschöpfung nur auf, und hinterher sind sie dann umso erschöpfter."
N-Methylamphetamin kommt in Form von Kristallen - daher der Name "Crystal Meth"
N-Methylamphetamin kommt in Form von Kristallen - daher der Name "Crystal Meth"© picture alliance / dpa / Arno Burg
Das "Pervitin" von damals und das "Crystal Meth" von heute: Es sind nur zwei Namen für dieselbe Droge. Ein entscheidender Unterschied liegt aber in der Dosierung. Denn der Kick des viel höher konzentrierten Crystal Meth ist sehr viel stärker. Das liegt zum einen am Wirkstoffgehalt, zum anderen in der Verabreichungsform. Roland Härtel-Petri:
"Während in den 80er-Jahren das Speed und das Ecstasy oral eingenommen wurden, als Tabletten, ist dieses Crystal Speed, dieses kristalline Metamphetamin, eine Substanz, die hauptsächlich nasal eingenommen wird am Anfang. Das bedeutet, dass sofort sehr viel größere Wirkstoffmengen im Hirn ankommen als das bei den Amphetaminen oder beim Ecstasy je der Fall war. Das bedeutet, dass es sehr viel schneller abhängig macht."
Und wem die Wirkung bei steigender Gewöhnung an die Substanz zu schwach erscheint, kann sie durch eine andere Verabreichung auch noch verstärken.
"Das Crystal Speed hier in Oberfranken wird in den letzten Jahren aber auch immer wieder geraucht, das heißt, es wird einfach in irgendein Glas hineingegeben, zum Beispiel eine abgeschraubte Glühbirne, und dann wird es erhitzt mit diesen Schnell- mit diesen Heißbrennern, und dann wird es eingeatmet, und das gilt als eine noch gefährlichere Konsumform"
Entgiftung und Langfristtherapie
In der Bezirksklinik Bayreuth leitet Roland Härtel-Petri die Entgiftungskuren von Crystal-Meth-Benutzer, die sich eben erst in Behandlung begeben haben. Im Anschluss daran empfehlen die Mediziner langfristigere Therapieformen.
"Das können Selbsthilfegruppen sein, wir haben exzellente Narcotics-Anonymus-Gruppen hier in Bayreuth, es kann aber auch ambulante Reha sein, teilstationäre Reha gibt’ es hier in Oberfranken nicht für Amphetaminpatienten, oder dann die berühmte Langzeittherapie, die stationäre Reha. So eine stationäre Reha dauert dann 26 Wochen, das ist eine Riesen-Überwindung für jemanden aus der Drogenszene, zu sagen, ich gehe ein halbes Jahr weg und ich versuche danach, ein komplett neues Leben an einem anderen Ort anzufangen. Das bedeutet ja einen kompletten Bruch mit all den Menschen, mit denen man seine letzten Jahre so vermeintlich gut verbracht hat, nämlich mit denen, die konsumiert haben."
Die Rehabilitationsklinik Hochstadt liegt eine halbe Stunde von Bayreuth entfernt. Sie ist einem ehemaligen Zisterzienserkloster aus dem 17. Jahrhundert untergebracht. Die Autofahrt dorthin verläuft durch den idyllischen Naturpark Frankenwald, aber man darf sich nicht täuschen. Am Straßenrand stehen Plakate, die davon künden, dass es hier, in der so beschaulich wirkenden Provinz, auch ganz schön zu Sache geht. Eine Techno-Party wird unter einem Motto aus nur vier Buchstaben angekündigt: FUCK.
In Hochstadt treffe ich Thorsten Schneider, dessen Name hier aus Gründen der Anonymisierung geändert wurde. Ich frage ihn, wie lange man sich wach halten kann auf Crystal-Meth.
Neun Tage ohne Schlaf
"Also, ohne dass es richtig auffällt, kann man zwei, drei Tage, aber im Prinzip fünf, sechs Tage. Wenn man zwischendrin mal eine halbe Stunde schläft, geht es schon, man kann es echt lang rausziehen. Mein längstes waren mal acht, neun Tage."
Und wie fühlt sich das an?
"Die Zeit verfliegt. Ohne, dass man irgendwas Sinnvolles gemacht hat, sind drei, vier Tage rum, und man schnallt es einfach überhaupt nicht. Gar nicht. Aber man hat eben das Gefühl, dass alles passt. Komplett."
"Man macht stundenlang irgendeinen Schwachsinn daheim, wo arbeiten fast unmöglich ist auf Crystal. Man schafft es meistens gar nicht mehr zur Haustür rauszugehen, weil man davor noch den MP3-Player sucht und dann nimmt man den MP3-Player, und dann sitzt man erst mal sechs Stunden mit dem MP3-Player rum und rafft überhaupt nichts mehr. Also das ist wirklich komisch. Und wenn dann ein Freund sagt, der ist gleich da, und der ist auf Crystal, das kann dann noch ungefähr fünf, sechs Stunden dauern, und das ist nicht einmal bös von dem. Weil der macht dann im Auto irgendwas ganz Unsinniges, und das ist ganz wichtig für den dann im Moment."
Thorsten Schneider ist schon seit Monaten in der Reha. Vor 15 Jahren ist der heute 35-Jährige über Amphetamin an Crystal Meth geraten, er half damals in der Diskothek seines Bruders aus. Dieser Bruder, ebenfalls Crystal-abhängig, hat sich mittlerweile umgebracht. Das hat auch Thorsten Scheider schon mehrfach versucht. Immer wieder ist er in der Psychiatrie gelandet und zuletzt für ein ganzes Jahr im Gefängnis. Nun also die Reha. Thorsten Schneider sitzt mir in Jogginghose, Turnschuhen, Base-Cap und einem T-Shirt gegenüber, an den Unterarmen kann man so die vernarbten Schnittwunden erkennen. Offen spricht er über seine Krankheit. Seine Lebensgeschichte ist aber auch ein Beispiel dafür, wie lange Crystal-Meth-Benutzer ihre Sucht vor der Umwelt geheim halten können.
Die geheimgehaltene Sucht
"Das krasse ist eben: Ich bin mit 20 zur Lufthansa und habe da vier Jahre gearbeitet, alles unter Amphetamin und Crystal, bin zum Abteilungsleiter sogar hochgestiegen. Mit 24 hab ich dann eine Ausbildung gemacht zum Fahrschullehrer, auch unter Amphetamin und Crystal, und dann hab ich fünf Jahre als Fahrlehrer geschult, unter Amphetamin und Crystal. Also es ist schon heftig. Man kann schon damit, man kommt echt durch, man macht sich halt so stückchenweise kaputt. Das ist so eine Droge, die kann jeder nehmen, ohne dass es auffällt, über Jahre."
Nicht einmal seiner Frau ist etwas aufgefallen.
"Ich hab damals auch meine Frau kennengelernt, ich war zehn Jahre verheiratet. Die hat von der Droge das erste Mal erfahren, als nach sieben Jahren die Polizei die Wohnungstür eingetreten hat. Sieben Jahre hat die mich so genommen wie ich bin, mit dieser Droge."
Solche Berichte passen schlecht zum düsteren Bild, das die Medien von den augenfälligen Effekten dieser Droge gezeichnet haben. "Crystal Meth. Die gefährlichste Droge der Welt" titelte im Jahr 2006 zum Beispiel "Der Stern". Das Magazin zeigte dazu Gesichter mit schockierendem Hautausschlag und verfaulten Gebissen. Es handelte sich aber um Bilder aus den USA. Bilder, die man in Deutschland so noch nicht gesehen hatte. Roland Härtel-Petri weiß um die unterschiedlichen Wahrnehmungsweisen, die daraus entstehen.
"Auf diesen Bildern sieht man ja immer wieder diese heftigen Zähne, diese völlig kaputten Gebisse, wo alle Zähne ausgefallen sind, wo die Lippen aufgeplatzt sind, und das ist auch Realität in den USA. Die Zähne fallen aus, auch in Deutschland, auch vom Crystal Speed bei uns, aber in Deutschland ist es so, dass, Gott sei Dank, alle eine Krankenversichertenkarte haben, und die Konsumenten wollen ja meistens Spaß haben, und wenn die merken, dass ihnen die Zähne ausfallen, dann lassen sie das mal ganz schnell richten. Und deshalb sieht man das bei uns nicht so wie in den USA."
Schriftsteller auf Speed
Die körperlichen Folgen der Droge mögen mal mehr, mal weniger stark sichtbar sein. Die zerebralen Effekte von Amphetamin und Metamphetamin hingegen kehren auf ähnliche Art immer wieder. Zum Beispiel die Enthemmung des Sprachzentrums im Gehirn. Und die hatte sogar ihre Auswirkungen auf die Geschichte der Literatur. Hans-Christian Dany:
"Dass unter Literaten Amphetamin sich so großer Popularität erfreut, hat mit so einem Phänomen, das man bei einem gewöhnlichen Nutzer-Laberflash nennt, zu tun. Das resultiert daher, dass Amphetamin bestimmte sprachbildende Zentren im Gehirn enthemmt. Derjenige redet dann einfach wahnsinnig viel. Leute auf Speed reden sich um Kopf und Kragen. Auch sehr viel Unfug. Jetzt kann man, anstatt zu reden, einfach schreiben."
Von Jean-Paul Sartre weiß man, dass er seine nicht eben schmalen philosophischen Bücher unter dem Einfluss von Amphetamin geschrieben hat. Auch der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick schrieb in rasendem Tempo, was seinen Lektor vor arge Probleme stellte. Nachträglich musste er die Handlungslücken auffüllen, die durch Dicks sprunghaftes Denken entstanden waren. Ein weiteres Beispiel? Der Speed-Junkie Jack Kerouac und sein berühmtester Roman "On the Road". Ein typischer Auszug:
"Wütend rieb er sich den Unterkiefer, er wendete das Auto und fuhr an drei Lastwagen vorbei, er raste mit aufbrüllendem Motor in die Stadtmitte von Testament, schaute in alle Richtungen zugleich und sah alles, was sich im Winkel von 180 Grad vor seinen Augen befand, ohne auch nur den Kopf zu bewegen. Zack. Da entdeckte er schon eine Parklücke und wir standen drinnen. Er sprang aus dem Auto."
"Zum Beispiel Kerouac hat das genau eingesetzt, weil er dieses Gefühl der Zerrissenheit, auch der abbrechenden Sätze, so einer Syntax, die anfängt zu tanzen, also ein Leben, das in der Ekstase stattfindet, weil er genau das beschwören wollte. So hat er dieses Buch wahnsinnig schnell runtergeschrieben. Er hat ja extra so eine Methode erfunden, dass er gar nicht mehr das Papier neu einlegen musste, sondern dass er quasi auf die Rolle drauf geschrieben hat. Und so hat er diesen Laberflash dann in ein unheimlich schnelles Dahinschwirren der Buchstaben übertragen."
Im Alltag eines Crystal-Konsumenten wirft gerade diese Wirkung der Droge aber auch Probleme auf. Auch die Kriminalpolizei profitiert vom Laberflash der Süchtigen.
"Man petzt auch eher, ja. Das ist so richtig so ein Laberflash. Deshalb ist es ja mit der Polizei so heftig immer. Wenn die Polizei einen erwischt, da ist dann auf alles, was da war gepfiffen, der verrät Gott und die Welt."
Die Sex- und Partydroge
Die Ego-Shooter-Droge ist auch dafür bekannt, dass die sexuelle Leistungsfähigkeit verbessert. Also die FUCK-Party auf dem Land?
"Es gibt auch sehr viele, die mit einer Form, die Terminologie nennt das Hypersexualisierung, reagieren, und sehr offen auf jede Form von Reiz reagieren. Es führt bei manchen Männern zu sehr langen Erektionen oder zu sehr häufigen Erektionen, das hat mit der Blutdrucksteigerung und verschiedenen anderen Faktoren zu tun. Das ist nicht zwangsläufig so, aber es taucht stereotyp auf. Das hat das sehr stark befördert, dass es als eine Droge auf Sexpartys oder auch in Teenagerkreisen einfach so eingesetzt wurde."
Und die Folgen?
"Es gab eben in den USA die These, dass es einen Anstieg der Infektionen mit HIV gegeben hat durch Crystal Meth. Das lässt sich wahrscheinlich nicht ganz leugnen, denn es gibt einfach einen Moment der Enthemmung."
Thorsten Schneider spricht aus Erfahrung.
"Man kann also auf Cystal viel, viel länger Sex haben. Bis man zum Höhepunkt kommt, das kann zwei Stunden dauern, ohne Probleme. Was nicht gerade gut ist oder sonst was. Ist ja nicht normal, eigentlich. Es kann auch zwei, drei Stunden dauern. Es ist wirklich phänomenal. Ich weiß nicht, wie das funktioniert, aber wenn das legal wäre, dann wär das wahrscheinlich die Nummer eins, der Verkaufsschlager. Also, ich hab meine Frau damit auf die Dauer völlig überfordert, also mit dem Sexualtrieb von mir. Viele sind davon ja auch so krank, dass sie nächtelang eben vor dem Internet hocken und sich selbst befriedigen, um das eben irgendwie gebacken zu kriegen. Welcher Frau kann man das antun auf die Dauer?"
Selb - das Drogendorf
Es ist von Hochstadt nicht weit an die tschechische Grenze. Zum Beispiel ins oberfränkische Selb, eine Kreisstadt mit 16.000 Einwohnern. Selb ist ein verschlafenes Nest der Schlaflosen. Und erst hier wird mir das Ausmaß des Drogenproblems quer durch alle Gesellschaftsschichten deutlich. Die Rollläden an den Häusern sind herunter gelassen, auch am Tag. Jeder zweite oder dritte, sagen die Leute hier, ist süchtig. Nicht nur Jugendliche, sondern auch Lehrer, Unternehmer oder Anwälte, die sich von ihren Klienten mit Crystal bezahlen lassen. Die örtliche Diskothek heißt "Metro", aber die Jugendlichen hier sprechen nur vom "Aids-Keller". Gerade letzte Woche ist etwas Dramatisches passiert, ein Mann hat einem anderen im Streit die halbe Nase abgebissen.
Im Jahr 1942 waren die Verheerungen, die der auf Metamphetamin geführte Blitzkrieg angerichtet hatte, nicht mehr zu übersehen. Und es war das Jahr, in dem sich der Arzt und Dichter Gottfried Benn eine andere Verwendung der in Deutschland hergestellten Pervitin Tabletten wünschte.
"Pervitin könnte, statt es Bomberpiloten und Bunkerpionieren einzupumpen, zielbewusst für Zerebraloszillationen in höheren Schulen angesetzt werden."
Schreibt Benn in seinem Essay "Provoziertes Leben".
"Das klingt wahrscheinlich manchem abwegig, ist aber nur die natürliche Fortführung einer Menschheitsidee. Ob Rhythmus, ob Droge, ob das moderne autogene Training - es ist das uralte Menschheitsverlangen nach Überwindung unerträglich gewordener Spannungen, solcher zwischen Außen und Innen, zwischen Gott und Nicht-Gott, zwischen Ich und Wirklichkeit - und die alte und neue Menschheitserfahrung, über diese Überwindung zu verfügen."
"Das optimierte Gehirn"
Heute kehrt der Wunsch nach einer Verbesserung unserer Gehirnleistung durch Medikamente unter einem neuen Etikett zurück. "Neuro Enhancement" heißt das Zauberwort. So veröffentlichten renommierte Wissenschaftler, darunter die Psychiatrieprofessorin Isabella Heuser und der Jurist und Philosoph Reinhard Merkel schon 2009 ein Memorandum. Titel: "Das optimierte Gehirn". Gehirnfunktionen, so die Autoren, sollten verbessert werden, sobald die Pharmaindustrie in der Lage sei, die geeigneten Mittel dazu zu liefern.
"Selbst in futuristischen Szenarien (Stichwort 'Super-Intelligenz'), in denen es tatsächlich um ein Überschreiten der menschlichen Natur ginge, wäre erst noch zu begründen, warum uns diese sakrosankt sein sollten - wo wir doch sonst wenig zurückhaltend darin sind, die belebte und unbelebte Natur in unserem Interesse zu verändern."
Das Argument der Autoren: Weil sich sowieso schon die meisten Leistungsträger unserer Gesellschaft, zum Beispiel die Manager, heimlich mit rezeptpflichtigen Psychopharmaka versorgten, sei es an der Zeit, diese Praxis endlich auf eine legale Basis zu stellen. Und was, wenn dann doch ungewünschte Nebenwirkungen auftreten?
"Pillen können wieder abgesetzt werden, wenn ihre Gesamtwirkung auf das Gefüge der Persönlichkeit missfällt: Der melancholische Dichter kann doch ruhig einmal ausprobieren, wie es wäre, weniger schwermütig zu sein. Sollte seine Kreativität darunter leiden und er diesen Verlust durch den Zugewinn an Lebensfreude nicht kompensiert finden, kann er das NEP absetzen und vielleicht ein wunderbares Gedicht über den hinter ihm liegenden Zustand der Selbstentfremdung schreiben."
Womöglich steckt aber doch noch etwas anderes hinter diesem Plädoyer.
"Es gibt die größten Versprechungen über Medikamente, die uns in nächster Zukunft erreichen werden. Die Zahlen sagen aber genau das Gegenteil. Es gibt mehr als eine Halbierung, allein zwischen 1975 und 1995, der neuzugelassenen, wirklich neuen Medikamente. Was hingegen hergestellt wird, sind Medikamente, die neu verpackt sind, bei denen einer alten Substanz eine neue Wirkung zugeschrieben wird. Das heißt, dass bestimmte Mittel, die bisher bei Alzheimer eingesetzt werden, nun Enhancer heißen. Und man kann damit viel besser seine Prüfungen machen oder ist schlauer im Büro oder kann seinen Haushalt besser organisieren. Da sollen eigentlich Märkte erschlossen werden. Da wiederholt sich eigentlich eine Sache, die mit Amphetamin begonnen hat, dass Märkte erfunden werden müssen."
Es scheint so, als verhielten sich die vermeintlich saubere Idee des Neuro-Enhancement und die dreckige Realität des Crystal Meth zueinander wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und vielleicht liegt genau hier auch das Problem: Crystal Meth ist die gefährlichste Droge der Welt und hat dennoch das Image, kaum eine Droge zu sein. Als Wachmacher und leistungssteigerndes Mittel für Überarbeitete und Gestresste hat es seinen Ort in einer Welt des kollektiv empfundenen andauernden Burnouts.
"Also, ich hätt nie damals, nie, nie, nie, wenn jemand zu mir gesagt hätte, ich bin ein Junkie oder drogensüchtig, hätte ich gesagt, ja spinnt ihr? Da bin ich jahrelang nicht drauf angesprungen, jahrelang."
Literatur:
Jörg Fauser: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959-1987. Alexander Verlag, Berlin, 2009
Hans-Christian Dany: Speed. Eine Gesellschaft auf Droge. Nautilus, Hamburg, 2008
Thorsten Galert, Christoph Bublitz, Isabella Heuser, Reinhard Merkel, Dimitris Repanis, Bettina Schöne-Seifert, Viviana Talbot: Das optimierte Gehirn. In: Gehirn & Geist, 11/2009
Jack Kerouac: Unterwegs. Rowohlt, Reinbek, 1998
Gottfried Benn: Provoziertes Leben. Zit. Nach: Hans-Christian Dany, 2008
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