Aufschwung

Warum Spaniens Wirtschaft wieder wächst

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnt die Abstimmung ab
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy © afp / Dani Pozo
Fernando Vallespin im Gespräch mit Dieter Kassel |
Spaniens positive Wirtschaftsentwicklung erklärt der Politikwissenschaftler Fernando Vallespin mit der Abwertung spanischer Gehälter. Gleichzeitig warnt er vor der Abhängigkeit seines Landes von der Weltwirtschaft. Heute besucht Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy Deutschland.
Spaniens Wirtschaft ist im Aufschwung. Man rechne damit, dass die wirtschaftliche Leistung um rund drei Prozent steigen werde, sagte Fernando Vallespin, Politikwissenschaftler der Universidad Autonoma Madrid, im Deutschlandradio Kultur:
"Wir müssen noch abwarten, was so in der Weltwirtschaft passiert. Aber eigentlich sind wir alle sehr zufrieden damit. Denn wir kommen aus einer sehr lange Krise. Und endlich sieht es wieder so aus wie früher."
Spanien sei jetzt zu einem Exportland geworden. Die positive wirtschaftliche Entwicklung hänge vor allem auch mit der Abwertung der Gehälter zusammen:
"So eine Arbeitsstunde in Spanien liegt bei rund 20 Euro. In Italien sind es 27, in Deutschland 33, in Frankreich 35 Euro. Und das ist natürlich viel konkurrenzfähiger, wenn man billiger ist."
Spaniens "wunde Punkte"
Ministerpräsident Mariano Rajoy kommt heute zu einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Deutschland. Er verkaufe den wirtschaftlichen Aufschwung als einen Erfolg seiner Regierung, meinte Vallespin. Spanien habe allerdings "zwei wunde Punkte". Das sei zum einen die Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Zum anderen gehe es um die politische Stabilität Im Zusammenhang mit den im Dezember stattfindenden Wahlen:
"Ich glaube nicht, dass Rajoy genügend Sitze haben wird, um regieren zu können. Meine These ist, dass eigentlich unsere politische Stabilität, die wir seit 1978 haben, wahrscheinlich verschwinden wird. (...) In Spanien ist eine große Koalition, glaube ich, noch nicht möglich."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy kommt heute nach Deutschland und trifft sich mit Bundeskanzlerin Merkel. Eigentlich stehen bei diesem Treffen ganz andere Themen im Mittelpunkt. Aber er wird sicherlich auch von der Lage in seinem Heimatland berichten, denn da gibt es Positives zu erzählen. Die spanische Wirtschaft entwickelt sich positiv, sehr positiv sogar, das Wachstum erreicht inzwischen Werte, die an die Zeiten vor der großen Krise erinnern. Und über diesen überraschenden Aufschwung wollen wir jetzt mit Fernando Vallespin reden. Er ist Politikwissenschaftler an der Universidad Autonoma in Madrid. Herr Vallespin, schönen guten Morgen!
Fernando Vallespin: Schönen guten Morgen!
Kassel: Können Sie das denn bestätigen, was viele aktuelle Zahlen nahelegen? Erlebt Spanien gerade wirklich einen deutlichen Wirtschaftsaufschwung?
Vallespin: Wir erwarten, dass die wirtschaftliche Leistung um rund drei Prozent steigen wird. Aber wir müssen noch abwarten, was so in der Weltwirtschaft passiert. Aber eigentlich sind wir alle sehr zufrieden damit. Wir kommen aus einer sehr langen Krise, und endliche sieht es wieder so aus wie früher.
Kassel: Aber woher kommt diese Entwicklung jetzt?
Vallespin: Es gibt wirklich mehrere Gründe. Wir sind jetzt zu einem Exportland geworden. Natürlich hängt das von der Abwertung der Gehälter ab. Obwohl die Arbeitslosigkeit immer noch nicht sehr viel gesunken sind. Aber diejenigen, die Arbeit haben, sind viel produktiver. So eine Arbeitsstunde in Spanien sind rund um die 20 Euro, es sind 27 Euro in Italien, und in Deutschland sind es 33, 35 in Frankreich. Und da sind wir natürlich viel konkurrenzfähiger, wenn man so billiger ist.
Kassel: Das erklärt natürlich einiges, aber, wie ich finde, nicht alles. Es gibt ja eine ganze Reihe von positiven Zahlen zurzeit aus Spanien. Und eine davon betrifft auch die Umsätze im Einzelhandel. Und wenn die Leute nun ja eigentlich weniger Geld haben, auch die, die Arbeit haben, wie erklären Sie sich, dass auch der Einzelhandel immer mehr Umsätze macht? Sind das nur die Touristen?
Neue Rekordzahlen beim Tourismus
Vallespin: Ja, das ist natürlich auch der Tourismus. Wir haben jetzt Rekordzahlen bekommen in diesem Jahr. Juli war wirklich spektakulär. Wir werden jetzt das zweite Tourismusland sein auf der Welt nach den Vereinigten Staaten. Früher war Frankreich auf dem zweiten Platz. Und jetzt sieht es so aus, als ob wir jetzt über Frankreich sein werden am Ende des Jahres. Aber ich glaube, der Konsum ist erheblich gestiegen. Deswegen verkaufen die Einzelhändler immer mehr, also zunächst mal auch an Straßen und in Restaurants und überall.
Kassel: Aber kommt das wirklich bei allen Menschen an? Spanien ist ja auch Rekordmeister, zumindest in Europa, was die Jugendarbeitslosigkeit angeht. Und Sie haben gerade selber erzählt, die Arbeitslosigkeit – es sind neue Arbeitsplätze geschaffen worden, aber die Arbeitslosigkeit hat man noch nicht im Griff. Gibt es da nicht viele Menschen in Spanien jetzt, die von diesem Aufschwung gar nichts haben?
Vallespin: Die Hilfen haben sich doch ein bisschen erhöht. Die Leute, die keine Arbeit haben, die haben jetzt mehr Hilfen, zum Beispiel also Haushalte, wo niemand arbeitet, das ist eines der großen Probleme, die wir haben. Es gibt in Spanien über eine Million Familien, wo kein Mensch arbeitet. Nicht die Eltern, nicht die Kinder, und das ist natürlich sehr schwierig. Und da brauchen sie auch wirkliche Hilfe.
Kassel: Aber wenn man sich die Zahlen genau anguckt und auch guckt, woher es kommt, dieses Wirtschaftswachstum, dann ist es zum einen der Tourismus, das haben Sie auch schon gesagt. Es ist aber auch die Bauindustrie. Und nun erinnern wir uns ...
Vallespin: Ja, die kommt wieder.
Die Immobilienblase in Spanien
Kassel: Ja, aber eine der Ursachen – Entschuldigung, Herr Vallespin, aber eine der Ursachen der Wirtschaftskrise war ja auch der Immobilienboom und die Immobilienblase in Spanien. Ich frage mich, ob man jetzt nicht im Moment teilweise die gleichen Fehler macht wie früher.
Vallespin: Das mag sein, aber ich glaube, es ist nicht so irrsinnig, wie es früher war. Also nicht so wahnsinnig. Das war wirklich ein Wahnsinn. Dass in Madrid eine Wohnung teurer war als in Deutschland, das hat überhaupt keinen Sinn. Das war wirklich so eine Blase. Aber es hat sich erholt, weil es auch sehr unten war, also nach der Krise.
Kassel: Aber wenn wir jetzt nicht wissen können - können wir beide nicht -, was in zwei, drei Jahren passiert, lassen Sie uns noch darüber reden, was in vier, fünf Monaten passiert. Im Dezember wird ein neues Parlament gewählt in Spanien. Was bedeutet denn jetzt dieser aktuelle Wirtschaftsaufschwung für Mariano Rajoy? Verkauft er das als seinen persönlichen Erfolg?
Vallespin: Ja, er verkauft das als einen Erfolg seiner Regierung. Aber ich glaube, Spanien hat zwei wunde Punkte, würde man sagen: Eines ist die Abhängigkeit von der Weltwirtschaft. Das ist ja klar, also zum Beispiel, das wissen wir noch nicht, was da mit dieser chinesischen Krise passieren wird.
Aber auf der anderen Seite ist das atürlich die politische Stabilität. Ich glaube nicht, dass Rajoy genügend Sitze haben wird, um regieren zu können. Meine These würde sein, dass eigentlich so unsere politische Stabilität, die wir seit 1978 haben, die wird wahrscheinlich verschwinden. Und die Frage ist, wie lange werden wir noch instabil sein. Denn in Spanien ist eine große Koalition, glaube ich, noch nicht möglich. Vielleicht in vier, acht Jahren oder so könnten wir so etwas - mit einer großen Koalition meine ich Sozialisten und die PP, also die Konservativen. Mit der jetzigen Führung der Sozialisten ist das nicht machbar. Deswegen, wenn die Sozialisten keine Möglichkeit haben zu regieren, wird es vielleicht mit Podemos und anderen. Aber Podemos wird auch nicht sehr gut abschneiden, ich glaube nicht, über 16 Prozent.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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