Aufregung in Weimar

Hitler unterstützte den Bau des Goethe-Nationalmuseums

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Goethe Museum am Frauenplan in Weimar © picture alliance / dpa / Daniel Kalker
Von Henry Bernhard |
Kulturhistoriker Paul Kahl sorgt mit seinem neuen Buch für erhitzte Gemüter: Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar habe nur durch die finanzielle Zuwendung von Adolf Hitler finanziert werden können, heißt es. Diese These bestreitet keiner - man hätte das heikle Thema lieber ruhen lassen.
"Der Führer des Dritten Reiches hat das Goetheaus nie betreten." Dieser zur Wiedereröffnung des Goethehauses nach dem Krieg 1945 von dessen Direktor Hans Wahl geäußerte Satz ist so wahr wie verlogen. Wahr ist, dass Hitler das Goethehaus in Weimar zwar einmal besucht hat, 1925, aber da war er noch nicht "der Führer".
Verlogen ist er Satz, weil Hans Wahl damit sich und sein Museum reinwaschen wollte von der tiefen, bewussten Verstrickung, der unaufgeforderten Gleichschaltung in Hitlers NS-Staat. Der Göttinger Literatur- und Kulturhistoriker Paul Kahl ist in langjähriger Forschung in die Geschichte des Goethe-Nationalmuseums in Weimar eingetaucht und stellt Thesen auf, die nicht jedem in Weimar gefallen.
Paul Kahl: "Wir sind hier zuallererst in nationalsozialistischer Architektur! Wir sind hier sogar – man kann sogar sagen – im ersten Museum, das nach 1933 in Deutschland insgesamt neu gebaut worden ist."
Kahl bezieht sich auf den Erweiterungsbau des Goethe-Nationalmuseums, 1935 erbaut, direkt im Anschluss an das historische Wohnhaus Goethes am Weimarer Frauenplan.
Paul Kahl: "Das heißt, wir sind hier in einem Gebäude, dessen Existenz unmittelbar auch aus der Zusammenarbeit zwischen Goethe-Nationalmuseum und der Führung in Berlin, auch Hitler als Person usw., hervorgegangen ist, ein Museum, das ja auch als ein von Hitler gestiftetes Museum beworben worden ist."
Die These kann niemand mehr bestreiten, Kahl hat sie in seinem Buch "Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar" quellengesättigt belegt. Ohne die von Adolf Hitler ausgelöste Zuwendung von 160.000 Reichsmark hätte das Museum nicht gebaut werden können. Der Direktor des Goethe-Nationalmuseums, Hans Wahl, hatte sich persönlich sehr um Hitler bemüht – durchaus im Einklang mit seinen eigenen, völkisch-antisemitischen Überzeugungen. Dazu der Jenaer Germanist Stefan Matuschek.
Stefan Matuschek: "Hans Wahl war in seinem Handeln als Direktor des Goethemuseums kein Opportunist oder gar Opfer der nationalsozialistischen Gleichschaltung, er hat das Goethemuseum vielmehr mit großer Energie und Überzeugung den Nationalsozialisten angetragen. Die Dokumente belegen, dass hier kein Lavierer am Werk war, der die gute Sache Goethes durch schlechte Zeiten zu bringen versuchte. Nein, sie zeigen vielmehr eine emphatische Solidarisierung mit dem Nationalsozialismus."
Hitler konnte nur wenig mit Goethe anfangen
Auch wenn Hitler und überhaupt die Nationalsozialisten mit Goethe wenig anfangen konnten – im Gegensatz zu Schiller, den sie instrumentalisierten –, so bemühte sich Hans Wahl, Goethe zum völkischen Dichter, ja zum Antisemiten zu machen. Für Paul Kahl ist Wahls "Konstruktion einer geschichts-teleologischen Kontinuität von Goethe und Nationalsozialismus" der "moralische Tiefpunkt" in der Geschichte des Hauses, das noch jede Epoche für ihre Zwecke einzuspannen versuchte.
Paul Kahl: "Wir sind hier an einem Symbolort, an dem Symbolort der deutschen Kulturnation, an einem Symbolort der deutschen Bildungstradition. Wir sind aber hier, im Goethe-Nationalmuseum, in gleicher Weise auch an einem Symbolort des Scheiterns von Bildung."
Im Entree des Museums stand so bis 1945 auch eine bronzene Hitler-Büste; in der Kassette im Grundstein wird noch heute Hitler in Hans Wahls Worten dafür gepriesen, dass er "den Begriff Weimar, den das Jahr 1919 in geschichtlichem Irrtum zum Symbol unweimarischer Gesinnung herabgewertet hat", gereinigt habe. Damit setze sich das Goethehaus und die Klassikstiftung nicht ausreichend auseinander, findet Kahl. Ebenso wenig mit der Geschichte der Zerstörung des Goethehauses durch Bomben im Februar 1945 und der Rekonstruktion des Zerstörten. Weimar gaukele mit inszenierten Räumen die Authentizität eines Dichterhauses vor, das so nicht mehr existiere. Es entstünde der Eindruck ...
Paul Kahl: "... wir können einfach so in Goethes Zeit hineingehen. Wir haben einerseits einen ganz großen Fundus, mit dem wir uns auseinandersetzen können, etwas über Wissenschaftsverständnis lernen können, über Goethe usw. Aber wir sind auch von diesem Fundus – und das ist dem Fundus inhärent – durch den fundamentalen Bruch, den Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts auch getrennt."
Brüche in der Geschichtsdarstellung
Die Klassik Stiftung Weimar, die Kahls Studie zur Geschichte des Goethe-Nationalmuseums gefördert hat, ist froh über dessen Arbeit, über die erschlossenen Quellen, über mehr Klarheit zur eigenen Geschichte. Kahls Thesen jedoch gehen vielen zu weit, die Forderung nach dem sichtbaren Bruch, auch und gerade im Goethehaus. Der Generaldirektor der Museen der Stiftung, Wolfgang Holler.
Wolfgang Holler: "Illusionen muss man zur rechten Zeit und am rechten Ort zerstören. Also, es muss schon eine Kohärenz des Erlebbaren sein. Man darf nicht allein von einer historisch-kritischen Warte dieses Haus betreten, sondern das ist natürlich ein Haus, das viele Besucher hat. Und ich denke, viele finden da auch einen Widerhall ihrer eigenen Sehnsüchte, z.B. die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach einer großen Vergangenheit, literarischer Größe ... Es ist schon ein Projektionsort, da bin ich ganz sicher."
In den nächsten Jahren steht die Sanierung des Goethe-Wohnhauses an. Es wird sich zeigen, wie viel Brüche die Klassik Stiftung in ihrer Geschichtsdarstellung zulassen will und wie viel Authentizität sie konstruieren wird. Ob weiter ein Sehnsuchtsort präsentiert wird oder sich die Stiftung – so wie die Stadt Weimar schon seit einigen Jahren – ihrer Geschichte stellt.

Paul Kahl: "Die Erfindung des Dichterhauses. Das Goethe-Nationalmuseum in Weimar"
Verlag Wallstein, Göttingen 2015
350 Seiten, 29,90 Euro

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