Aufruf zum Kampf

Rezensiert von Lars Reppesgaard |
Seit Jahrzehnten kämpft Jutta Ditfurth für eine gerechtere Welt. In ihrem neuen Buch "Zeit des Zorns" rechnet sie mit dem Kapitalismus, den etablierten Parteien und sozialen Bewegungen ab und will einen neuen außerparlamentarischen Widerstand entfachen.
Bei vielen Spitzenkräften in der Wirtschaft und in der Politik liegen die Nerven blank. Natürlich wissen auch sie, dass der Frust wächst, wenn jemand seinen Job oder sein Haus verliert. Diese Wut in die Lust zum sozialen Kampf zu verwandeln, ist das Anliegen der alten Kämpferin Jutta Ditfurth, die über Jahrzehnte hinweg selbst im wahrsten Sinne des Wortes auf unzähligen Demonstrationen ihre Knochen für eine gerechtere Welt hingehalten hat. Für sie ist klar, dass sich die Dinge nicht von selbst zum Besseren ändern.

"Nie ist eine grundsätzliche soziale Reform – die diesen Namen wirklich noch verdient hätte – im Parlament eines kapitalistischen Staates geboren worden. Immer waren ihre Voraussetzungen außerparlamentarische Kämpfe; manchmal, wenn diese Kämpfe stark genug waren, konnte politischer Druck entfacht werden, der Parlamentsparteien und Regierungen in Zugzwang brachte."

Ditfurth möchte mit ihrer Streitschrift den außerparlamentarischen Widerstand anfachen. Sie ist mit viel persönlichem Einsatz geschrieben. Eine Fußnote, ein Verweis auf einen Internetlink, ist datiert und zeigt: Selbst am Weihnachtstag 2008 arbeitete die Autorin an dem Text.

Das Buch hat interessante Momente, und zornig macht es auch - vor allem, wenn die Autorin von dem berichtet, was sie hautnah kennt: die brutalen Polizeieinsätze gegen Weltgipfeldemonstranten in Genua, Göteborg und Heiligendamm, die rabiate Repression gegen jene, die die Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellen.

Ditfurths Aufruf zum Kampf überzeugt trotzdem nicht. Das alte Polit-Aktivisten-Vokabular klingt sperrig. Das Gefängnis heißt hier noch "Knast", und die Dritte Welt wird "Trikont" genannt.

Vor allem aber stellt die Autorin Behauptungen auf, deren Belege sie schuldig bleibt, etwa dass sich das Kapital die Wirtschaftskrise zunutze macht, um sich der vorhandenen sozialen und demokratischen Menschenrechte zu entledigen. Es ist ein wahrer Husarenritt, in dem Ditfurth fast alles Schlechte in der Welt kurz anreißt. Übergangslos reihen sich der NATO-Krieg gegen Serbien, die Missetaten des Internationalen Währungsfonds, die Unterdrückung der Menschen in der West-Sahara, die Regierungsbeteiligung der PDS bzw. der Partei Die Linke in Berlin und Schikanen gegen Hartz-IV-Empfänger aneinander. Auch der Hinweis darf nicht fehlen, dass die Deutschen in dieser Krise scharenweise dem Nationalismus anheimfallen werden. So schreibt die Autorin etwa mit Blick auf die von ihr erwartete Demontage sozialer und demokratischer Rechte:

"Es muss doch die Ernte von den Feldern einzuholen sein, auf denen während der Fußball-Weltmeisterschaft all die Deutschlandfahnen blühten! Damals gelang es, vielen Menschen in Deutschland einzureden, ihre Interessen seien identisch mit denen des Staates. Das Gift des Nationalismus hat sich tief im Fettgewebe des deutschen Volkskörpers eingelagert und kann bei jeder Abmagerungskur ('Gürtel enger schnallen') ausgeschüttet werden."

Haben finstere Politikprofis die WM also nur nach Deutschland geholt, um mit Hilfe von König Fußball die Massen für die nächste Krise gefügig zu machen? Bei solchen Argumentationsketten fällt es schwer, zornig zu werden. Es genügt eben nicht, auf vergangene Skandale zu verweisen und pessimistische Annahmen aneinander zu reihen. Und übrigens: Während Spanien und die Golf-Staaten bereits Arbeitsimmigranten nach Hause schicken und die Vereinigten Staaten beginnen, die eigene Wirtschaft mit Handelsschranken abzuschirmen, verhält sich Deutschland im Moment innen-, außen- und wirtschaftspolitisch geradezu wie ein Musterknabe.

Noch, würde die Autorin vielleicht auf diesen Einwand antworten. Würde man in der Streitschrift mehr Konjunktive und weniger Selbstgewissheit finden - es wäre leichter, sich mitreißen zu lassen und die argumentativen Schwächen zu übersehen. Nicht klar wird zum Beispiel trotz aller Zitate von Marx und Lenin, wer da eigentlich agiert. Hier müsste man genauer sein, wenn man aufrütteln will. Man könnte zum Beispiel erzählen, wie Lobbyisten der Investmentindustrie schon wieder klammheimlich die Weichen in ihrem Sinne stellen, was etwa an der Blockadehaltung der Londoner Regierung zu einer EU-weiten Regulierung des Finanzwesens zu erkennen ist.

Aber solche aktuellen Beispiele fehlen ebenso wie Belege, dass derzeit tatsächlich Gewerkschaften zurecht gestutzt oder Sozialsysteme zerstört werden.

Diejenigen, die sich trotz allem inspirieren lassen und nun für eine gerechtere Welt streiten wollen, lässt der Text letztlich allein. Die SPD, die Gewerkschaften, die Partei Die Linke und Attac jedenfalls taugen laut Ditfurth nicht als Bündnispartner. Was aber sollen die entlassenen Zeitarbeiter, die Migranten, Künstler und Studierenden, die statt dessen die soziale Revolution in Gang bringen könnten, denn nun tun? Dazu gibt es nur vage Hinweise.

"Unser Ziel ist es, dass Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Diskriminierung, Hunger und Krieg führen können. Dafür sind energischere Maßnahmen als Mahnwachen oder Kundgebungen nötig. Ein Bündel von Maßnahmen, dessen Wirksamkeit am größten ist, wenn wir viele sind und wissen, was wir tun. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, ... , in der wir basisdemokratisch entscheiden, wie wir leben und arbeiten wollen. Das ist ein tollkühner Plan. Und wir müssen alles selber machen."

Diese Zeilen stehen leider nicht am Anfang, sondern auf der letzten Seite des Buches. (Genauer wird nicht beschrieben, wie die, die wütend sind, zusammen etwas für eine gerechtere Welt tun könnten.) Man würde gerne lesen, welche konkreten Schlüsse die alten Streiterin Jutta Ditfurth aus ihren Erfahrungen auf ihrem Weg durch Parteien, Verbände und Basisgruppen zieht. So hätte sie Ansätze für jene liefern können, die sich heute Gehör verschaffen wollen. Aber nach dieser Lektüre bleibt man ratlos zurück.

Jutta Ditfurth: Zeit des Zorns - Streitschrift für eine gerechtere Gesellschaft
Droemer Verlag
Jutta Ditfurth: "Zeit des Zorns"
Jutta Ditfurth: "Zeit des Zorns"© Droemer Verlag