Viel mehr als ein bisschen Futter für Schlagzeilen
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Noch bevor Peter Handkes neues Buch in den Handel kommt, wird gemutmaßt, dass sich der Autor mit dem Werk an seinen Kritikern rächen will. Das findet Helmut Böttiger problematisch: Literatur werde zunehmend auf ihren Diskussionswert reduziert.
Wegen Peter Handkes proserbischer Haltung im Jugoslawienkrieg gab es wochenlang erbitterte Debatten, als ihm 2019 der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Viele Kritiker sahen darin einen Skandal.
Nun legt Handke ein neues Werk vor: "Das zweite Schwert". Dass der Schriftsteller sich mit dem Buch an seinen Kritikern rächen wolle, wie es die Überschrift eines "Zeit"-Artikels andeute, sei falsch, sagt der Literaturredakteur und Handke-Kenner Helmut Böttiger.
Handke bürgt inzwischen für Skandalisierung
Böttiger vermutet, dass es bei der Schlagzeile "Rache als schöne Kunst" um den Aufmerksamkeitswert geht, die eine solche Kritik vor dem eigentlichen Verkauf des Buches verursacht: "Handke scheint für ein bestimmtes Skandalisierungspotenzial zu bürgen. Das Buch liegt erst am nächsten Montag in den Buchläden. Man geht wohl davon aus, dass Handke immer zieht."
Im Buch gehe es zwar um einen Ich-Erzähler, der sich an einer Journalistin rächen wolle, weil sie seine Mutter beleidigt hat. Das spiele aber zum Schluss des Romans gar keine Rolle mehr.
Nach Böttiger wird Literatur zunehmend vor allem auf ihren Diskussionswert und ihre politische Aussage reduziert:
"Es gerät aus dem Blickfeld, dass Literatur per se etwas ganz anderes ist als ein bloßer Debattenbeitrag. Literatur spricht eine Sprache, die über die journalistische Sprache, über den Aktualitätswert, über den Debattendiskurs hinausgreift. Und dafür steht der Autor Peter Handke natürlich mit an erster Stelle, dass Literatur und Journalismus nichts miteinander zu tun haben."
Romantisierung von Alltagserfahrungen
Betrachte man das Lebenswerk des 70-jährigen, könne man sehen, dass das neue Buch in einer langen Reihe von epischen Versuchen des Schriftstellers stehe. Es schließe an dessen letztes großes Epos "Die Obstdiebin" an.
Die Romantisierung von Alltagserfahrungen spielten bei Handke eine große Rolle, betont Böttiger. "Das ist ein Spiel mit verschiedenen Formen, und wichtig ist, dass der Name Homer mindestens fünfmal in diesem Buch auftaucht. Handke beruft sich auch auf Homer, als den großen Epiker, und ihm will er nacheifern in mythischen Figurenkonstellationen."
Mit diesem Wissen um das Werk des Autors sei es falsch, Handke in den Tagesdiskurs einzuklinken. "Dieses Schielen auf Skandalisierung: Das ist schon eine Tendenz, die mit Literaturkritik überhaupt nichts mehr zu tun hat."