Aufruf zum "totalen Krieg"

Von Bernd Ulrich |
Am 18. Februar 1943 rief Joseph Goebbels den "totalen Krieg" aus. Angesichts der Niederlage in Stalingrad sollte die Heimatfront zur Mobilisierung der letzten Reserven animiert werden. Die Rede im Berliner Sportpalast war die bekannteste des Nazi-Propagandaministers - und die perfideste.
"Ein Exposé über die totale Kriegsführung ist mir von den dafür zuständigen Stellen des Ministeriums nach meinen Anweisungen ausgearbeitet worden."

Es war nicht das erste "Exposé" über den totalen Krieg, das Reichsminister Joseph Goebbels am 3. Januar 1943 in seinem Tagebuch erwähnte. Schon oft hatte er versucht, die totale Mobilisierung der Heimatfront durchzusetzen - um damit seine eigene Rolle im Machtgefüge aufzuwerten. Die bedrohliche Lage in Afrika, vor allem aber die absehbare Niederlage in Stalingrad boten ihm nun die gesuchte Gelegenheit, die "Optik des Krieges", wie er schrieb, auf den "totalen Krieg" hin auszurichten. Als er am 22. Januar 1943 Hitler in dessen ostpreußischem Hauptquartier besuchte, konnte er sich nach langen Unterredungen, nur unterbrochen von immer neuen Hiobsbotschaften aus dem Stalingrader Kessel, am Ziel wähnen:

"Es wird sozusagen eine innere Diktatur aufgerichtet, bei der ich der psychologische Diktator und der motorische Antrieb der ganzen Aktion sein soll."

Am 30. Januar 1943, dem zehnten Jahrestag der "Machtergreifung", erprobte Goebbels bei einer Rede im Sportpalast, wie die Parteimitglieder und das Volk auf seinen Plan reagierten. Die "Orkane an Zustimmung", die diese Rede auslöste, - so Goebbels gewohnt überschwänglich -, ließ er durch seinen Propaganda-Apparat noch verstärken. Tenor: Es ist das Volk selbst, das von der Regierung radikalere Maßnahmen fordert. Doch schon zwei Wochen später, am 13. Februar 1943, hält ein Tagebucheintrag fest:

"Die Totalisierungsmaßnahmen sind in keiner Weise ausreichend. Es muß deshalb weiter gehetzt und angetrieben werden. Zu diesem Behuf berufe ich für nächsten Freitag eine neue Massenkundgebung im Sportpalast ein, die ich wieder mit richtigen alten Parteigenossen bestücken lassen will. Möglichst viele Prominente sollen dazu eingeladen werden, und ich werde eine Rede halten, die an Radikalismus alles bisher Dagewesene übertrumpft."

Es wird die bekannteste Rede des Propagandaministers, die er am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast hält, aufgezeichnet und kurz darauf im Rundfunk übertragen. Und es ist die perfideste. Das betrifft nicht so sehr die groteske Inszenierung der zehn Fragen, die er am Schluss stellte - und die in jener vierten, bis heute unvergessenen Frage kulminierte, mit der er vom mittlerweile zum tobenden Mob gewordenen Publikum die Einwilligung zum totalen Krieg einforderte.

Vergessen wird dabei, dass sich der lange, ebenso viel umjubelte erste Teil der Rede nur um ein Thema drehte, nämlich um die vermeintliche "Bedrohung des Abendlandes" aus der "russischen Steppe" heraus, der einzig die Wehrmacht und das deutsche Volk Einhalt gebieten könnten, und zwar vereint im "totalen Krieg":

"Hinter den vorstürmenden Sowjetdivisionen sehen wir schon die jüdischen Liquidationskommandos, hinter diesen aber erhebt sich der Terror, das Gespenst des Millionenhungers und einer vollkommenen europäischen Anarchie."

Womit er exakt das beschrieb, was gerade umgekehrt an der Ostfront tagtäglich von deutscher Seite aus geschah, wo den freilich nicht mehr wie gewohnt vorstürmenden Wehrmachtsdivisionen die Liquidationskommandos der SS-Einsatzgruppen gefolgt waren. Aber genau darum ging es: Über den alten antisemitischen Topos hinaus, wonach man den Juden unterstellt, eben das im Schilde zu führen, was man ihnen antut, soll hier vor allem die Angst vor der befürchteten Rache geschürt werden. Das wiederum schuf einen Zusammenhang, in dem dann auch über die Vernichtung der Juden gesprochen werden konnte. Wie in anderen Reden schon erprobt, gab ein absichtlicher Versprecher dem einvernehmlichen Massengefühl einer Volksgemeinschaft von Tätern Raum, jedenfalls für einen Moment:

"Deutschland jedenfalls hat nicht die Absicht, sich dieser jüdischen Bedrohung zu beugen, sondern vielmehr die, ihr rechtzeitig und wenn nötig unter vollkommenster und radikalster Ausrott-, -schaltung des Judentums, entgegenzutreten."

Die aufputschende Wirkung der Rede war indessen schon nach ein paar Wochen dahin. Goebbels wurde zwar nicht müde, sich ihrer zu rühmen. Aber er musste zur Kenntnis nehmen, dass es auch Kritik gab. Insbesondere die von ihm geschürte Furcht vor "jüdischer Vergeltung" bewirkte nicht die Mobilisierung letzter Reserven, sondern in erster Linie Niedergeschlagenheit.

Der anhaltende Luftkrieg hatte aber auch andere Reaktionen zur Folge. Unter den Bergarbeitern im Ruhrgebiet, die besonders unter den seit April 1943 nochmals zunehmenden Bombenangriffen zu leiden hatten, machte folgender Spott-Vers die Runde:

"Lieber Tommy, fliege weiter.
Hier sind nur lauter Bergarbeiter!
Fliege weiter nach Berlin,
Die haben alle 'JA' geschrien."
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