Aufrichtig und unglaublich naiv

Rezensiert von Michael Opitz |
Die junge Frau, von der F. C. Delius in "Bildnis der Mutter als junger Frau" erzählt, hat sich in einer an Glück unendlich armen Zeit eine sehr fragile Welt des Glücklichseins konstruiert. Wie die Zeitgeschichte in das Leben der Einundzwanzigjährigen eingreift, beschreibt Delius in einer im Januar 1943 angesiedelten Geschichte.
Es wäre unpräzise, wollte man sagen, er würde die werdende Mutter auf einem durch Rom führenden Spaziergang begleiten. Denn Delius schaut als Autor seiner literarischen Figur nicht einfach über die Schulter, sondern er erzählt, als wäre er ein Teil dieser Figur und vertraut mit ihrem Denken und Fühlen. Delius lässt als Autor eine Frau zu Wort kommen, deren innerer Monolog den Anschein erweckt, als wäre der Autor zugleich der Adressat dieses sich über 127 Seiten erstreckenden Satzes.

Offensichtlich beschreibt der 1943 in Rom geborene Delius nicht nur das Schicksal einer werdenden Mutter, sondern begibt sich in dieser Erzählung auch auf die Spuren der eigenen Lebensgeschichte.

Die im Zentrum der Geschichte stehende junge Frau will nicht klagen, denn gemessen am Leid anderer, geht es ihr – den Umständen entsprechend – relativ gut. Jedenfalls redet sie sich ein, es würde ihr zum privaten Glück nur der Vater des Kindes fehlen, der nur einen Tag nachdem die beiden Jungvermählten Italiens Hauptstadt erreichten, überraschend an die afrikanische Front versetzt wurde.

Doch in Wirklichkeit fehlt ihr mehr, auch wenn sie es sich nicht eingesteht, denn sie wird um unersetzbare Lebenszeit betrogen. Aber das wird ihr nicht bewusst, während sie durch die Ewige Stadt spaziert – ihr bleibt eine Stunde, um die Kirche in der Via Sicilia zu erreichen, in der ein Konzert gegeben wird – und über ihre Lebenssituation nachdenkt.

Während dieses monologischen Sprechens erfahren wir, in welcher Zeit diese Frau versucht, einen Glücksanspruch aufrechtzuerhalten, der permanent durch die Zeitumstände bedroht wird. Mehr als zu hoffen, vermag sie nicht. Wäre sie in der Lage, die Zeichen richtig zu deuten, dann müsste sie nicht von partiellem Glück sprechen, sondern über ihr grenzenloses Unglück klagen: Mitten im Krieg ist sie schwanger und ihr Mann an der Front.

Delius macht uns mit einer aufrichtigen, aber auch unglaublich naiven Frau vertraut, die ins Staunen gerät, weil das Brot im Krieg immer knapper wird, obwohl die deutschen Truppen doch immer mehr Land erobern. Er erzählt von einer Frau, die sich nicht vorstellen will, wie Deutschland aussehen würde, wenn der Krieg verloren ginge: "Was sollte aus dem schönen Deutschland werden ohne Siege"? Statt zu zweifeln, hofft sie lieber auf den Endsieg. Und weil auch dieses Hoffen noch zu wenig sein könnte, verschränkt sie ihre Hoffnung mit dem Glauben an einen gerechten Gott, der ihr hilfreich zur Seite steht und sie auf die rechte Straße führen wird.

Doch es hat den Anschein – und gegen Ende der Erzählung verdichten sich die Anzeichen – als würde es für die werdende Mutter kein Glück im Kreise der Familie geben, als wäre ihr Hoffen auf die Rückkehr des Mannes von der Front vergeblich. Eine Ahnung vom bevorstehenden Unheil befällt sie, als sie durch Bachs Musik verzaubert und zugleich in ihrem Glauben erschüttert wird: Ihr kommt der Gedanke, dass in einer Zeit, in der der Tod allgegenwärtig ist, auch ihr Nahestehende sterben könnten.


Friedrich Christian Delius: Bildnis der Mutter als junger Frau
Rowohlt Berlin, Berlin 2006, 127 Seiten. 14,90 Euro.