Aufschwung, Aufrüstung, Krieg
Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze belegt in seinem Buch "Ökonomie der Zerstörung" detailreich, wie die deutsche Wirtschaft nach der Machtergreifung durch Hitler auf die expansive Kriegspolitik ausgerichtet wurde. Auf über 900 Seiten gibt Tooze einen umfassenden Überblick über die nationalsozialistische Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Drei Themen waren für die Nationalsozialisten zur Beginn ihrer Herrschaft besonders wichtig: Die Wiederaufrüstung, die Nichtanerkennung der deutschen Auslandsschulden und die "Erhaltung des Bauerntums". In seiner ersten Rundfunkansprache vom 1. Februar 1933 versprach Hitler zwar auch einen "umfassenden Angriff gegen die Arbeitslosigkeit", aber in Wirklichkeit konnte er auf das Programm zurückgreifen, das ihm sein Vorgänger Kurt Schleicher hinterlassen hatte, ein voll ausgearbeitetes, kreditfinanziertes Arbeitsbeschaffungsprogramm, für das im Haushalt insgesamt 600 Millionen Reichsmark bereit standen.
Besonders erfolgreich bei dieser "Arbeitsschlacht", für die ein knappes halbes Jahr später schon eine Milliarde Reichsmark veranschlagt wurde, war der Gauleiter von Ostpreußen. Im Januar 1933 gab es dort noch 130.000 Arbeitslose, im Juli waren alle in "Lohn und Brot". Goebbels sorgte dafür, dass diese Großtat richtig in Szene gesetzt wurde und überall Erstaunen und Bewunderung auslöste.
Adam Tooze beschreibt, was sich hinter dem Wunder verbarg: Die Arbeitslosen Ostpreußens wurden gnadenlos zur Arbeit getrieben, verheiratete Männer wurden in sogenannte Kameradschaftslager gepfercht, wo sie schwerste Erdarbeiten verrichten mussten und gleichzeitig noch einem Umerziehungsprogramm der DAF, der "Deutschen Arbeitsfront", unterworfen wurden. Der findige Gauleiter schaffte es, dass eines der ersten "wilden" Konzentrationslager als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme anerkannt wurde.
Noch einen anderen Mythos, der sich über die Jahrzehnte gehalten hat, schafft Adam Tooze aus dem Weg: Der Autobahnbau mit dem Ziel, im Kriegsfall Hunderttausende Soldaten quer durch das Reich befördern zu können, war als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme weder gedacht noch geeignet. Für den ersten Abschnitt wurden nur 1000 Arbeiter angeheuert, und auch zwölf Monate später waren im gesamten Autobahnbau nur 38.000 Männer beschäftigt, ein Bruchteil der Arbeitsplätze, die nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialsten geschaffen wurden.
Die Wirtschaft erholte sich zwar, aber es wäre auch ohne staatliche Subventionen zum Aufschwung gekommen, vermutet Tooze. Doch vom eigenen Auto ja sogar von einem Radio träumten viele der "Volksgenossen" vergebens. Von Anfang an wurde mehr Geld in die Rüstung gesteckt als in alle anderen Industriezweige. Hitler wollte auf jeden Fall vermeiden, so Tooze, in den Einflussbereich der Vereinigten Staaten von Amerika zu kommen, die er in seinem Rassenwahn vom "Weltjudentum" beherrscht sah. Deutschland sollte selbst eine Weltmacht werden. Dazu fehlten jedoch, wovon Amerika reichlich hatte, Bodenschätze und ein großer Binnenmarkt. Den fehlenden "Lebensraum" wollte Hitler im Osten beschaffen, deshalb musste er aufrüsten.
Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, die Adam Tooze sehr detailreich auf mehr als 900 Seiten niedergeschrieben hat, ist also vor allem eine Geschichte der Rüstungswirtschaft. Deutschland sollte nach Hitlers Willen autark sein, war jedoch auf Importe angewiesen. Eisenerz, Kupfer, aber auch Weizen fehlten im Land. Die Devisen waren knapp, Kredite im Ausland sollten nach Möglichkeit vermieden werden, weil sie nicht zur Abkoppelungspolitik passten. Also musste exportiert werden, was sich jedoch auch nicht so einfach gestaltete, weil die Reichsmark überbewertet war, eine Folge der massiven Auslandsverschuldung. Wirtschaftliche und finanzpolitische Mechanismen werden von Adam Tooze ausführlich erklärt. Das Buch ist reich an Belegen, allein die Anmerkungen machen mehr als 100 Seiten aus. Die zahlreichen Tabellen zeigen zum Beispiel die "Mobilisierung von in- und ausländischen Ressourcen in Großbritannien und Deutschland" oder die "Umverteilung der Bevölkerung nach den Plänen des Generalplans Ost".
Hitler wusste, dass der Westen ihm strukturell und militärisch überlegen war. Der Kriegsbeginn war ein "Vabanquespiel", das Deutschland zunächst zu gewinnen schien. Beklemmend sind vor allem die Kapitel über das Kriegsgeschehen. Holocaust und Hungerpolitik erscheinen aus der Sicht wirtschaftspolitischer Überlegungen noch einmal in einem anderen Licht. Unter den altbekannten Protagonisten des "Dritten Reiches" hebt Tooze zwei heraus: Herbert Backe und Albert Speer. Backe war ein hoher Beamter in der Nazi-Bürokratie, später Reichsernährungsminister, der die Ausplünderung der Sowjetunion maßgeblich geplant und organisiert hat, ein Typ vom Schlage Eichmanns: fanatisch, aber effizient. Und auch Albert Speer, ein genuiner Nazi und Karrierist, der schon 1931 in die NSDAP eintrat, ein hoch wirksam arbeitender Rüstungsminister in den letzen Kriegsjahren, war sich sehr wohl über die verbrecherischen Machenschaften der Hitler-Politik bewusst und wirkte aktiv daran mit. Ihm hat Adam Tooze ein eigenes Kapitel gewidmet, "Albert Speer: Der ‚Wundermann’". Die Selbstdarstellung Speers als unpolitischen Akteur hält der Wirtschaftshistoriker für absurd. Er "rettete seinen Hals bei den Nürnberger Prozessen mit einer genau kalkulierten Mixtur aus Bekenntnis, Reue und Verleugnung".
Wegen der vielen Zahlen und Belege ist das Buch mitunter sperrig, auch die komplizierten ökonomischen Zusammenhänge sind für Laien auf den ersten Blick oft nicht zu verstehen. Andererseits ist es gerade die Fülle des Materials mit den vielen Verweisen auf andere Quellen, die immer neue Aspekte in einer – vermeintlich – längst bekannten Geschichte des Nationalsozialismus entdecken lassen.
Rezensiert von Annette Wilmes
Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus
Aus dem Englischen von Yvonne Badal
Siedler-Verlag, München 2007
926 Seiten, 44 Euro
Besonders erfolgreich bei dieser "Arbeitsschlacht", für die ein knappes halbes Jahr später schon eine Milliarde Reichsmark veranschlagt wurde, war der Gauleiter von Ostpreußen. Im Januar 1933 gab es dort noch 130.000 Arbeitslose, im Juli waren alle in "Lohn und Brot". Goebbels sorgte dafür, dass diese Großtat richtig in Szene gesetzt wurde und überall Erstaunen und Bewunderung auslöste.
Adam Tooze beschreibt, was sich hinter dem Wunder verbarg: Die Arbeitslosen Ostpreußens wurden gnadenlos zur Arbeit getrieben, verheiratete Männer wurden in sogenannte Kameradschaftslager gepfercht, wo sie schwerste Erdarbeiten verrichten mussten und gleichzeitig noch einem Umerziehungsprogramm der DAF, der "Deutschen Arbeitsfront", unterworfen wurden. Der findige Gauleiter schaffte es, dass eines der ersten "wilden" Konzentrationslager als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme anerkannt wurde.
Noch einen anderen Mythos, der sich über die Jahrzehnte gehalten hat, schafft Adam Tooze aus dem Weg: Der Autobahnbau mit dem Ziel, im Kriegsfall Hunderttausende Soldaten quer durch das Reich befördern zu können, war als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme weder gedacht noch geeignet. Für den ersten Abschnitt wurden nur 1000 Arbeiter angeheuert, und auch zwölf Monate später waren im gesamten Autobahnbau nur 38.000 Männer beschäftigt, ein Bruchteil der Arbeitsplätze, die nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialsten geschaffen wurden.
Die Wirtschaft erholte sich zwar, aber es wäre auch ohne staatliche Subventionen zum Aufschwung gekommen, vermutet Tooze. Doch vom eigenen Auto ja sogar von einem Radio träumten viele der "Volksgenossen" vergebens. Von Anfang an wurde mehr Geld in die Rüstung gesteckt als in alle anderen Industriezweige. Hitler wollte auf jeden Fall vermeiden, so Tooze, in den Einflussbereich der Vereinigten Staaten von Amerika zu kommen, die er in seinem Rassenwahn vom "Weltjudentum" beherrscht sah. Deutschland sollte selbst eine Weltmacht werden. Dazu fehlten jedoch, wovon Amerika reichlich hatte, Bodenschätze und ein großer Binnenmarkt. Den fehlenden "Lebensraum" wollte Hitler im Osten beschaffen, deshalb musste er aufrüsten.
Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, die Adam Tooze sehr detailreich auf mehr als 900 Seiten niedergeschrieben hat, ist also vor allem eine Geschichte der Rüstungswirtschaft. Deutschland sollte nach Hitlers Willen autark sein, war jedoch auf Importe angewiesen. Eisenerz, Kupfer, aber auch Weizen fehlten im Land. Die Devisen waren knapp, Kredite im Ausland sollten nach Möglichkeit vermieden werden, weil sie nicht zur Abkoppelungspolitik passten. Also musste exportiert werden, was sich jedoch auch nicht so einfach gestaltete, weil die Reichsmark überbewertet war, eine Folge der massiven Auslandsverschuldung. Wirtschaftliche und finanzpolitische Mechanismen werden von Adam Tooze ausführlich erklärt. Das Buch ist reich an Belegen, allein die Anmerkungen machen mehr als 100 Seiten aus. Die zahlreichen Tabellen zeigen zum Beispiel die "Mobilisierung von in- und ausländischen Ressourcen in Großbritannien und Deutschland" oder die "Umverteilung der Bevölkerung nach den Plänen des Generalplans Ost".
Hitler wusste, dass der Westen ihm strukturell und militärisch überlegen war. Der Kriegsbeginn war ein "Vabanquespiel", das Deutschland zunächst zu gewinnen schien. Beklemmend sind vor allem die Kapitel über das Kriegsgeschehen. Holocaust und Hungerpolitik erscheinen aus der Sicht wirtschaftspolitischer Überlegungen noch einmal in einem anderen Licht. Unter den altbekannten Protagonisten des "Dritten Reiches" hebt Tooze zwei heraus: Herbert Backe und Albert Speer. Backe war ein hoher Beamter in der Nazi-Bürokratie, später Reichsernährungsminister, der die Ausplünderung der Sowjetunion maßgeblich geplant und organisiert hat, ein Typ vom Schlage Eichmanns: fanatisch, aber effizient. Und auch Albert Speer, ein genuiner Nazi und Karrierist, der schon 1931 in die NSDAP eintrat, ein hoch wirksam arbeitender Rüstungsminister in den letzen Kriegsjahren, war sich sehr wohl über die verbrecherischen Machenschaften der Hitler-Politik bewusst und wirkte aktiv daran mit. Ihm hat Adam Tooze ein eigenes Kapitel gewidmet, "Albert Speer: Der ‚Wundermann’". Die Selbstdarstellung Speers als unpolitischen Akteur hält der Wirtschaftshistoriker für absurd. Er "rettete seinen Hals bei den Nürnberger Prozessen mit einer genau kalkulierten Mixtur aus Bekenntnis, Reue und Verleugnung".
Wegen der vielen Zahlen und Belege ist das Buch mitunter sperrig, auch die komplizierten ökonomischen Zusammenhänge sind für Laien auf den ersten Blick oft nicht zu verstehen. Andererseits ist es gerade die Fülle des Materials mit den vielen Verweisen auf andere Quellen, die immer neue Aspekte in einer – vermeintlich – längst bekannten Geschichte des Nationalsozialismus entdecken lassen.
Rezensiert von Annette Wilmes
Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus
Aus dem Englischen von Yvonne Badal
Siedler-Verlag, München 2007
926 Seiten, 44 Euro