Aufruhr in Tunesien

Wahrheiten und gleiches Erbe für Frauen?

Zwei Frauen mit Kopftüchern gehen durch die Innenstadt von Sousse, Tunesien
Zwei Frauen mit Kopftüchern gehen durch die Innenstadt von Sousse, Tunesien. © Andreas Gebert / dpa
Von Anne Françoise Weber |
Noch bis Jahresende darf die "Wahrheitskommission" in Tunesien die Verbrechen der Diktatur aufarbeiten. Alte Eliten wollen ein Ende. Das sorgt für hitzige Debatten, ebenso wie der Reformplan Frauen und Männer im Erbrecht künftig gleich zu stellen.
Dar Dhiafa, Ende Juni. Das herrschaftliche Gästehaus Tunesiens, nicht weit vom Präsidentenpalast in Karthago entfernt, ist voller Fernsehteams. Auch das massive Aufgebot an Sicherheitspersonal zeigt, dass hier gerade eine äußerst wichtige und hochrangige Pressekonferenz stattfindet: Die vom Präsidenten eingesetzte "Kommission für individuelle Freiheiten und Gleichberechtigung" stellt ihre Ergebnisse vor – der nationalen ebenso wie der internationalen Presse. Dementsprechend wechselt die Kommissionsvorsitzende Bochra Belhaj Hamida ständig zwischen tunesischem Dialekt und französisch.
Schon ihre einleitenden Worte zeigen, dass der vorgestellte Bericht für Tunesien Sprengkraft besitzt: "Dieser Bericht gehört allen Tunesiern – denjenigen, die dafür sind und denen, die dagegen sind. Uns geht es um eine Debatte, eine tiefschürfende, unaufgeregte Debatte. Denn es findet eine Weichenstellung für die kommenden Generationen statt. Und wir ermutigen die Medien, an dieser Debatte Experten aus allen Bereichen teilnehmen zu lassen. Das betrifft nicht nur Menschenrechtsaktivisten oder die Mitglieder der Kommission. Es betrifft Philosophen, Psychologen, Religionsgelehrte, alle. Und vielleicht ist diese Debatte die Gelegenheit, dass die Tunesier kontrovers, aber nicht feindlich diskutieren."

Der Mann? Nicht länger automatisch Familienoberhaupt

Diskussionsstoff bietet der vorgestellte Bericht in jedem Fall. Die Kommission schlägt zahlreiche Reformen vor. Homosexualität soll nicht mehr mit Gefängnisstrafe belegt werden, der Mann nicht länger als Oberhaupt der Familie gelten, Frauen sollen auch ihren Nachnamen vererben können. Alles Themen, die auch in Tunesien, das in Bezug auf Frauen- und Menschenrechte als fortschrittlichstes arabisches Land gilt, große Aufreger sind. Kommissionsmitglied Slaheddine Jourchi will das nicht beschönigen: "Man muss ehrlicherweise sagen, dass die tunesische Öffentlichkeit gespalten ist. Ein großer Teil der Bevölkerung ist gegen diese radikale Veränderung der Gesellschaft. Und viele tunesische Intellektuelle und Parteien werden versuchen, mit allen demokratischen Mitteln mehrere Gesetzesinitiativen durchzubekommen."
Der Streit dreht sich vor allem um eines: den Vorschlag, das Erbrecht zu reformieren. Bislang erbt eine Frau in Tunesien dem islamischen Recht entsprechend in der Regel die Hälfte dessen, was ihr Bruder erbt. Nach Ansicht der Kommission entspricht das weder dem Gleichheitsgrundsatz, auf den sich Tunesien in seiner Verfassung und in verschiedenen internationalen Abkommen verpflichtet hat, noch der realen Stellung vieler Frauen, wie Religionsanthroologin und Kommissionsmitglied Iqbal Gharbi erklärt: "Diese Entscheidung für die Gleichheit beim Erbe wurde durch die sozialen und wirtschaftlichen Transformationen in Tunesien vorgegeben – und durch die Veränderungen in der Stellung der Frau. Sie beteiligt sich an den Finanzen der Familie, der Gesellschaft, am Schulgeld der Kinder. Deswegen ist es ungerecht, dass sie nur die Hälfte des Erbes haben soll."

"Kulturelle Veränderungen zwingen uns zu neuen Lösungen"

Doch die Kommission beschränkt sich nicht darauf, soziale Gründe vorzubringen. Kommissionsmitglied Abdelmajid Charfi ist Islamwissenschaftler und Direktor der tunesischen Akademie der Wissenschaften. Er erläutert bei der Pressekonferenz sehr bewusst die religiöse Dimension des Ganzen: "Wer behauptet, die Vorschläge der Kommission würde dem Islam entgegenstehen, hat Unrecht. Sie widersprechen nur historischen Lösungen für Menschen, deren Lebensumstände andere waren. Wir versuchen, Lösungen vorzuschlagen, die dem Fortschritt unserer Gesellschaft angepasst sind und nicht dem verhaftet bleiben, was wir in den Büchern finden. Denn wir wissen, dass die so genannte traditionelle Position sich seit dem 9. Jahrhundert nicht bewegt. Wir erleben kulturelle Veränderungen, die uns zwingen, neue Lösungen vorzuschlagen, ohne diese Vergangenheit zu verleugnen."
Man habe sich daher auch mit den Religionsgelehrten der Zeitouna, der im 8. Jahrhundert gegründeten Universität von Tunis zusammengesetzt. Allerdings sagt Charfi auch deutlich, dass er sich deren Urteil nicht unterstellen will:
"Wir müssen aber betonen, dass wir als Muslime Priester als Vermittler zwischen dem Gläubigen und seinem Gott akzeptieren. Wir glauben, dass unsere Vorschläge kein Dogma direkt berühren, sondern es sich um soziale und organisatorische Fragen handelt. Deswegen haben wir uns erlaubt, die Entwicklungen in der tunesischen Gesellschaft zu berücksichtigen."
Die Kommission ist vorsichtig genug, nicht gleich die völlige Abschaffung des islamischen Erbrechts zu fordern. Neben einem neuen Gesetz, das die Gleichheit zwischen männlichen und weiblichen Erben vorschreibt, sollte es immer noch die Möglichkeit geben, dem islamischen Recht zu folgen.
Doch bereits im letzten Jahr, als dieser Vorschlag zur Reform des Erbrechts erstmals aufkam und Präsident Essebsi die Kommission einsetzte, gab es einen Aufschrei seitens der altehrwürdigen Al-Azhar-Universität in Kairo, die sich als höchste Instanz der sunnitischen Welt begreift. Slaheddine Jourchi von der Kommission will sich davon aber nicht wirklich beeindrucken lassen: "Wir können unsere Uhren nicht nach den Cheikhs von AlAhzar stellen. Jetzt gibt es in Ägypten, in Marokko und Algerien eine Diskussion. Wir versuchen, sie zu Gesetzesnovellierungen zu bringen. Denn die Zeit ist gekommen."

"Zum Erbrecht gibt es einen klaren, eindeutigen Korantext"

Das sehen allerdings viele Tunesier anders. Die Kommissionsmitglieder sind jedenfalls nicht erst seit der Veröffentlichung des Berichts Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt – ein Imam hat sogar dazu aufgerufen, sie zu steinigen. Weitaus gemäßigter äußert sich da Abdellatif Chaieb. Er ist muslimischer Rechtsgelehrter, auf das Erbrecht spezialisiert und Mitglied des nationalen Netzwerks zur Verteidigung des Korans, der Verfassung und der fairen Entwicklung.
Imam Abdellatif Chaieb will am islamischen Erbrecht festhalten.
Imam Abdellatif Chaieb will am islamischen Erbrecht festhalten.© Deutschlandradio / Anne-Francoise Weber
In seinem Haus in der südlichen Küstenstadt Gabès verscheucht Chaieb, der in einer der Moscheen von Gabès regelmäßig predigt, schnell seine Kinder vom Fernseher. Dann erklärt er freundlich, warum eine Änderung des Erbrechts für eine große Zahl muslimischer Gelehrten keine Option ist: "Für uns gibt es zum Erbrecht einen klaren, eindeutigen Korantext, deswegen kann der nicht ausgelegt werden. Hätte Gott das anders gewollt, dann hätte er das offen gelassen, dann hätte er sich zum Beispiel zum Erbbrecht mit diesem Vers begnügt: 'Für das männliche Kind ist der gleiche Anteil wie für zwei weibliche bestimmt'. Dann wäre da vielleicht die Möglichkeit zur Auslegung gewesen, denn das ist eine allgemeine Aussage. Aber da folgt, in welchen Fällen die Frau die Hälfte, ein Drittel oder ein Sechstel erbt. Deswegen kann man da keine eigene Auslegung machen."
Zumal die Bestimmungen für Chaieb auch ganz klar damit zu tun haben, dass Männer eben für Frauen sorgen sollen – schließlich habe Gott den beiden Geschlechtern unterschiedliche Rollen zugewiesen, das dürfe man nicht einfach so ändern.

Die Islamgelehrten wollen berücksichtigt werden

Deswegen ist es für ihn auch inakzeptabel, dass die Präsidentenkommission ein Thema, was die Mehrheit der Tunesier angehe, so im Alleingang behandelt habe, ohne die Haltung der konservativen Religionsgelehrten zu berücksichtigen. Außerdem gebe es Konstellationen, in denen auch nach den koranischen Vorschriften eine Frau mehr erbe als ein Mann. Am wichtigsten ist ihm aber, dass die Realität sowieso ganz anders aussehe:
"Es gibt Fälle, in denen eine Frau Anrecht auf ein Erbe hat, aber ihr Bruder oder ihr Onkel ihr den nicht gibt. Heute, 2018, werden Frauen hier noch benachteiligt und bekommen nicht ihr Erbe. Wenn man schon nicht den Anteil nach der islamischen Scharia respektiert, soll man dann über Gleichberechtigung reden und ein Gesetz entwerfen, das noch weiter weg ist von der Realität? Sorgt erstmal dafür, dass die Frauen ihren Anteil bekommen und respektiert werden – danach können wir über anderes reden."
Mehrezia Labidi sieht das ganz ähnlich. Die Abgeordnete der Ennahda-Partei kommt völlig abgehetzt in ihr Büro – sie hat mal wieder einen sehr dichten Terminkalender, auch wegen der Abreise ihrer erwachsenen Tochter nach Frankreich, wo Labidi selbst lange gelebt hat.
Ihre Partei, die sich muslimdemokratisch nennt, hat sich noch nicht offiziell zu den Reformvorschlägen positioniert. Labidi will also nur als Einzelperson sprechen – als tunesische Abgeordnete, die sich als Muslimin und Feministin versteht. Sie kritisiert, dass die tunesische Gesellschaft und andere muslimisch geprägte Länder mit einem Gesetzesvorschlag regelrecht überrumpelt würden. Sie wolle auch vorankommen im Feminismus, aber nicht allein, sondern mit ihrer Gesellschaft. Den Gleichheitsansatz der Kommission hält sie für realitätsfremd:
Mehrezia Labidi: "Diese egalitäre Sichtweise muss man mehrfach in Frage stellen. Wie sehr berücksichtigt sie die soziale Realität in Tunesien? Erstens: Berücksichtigt sie, wie sehr die Religiosität die Tunesier prägt – ich meine gar nicht die frömmsten, sondern die Durchschnittstunesier? Und zweitens: Ist das jetzt wirklich eine Priorität oder erwarten die Tunesier nicht ganz andere Reformen im sozialen Bereich? Daher ist dieser Bericht eine elitäre Angelegenheit."

Alles nur ein Wahlkampfmanöver der Säkularen?

Böse Zungen behaupten, die Einrichtung der Kommission für individuelle Freiheiten und Gleichberechtigung und die Veröffentlichung ihres Berichts seien schon Teil des Wahlkampfes vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2019. Nidaa Tounes, die Partei des Staatspräsidenten Beji Caid Essebsi, werbe damit um die Stimmen von Frauen aus der städtischen Mittelschicht, die sich an Europa orientieren und in den Islamisten den Fluch des Landes sehen. Nidaa Tounes ist Koalitionspartner von Ennahda. Darauf angesprochen, ob das Ganze ein politisches Manöver sein könnte, gibt sich die Ennahda-Abgeordnete Labidi empört:
"Mein Gott, wenn das der Fall wäre, dann wäre das wirklich schlimm! Wenn dieser ganze Bericht nur ein Manöver ist, um Ennahda in Schwierigkeiten zu bringen mit ihrer Vision einer muslimisch geprägten Gesellschaft, um die Partei vor ihren Wählern in Schwierigkeiten zu bringen - das wäre gemein. Das hoffe ich wirklich nicht. Sonst würde ich nicht mehr zur Diskussion aufrufen."
Vorerst will sie daran aber noch nicht glauben, sondern sich lieber mit den Inhalten des Berichts auseinandersetzen. Darin gibt es vor allem eine Sache, die sie stört:
"In dem Bericht gibt es eine Vorschlag, der meiner Meinung nach den Bedürfnissen der Frauen in unserem Land nicht entspricht: Im Ehevertrag muss der Mann keine Mitgift mehr geben. Ich habe es der Kommissionsvorsitzenden Bouchra Belhaj Hamida gesagt: Super, das passt gut für eine Frau, die ihre Lebensunterhalt verdient, die Anwältin, Lehrerin oder Ärztin ist. Aber was ist mit den Frauen, für die die Mitgift oft das einzige ist, was sie besitzen können – und was ihnen hilft, sich gegen Ungerechtigkeit in der Familie zu schützen? Ich habe einige nicht besonders religiöse Tunesierinnen getroffen, die dazu sagen: Was schlagen sie da vor? Dass wir auf unsere Rechte verzichten? Nein, das ist mein Privileg, das gebe ich nicht auf!"
Amal Dhafouli und Fathia Awled Nasser.
Amal Dhafouli und Fathia Awled Nasser wollen mehr Unabhängigkeit für Frauen erkämpfen.© Deutschlandradio / Anne-Francoise Weber
Fathia Awled Nasser ist eine dieser Frauen, die so eine Mitgift gut brauchen könnten. Morgen heiratet sie, heute schon ist das ganze Haus in Aufregung. Stolz zeigt Fathia ihre Hände und Füße mit dem traditionellen Henna-Muster, das sie heute aufgetragen hat.
Aber schnell ist nicht mehr die Rede von Hochzeitsvorbereitungen, sondern von der Frauenbewegung Manish Sekta, die im vergangenen Jahr in Menzel Bouzaiene mit Sit-in und Hungerstreik die Anstellung von rund 30 Frauen im öffentlichen Dienst erreichen wollte. Fathia war ihre Sprecherin – bisher blieben ihre Proteste erfolglos.
Fathia Awled Nasser: "Das größte Problem für Frauen, um ihre Rechte einzufordern, ist rein wirtschaftlich. Wäre eine Frau wirtschaftlich unabhängig, hätte sie keine Angst, ihre Rechte einzufordern. Aber die Frau auf dem Land hängt finanziell stark vom Mann ab. Dabei verdient sie das Geld durch ihre körperliche Arbeit in der Landwirtschaft – aber sie gibt es nicht aus. Natürlich gibt es aufgeklärte Männer, die Frauen respektieren usw. Aber es gibt andere, die immer noch eine völlig patriarchale Sichtweise haben, Frauen unterdrücken und über alles Geld verfügen wollen, selbst wenn es der Lohn ihrer Frau oder ihrer Tochter ist. Sie wollen alles entscheiden. Frauen sind in ihrem Denken unabhängig, sie haben ihre Träume und Vorstellungen, aber sie können sie nicht umsetzen."

Auf dem Land gelten Frauen oft als minderwertig

Ist es denn so, wie die Ennahda-Abgeordnete Labidi sagt, dass die Mitgift den Frauen wenigstens ein wenig Unabhängigkeit ermöglicht? Fathias Freundin Amal Dhafouli ist nicht überzeugt:
"Denn erstens lässt sich die Frau lässt weder kaufen noch verkaufen. Zumal die Mitgift heute meistens nur ein symbolischer Dinar ist. Ich bin für die Abschaffung der Mitgift, und auch für die Anerkennung von außerehelichen Kindern. Ich unterstütze alle Vorschläge in diesem Bericht – und wir sollten gar nicht über den Islam reden. Da besteht kein Bedarf, denn wir sind ein säkularer Staat. Und die Frau von heute ist nicht die Frau von vor 1400 Jahren. Frauen sind heute produktiv, sie arbeiten, sie erziehen die Kinder. Ich bin für positive Diskriminierung für Frauen. Holt die Frauen aus der Benachteiligung, gebt ihnen die volle Gleichberechtigung – in der Praxis, nicht nur im Gesetz."
Denn gerade auf dem Land - da sind sich Fathia und Amal einig - gelten Frauen oft als minderwertig. Fathia erzählt, dass es für sie ein langer Weg war, bis sie so weit war, sich für Frauenrechte einzusetzen: "Die Erziehung auf dem Land ist hart. Zum Beispiel darfst du nicht am gleichen Tisch essen wie dein Vater. Wenn dein Vater zuhause ist, darfst du nicht geschminkt ausgehen. Du wirst mit vielen solchen Überzeugungen erzogen, so dass du mit 18 Jahren eine bestimmte Einstellung hast. Dann gehst du an die Universität zum Studieren und lernst eine andere Welt kennen. Da merkst du, dass es diesen ständigen Druck gibt, der deinen eigenen Überzeugungen widersprichst."
Dabei, das betonen beide Frauen, sei die Situation in der Kleinstadt Menzel Bouzaiene für die Frauen schon weitaus besser als in richtig ländlichen Gegenden. Wie es da aussehe, das wüssten die Feministinnen aus der Hauptstadt oftmals gar nicht. Und es interessiere sie oft auch nicht.
Bei so wenig Unterstützung können die Frauen von Menzel Bouzaiene nur auf sich selbst zählen im Kampf um Emanzipation. Und da haben sie doch schon einiges erreicht, findet Fathia.
"Als Frauenbewegung haben wir viel Unterdrückung erlebt. Niemand hat akzeptiert, dass eine Bewegung nur von Frauen getragen wird. Und dass Frauen auf die Straße gehen, demonstrieren und ihre Stimme erheben. Aber so langsam gibt es Männer, die mit uns auf die Straße gehen. Das ist für uns schon ein Erfolg,ein Fortschritt gegenüber dem Mann, der im Café sitzt und sich lustig macht über die Frauen, die auf die Straße gehen und ihre von der Verfassung garantierten Rechte einfordern. Jetzt gibt es ein paar Männer, die demonstrieren und mit uns sagen: gib ihnen ihr Recht, sie hat ein Recht auf Arbeit."
Amal Dhafouli: "Wir haben viel wirtschaftliche und soziale Gewalt erlebt. Zum Beispiel reden sie im Café über uns und sagen: ihr seid Straßenmädchen. Wir gehören mit unserer Protestgruppe zu den ersten, die sich im Café getroffen haben, ob es ihnen passt oder nicht. Das ist doch normal, das heißt nicht, dass man seine Tradition in Frage stellt. Das sind doch Kleinigkeiten - es ist mein Recht, auszugehen."
Café in Menzel Bouzaiene-
In den Cafés in Menzel Bouzaiene sitzen nur selten Frauen.© Deutschlandradio / Anne Francoise Weber
Wie um das zu beweisen, geht Amal mit einer tunesischen Journalistin und mir noch ins Café. Lauter Männer sitzen da vor einer Großleinwand und warten darauf, dass das nächste WM-Fußballspiel beginnt. Der Kellner ist freundlich und zuvorkommend, wir unterhalten uns über eine Freundin der beiden, die mit über 20 endlich ihr Abitur bestanden hat und der sich jetzt eine neue Welt öffnet.
Doch kaum sind die Kollegin und ich abgefahren, klingelt das Mobiltelefon: Amals Cousin hat sie im Café gesehen und sich gleich bei ihrem Bruder beschwert und ihn heftig angegangen, weil er nicht genug auf seine Schwester aufpasse. Amal würde sich am liebsten bei der Polizeistation beschweren, aber lässt es dann doch lieber. Die Frauen von Menzel Bouzaiene haben noch viele Kämpfe vor sich – nicht nur für eine gerechtere Aufteilung des Familienerbes.
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