Aufstand der Verlierer
Trotz der Friedensverhandlungen in Kolumbien nimmt die Gewalt in manchen Gebieten noch zu. In der Cauca-Region gerät vor allem die indigene Bevölkerung zwischen die Fronten. Sie widersetzt sich dem Terror, den Guerilla und Militär ausüben.
Mittag in Toribio. Die Sonne strahlt über den saftig grünen Bergen, die Luft duftet nach Eukalyptus. Die Kinder auf dem Hof der Dorfschule wirken ausgelassen, necken sich, spielen Fußball oder Fangen. Doch das Idyll trügt. Viele der Kinder sind traumatisiert. Denn die Region um die Ortschaft Toribio ist einer der Brennpunkte des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in Kolumbien. Über 600 Angriffe der Guerilla gab es hier in den vergangenen Jahren:
"Oft war es so, dass meine Kinder auf dem Marktplatz gespielt haben. Dann gingen die Schießereien mit der Guerilla los und die Kinder mussten sich irgendwie in Sicherheit bringen."
Die 29-jährige Merly Troches, rundes Gesicht, dunkelbraune Augen, lächelt freundlich, auch wenn sie vom alltäglichen Grauen in Toribío berichtet. Denn Schießereien, Granatenangriffe, Bombenattentate – das gehört zum Alltag ihrer fünfköpfigen Familie.
"Meine Söhne haben inzwischen Angst, draußen zu spielen. Mein ältester fragt ständig, wann wir endlich weg gehen."
Troches zeigt auf die Tür ihres Hauses. Granatsplitter haben sie durchlöchert. Die Wände des Wohnzimmers sind mit Einschusslöchern übersät. Die Rahmen der Familienfotos zersplittert:
"Auch wir Erwachsenen haben Angst. Ich muss immer daran denken, dass jederzeit eine Bombe explodieren könnte. Ich gehe nur noch vor die Tür, wenn es wirklich sein muss."
Das Haus der Familie liegt nur rund 100 Meter entfernt von der Polizeistation des Ortes. Davor haben sich mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten hinter Sandsäcken verschanzt. Immer wieder greift die FARC-Guerilla den Polizeiposten an. Regelmäßig kommt es zu stundenlangen Schießereien und Gefechten.
Die marxistisch-leninistische FARC kämpft seit mehr als 40 Jahren gegen den kolumbianischen Staat. Hunderttausende wurden im Konflikt zwischen der Guerilla auf der einen und dem Militär und rechtsextremen Todesschwadronen auf der anderen Seite getötet. Über fünf Millionen Menschen flüchteten aus den Konfliktregionen in andere Landesteile.
Ein improvisiertes Radiostudio, einfachste Technik, dünne Wände, Wellblechdach – hier moderiert der 40-jährige Manuel Julique das Radioprogramm der Indio-Vereinigung von Toribio. An die ständigen Schießereien, sagt Julique, hätten sich die Menschen fast schon gewöhnt. Mitte vergangenen Jahres aber erreichte die Gewalt ein neues Niveau. Julique saß gerade vor dem Mikrophon.
"Es begann wie immer mit einer Schießerei. Doch dann explodierte plötzlich alles. Ich spürte, wie das Dach herabstürzte und die gläserne Trennwand des Studios zersprang. Das war wie ein Erdbeben. Dann habe ich gemerkt, dass ich mich am Mund und am Arm verletzt hatte. Ich lief in den ersten Stock, überall schrien und weinten die Leute, während draußen weiter geschossen wurde und Granaten explodierten. Ich dachte, jetzt gleich explodiert noch eine Bombe und dann sind wir alle tot."
Ein FARC-Kämpfer hatte versucht, einen mit Sprengstoff vollgepackten Bus in die Polizeistation zu steuern. Der Sprengsatz explodierte kurz vor dem eigentlichen Ziel. Der massive dunkelgrüne Betonbunker der Polizei im Zentrum des kleinen Andenortes überstand den Angriff weitgehend unbeschadet.
Die Häuser rund um den Polizeiposten aber wurden in Schutt und Asche gelegt. Von den meisten Gebäuden stehen heute nur noch Gerippe. Drei Menschen, ein Polizist und zwei Zivilisten starben bei dem Angriff. Es gab über hundert Verletzte. Es war Markttag, Toribío voll mit Besuchern. Auch Merly Troches erinnert sich mit Schrecken an den Anschlag:
"Das war eine fürchterliche Situation. Stundenlang wusste ich nicht, wie es meiner Familie geht."
Merly Troches Ehemann wurde verletzt, die Söhne überstanden den Angriff zumindest äußerlich unbeschadet. Doch die Angst ist geblieben:
"Es gibt hier keine Ruhe, keine Sicherheit, noch nicht mal in unseren Häusern können wir uns sicher fühlen. Es kann immer sein, dass plötzlich eine Granate einschlägt."
Hauptangriffsziele der Guerilla sind Polizei und Militär. Doch die Gewalt, so Radiomoderator Manuel Julique, richtet sich auch gegen die Zivilbevölkerung:
"Die Menschen sollen eingeschüchtert werden, damit sie mit ihr zusammenarbeiten. Für die Guerilla sind wir ansonsten alle Kollaborateure des Staates."
Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – das die Logik der Guerilla. Erst Anfang Oktober ermordete die FARC einen aus Toribio stammenden Anführer der Indios. Allein in diesem Jahr wurden in der Cauca-Region 40 Kommunalpolitiker und Indio-Vertreter getötet – von der Guerilla oder von rechtsextremen Todesschwadronen.
Ein quadratischer Betonklotz in einem Gewerbegebiet der Großstadt Cali – rund 100 Kilometer nördlich von Toribio gelegen. Hier hat die Redaktion der kolumbianischen Tageszeitung El Pais ihren Sitz. Sicherheitskräfte mit schusssicheren Westen bewachen den Eingang. Denn Journalisten leben in Kolumbien bis heute gefährlich. Luis Guillermo Restrepo, graue Haare, buschige Augenbrauen, das weiße Hemd leger über der Hose, leitet das Meinungsressort der Zeitung. Die Cauca-Region, erklärt Restrepo, sei eine traditionelle Hochburg der Guerilla:
"Das hat historische Gründe: Es gibt in diesem Gebiet keine Entwicklung, keine Industrie und die Präsenz des Staates ist sehr begrenzt."
Erst in den vergangenen Jahren, sagt Restrepo, wurde die Zahl der Polizisten und Soldaten in der Cauca-Region aufgestockt:
"Wenn der Staat jetzt in diese Hochburgen der FARC zurückkehrt, muss er das mit Gewalt tun. Deswegen konzentriert sich heute ein großer Teil des Konflikts auf Kolumbiens Südwesten."
Doch mehr Sicherheit hat die Aufstockung von Polizei und Militär den Menschen nicht gebracht. Im Gegenteil, sagen viele Bewohner der Region:
"Es gibt nur noch mehr Probleme. Denn die Guerilla attackiert die Sicherheitskräfte. Und wir geraten zwischen die Fronten. Was ist das für eine Sicherheit?"
Die Region verlassen kann und will Merly Troches mit ihrer Familie trotzdem nicht.
"Wir haben doch nur unser kleines Haus in Toribío und sonst nichts. Außerdem ist es an vielen anderen Orten genauso gefährlich wie bei uns."
Und so harren sie weiter in Toribío aus. Jetzt hofft die Familie auf einen positiven Ausgang der Friedensverhandlungen zwischen den Unterhändlern der kolumbianischen Regierung und der Rebellenorganisation FARC:
"Die Militarisierung, das haben wir hier in den vergangenen Jahren gesehen, ist keine Lösung. Frieden kann man nur mit Gesprächen schaffen."
Eine Kaserne am Stadtrand der Provinzhauptstadt Popayan. Soldaten in Tarnanzügen marschieren durch die parkähnliche Anlage, Kampfhubschrauber starten und landen im Minutentakt. General Miguel Perez, Kommandant von rund 26.000 Soldaten, residiert in einem großen Büro mit Blick auf das Flugfeld. Der General, durchtrainiert, die Haare kurz rasiert, empfängt hinter einem klobigen dunkelbraunen, meterlangen Massivholzschreibtisch. Hinter ihm eine Schrankwand mit Familienfotos. Perez leitet die Aktionen des Militärs in der Region. Erst die massive Offensive des kolumbianischen Militärs in den vergangenen Jahren, glaubt Perez, habe die Guerilla überhaupt an den Verhandlungstisch gebracht:
" Die FARC sieht, dass sie an Boden verliert. Wir bekämpfen ihre Strukturen. Unsere Truppen gehen in die Berge, suchen ihre Basen und neutralisieren die Terroristen. In den vergangenen Jahren hat die FARC mehr als 50 ihrer Anführer verloren. Und wenn die FARC nicht versteht, dass sie ernsthaft verhandeln muss, werden wir sie nach und nach ganz ausschalten."
Die FARC hat heute nach Angaben des kolumbianischen Militärs nur noch rund 8.000 Kämpfer. Vor wenigen Jahren noch sollen es rund 18.000 gewesen sein. Viele Guerilleros wurden vom Militär getötet. Andere haben freiwillig die Waffen niedergelegt und sich am staatlichen Demobilisierungsprogramm beteiligt. Tatsächlich ist insgesamt das von den Rebellen kontrollierte Gebiet geschrumpft. In manchen Gegenden wie in der Cauca-Region aber ist die FARC bis heute stark. General Perez hält deren Mitglieder zwar für Terroristen, will aber eine Verhandlungslösung nicht ausschließen:
"90 Prozent aller Konflikte enden früher oder später mit einer politischen Lösung. Bis dahin aber werden wir diese Gruppen angreifen, wo auch immer sie sich befinden."
Denn auch während der Friedensverhandlungen, die am 15. Oktober in Oslo begonnen haben, hat die kolumbianische Regierung klar gemacht, soll es keinen Waffenstillstand geben:
"In den Gebieten, in denen es noch immer schwere Auseinandersetzungen gibt, wie in Toribio, wissen die Leute, was sie machen müssen. Sie bleiben in ihren Häusern, in ihren Dörfern, nehmen nicht am Konflikt teil. Aber wenn sie zu den bewaffneten Organisationen gehören, dann werden wir sie bekämpfen."
Abel Coucue, Mitglied der regionalen Indio-Vereinigung CRIC, empfindet solche Ratschläge als Zynismus. Denn nicht am Konflikt teilnehmen – das ist leichter gesagt als getan, auch wenn er selber genug vom Krieg hat. Vor einem Jahr, erzählt er, hat er seine elfjährige Tochter verloren:
"Sie hat vor unserem Haus gespielt, als eine Granate der Guerilla explodierte. Ein Splitter traf sie ins Herz, sie war sofort tot."
Coucues Frau zog die Konsequenzen. Sie hat die umkämpfte Cauca-Region im Süden Kolumbiens inzwischen verlassen. Abel Coucue ist geblieben:
"Wir müssen unsere Mutter Erde hier verteidigen. Und zwar mit friedlichen Mitteln. Egal, was passiert."
Die meisten Bewohner der Region sind wie Abel Coucue oder Radiomoderator Manuel Julique Indios. Sie wollen nicht auf den ungewissen Ausgang der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla warten.
Ein Kontrollpunkt des Militärs, schwerbewaffnete Soldaten, verschanzt hinter Sandsäcken. Rund 1000 Demonstranten, die meisten Indios, haben die Straße mit Bussen blockiert:
"Wir sind heute hier, um an Marie Arley Salazar zu erinnern. Sie wurde vom Militär erschossen und als Guerilla-Kämpferin ausgegeben."
Die Soldaten blicken skeptisch, als die Indios einen grün-rot bemalten Gedenkstein niederlegen:
"Heute sagen wir den bewaffneten Akteuren: Respektiert unser Leben und unser Land!"
Die Indio-Bewegung CRIC fordert Militär und Guerilla auf, ihr Territorium zu verlassen. Zu groß sei die Zahl der zivilen Opfer des Konflikts. Jetzt wollen die Indios mit einer eigenen unbewaffneten Sicherheitstruppe für Ordnung sorgen.
Immer wieder haben sie in den vergangenen Monaten mit spektakulären Aktionen auf ihre schwierige Situation aufmerksam gemacht. Im Juli besetzten rund 1.000 Indios einen Militärposten auf einem Berg oberhalb von Toribío. Symbolisch trugen sie mehrere Soldaten weg und zerstörten deren Unterstände. Die Besetzung dauerte mehrere Tage und wurde schließlich von einer Sondereinheit der Polizei beendet.
Gleichzeitig marschierten rund dreitausend Demonstranten zu den Stellungen der Guerilla. Dort überreichten sie eine Petition, in der sie den Rückzug der Rebellen aus ihren Gebieten fordern. Die Guerilla, sagt Abel Coucue, hat ihre eigentlichen Ziele schon lange verloren:
"Denen geht es nicht mehr um Gerechtigkeit. Denen geht es um wirtschaftliche Interessen und um ihren Anteil an der Macht."
Angetreten war die Guerilla Mitte der 1960er-Jahre mit Forderungen nach einer Landreform und nach einer besseren Verteilung von Wohlstand. Forderungen, die beim armen Teil der Bevölkerung zunächst auf Sympathie stießen. Denn Kolumbien gehört zu den Ländern mit der weltweit ungerechtesten Einkommensverteilung. Doch inzwischen äußert kaum noch ein Kolumbianer Verständnis für die Rebellen. Zu hoch ist der Blutzoll, den die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten zahlen mussten.
Außerdem ist die FARC schon seit langem massiv in den Drogenhandel verstrickt. Auch deswegen ist die Cauca-Region so wichtig für die Guerilla. Denn Kolumbiens Südwesten ist eine der Hauptdrogenanbauregionen des Landes, meint der Journalist Luis Guillermo Restrepo:
"Hier wachsen Koka, Mohn und Marihuana. Hier stehen die Labore zur Produktion von Kokain und Heroin und von hier aus werden die Drogen in Richtung Mexiko und USA gebracht."
Die Guerilla schützt die Drogenmafia und kassiert im Gegenzug einen Anteil der Gewinne. Zum Teil betreibt die FARC auch eigene Labore und übernimmt Transport und Verteilung. Auch deshalb ist es zweifelhaft, dass die Rebellen tatsächlich willens sind, die für sie so wichtige Region zu verlassen und damit auf ihre Profite aus dem Drogenhandel zu verzichten.
Aber auch die kolumbianische Regierung hält wenig von einer Demilitarisierung der Region. "Keinen Zentimeter" werde das Militär preisgeben, erklärte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos. Zu groß ist die Angst, dass die Guerilla den Freiraum nutzt, um ihr Einflussgebiet auszubauen.
"Oft war es so, dass meine Kinder auf dem Marktplatz gespielt haben. Dann gingen die Schießereien mit der Guerilla los und die Kinder mussten sich irgendwie in Sicherheit bringen."
Die 29-jährige Merly Troches, rundes Gesicht, dunkelbraune Augen, lächelt freundlich, auch wenn sie vom alltäglichen Grauen in Toribío berichtet. Denn Schießereien, Granatenangriffe, Bombenattentate – das gehört zum Alltag ihrer fünfköpfigen Familie.
"Meine Söhne haben inzwischen Angst, draußen zu spielen. Mein ältester fragt ständig, wann wir endlich weg gehen."
Troches zeigt auf die Tür ihres Hauses. Granatsplitter haben sie durchlöchert. Die Wände des Wohnzimmers sind mit Einschusslöchern übersät. Die Rahmen der Familienfotos zersplittert:
"Auch wir Erwachsenen haben Angst. Ich muss immer daran denken, dass jederzeit eine Bombe explodieren könnte. Ich gehe nur noch vor die Tür, wenn es wirklich sein muss."
Das Haus der Familie liegt nur rund 100 Meter entfernt von der Polizeistation des Ortes. Davor haben sich mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten hinter Sandsäcken verschanzt. Immer wieder greift die FARC-Guerilla den Polizeiposten an. Regelmäßig kommt es zu stundenlangen Schießereien und Gefechten.
Die marxistisch-leninistische FARC kämpft seit mehr als 40 Jahren gegen den kolumbianischen Staat. Hunderttausende wurden im Konflikt zwischen der Guerilla auf der einen und dem Militär und rechtsextremen Todesschwadronen auf der anderen Seite getötet. Über fünf Millionen Menschen flüchteten aus den Konfliktregionen in andere Landesteile.
Ein improvisiertes Radiostudio, einfachste Technik, dünne Wände, Wellblechdach – hier moderiert der 40-jährige Manuel Julique das Radioprogramm der Indio-Vereinigung von Toribio. An die ständigen Schießereien, sagt Julique, hätten sich die Menschen fast schon gewöhnt. Mitte vergangenen Jahres aber erreichte die Gewalt ein neues Niveau. Julique saß gerade vor dem Mikrophon.
"Es begann wie immer mit einer Schießerei. Doch dann explodierte plötzlich alles. Ich spürte, wie das Dach herabstürzte und die gläserne Trennwand des Studios zersprang. Das war wie ein Erdbeben. Dann habe ich gemerkt, dass ich mich am Mund und am Arm verletzt hatte. Ich lief in den ersten Stock, überall schrien und weinten die Leute, während draußen weiter geschossen wurde und Granaten explodierten. Ich dachte, jetzt gleich explodiert noch eine Bombe und dann sind wir alle tot."
Ein FARC-Kämpfer hatte versucht, einen mit Sprengstoff vollgepackten Bus in die Polizeistation zu steuern. Der Sprengsatz explodierte kurz vor dem eigentlichen Ziel. Der massive dunkelgrüne Betonbunker der Polizei im Zentrum des kleinen Andenortes überstand den Angriff weitgehend unbeschadet.
Die Häuser rund um den Polizeiposten aber wurden in Schutt und Asche gelegt. Von den meisten Gebäuden stehen heute nur noch Gerippe. Drei Menschen, ein Polizist und zwei Zivilisten starben bei dem Angriff. Es gab über hundert Verletzte. Es war Markttag, Toribío voll mit Besuchern. Auch Merly Troches erinnert sich mit Schrecken an den Anschlag:
"Das war eine fürchterliche Situation. Stundenlang wusste ich nicht, wie es meiner Familie geht."
Merly Troches Ehemann wurde verletzt, die Söhne überstanden den Angriff zumindest äußerlich unbeschadet. Doch die Angst ist geblieben:
"Es gibt hier keine Ruhe, keine Sicherheit, noch nicht mal in unseren Häusern können wir uns sicher fühlen. Es kann immer sein, dass plötzlich eine Granate einschlägt."
Hauptangriffsziele der Guerilla sind Polizei und Militär. Doch die Gewalt, so Radiomoderator Manuel Julique, richtet sich auch gegen die Zivilbevölkerung:
"Die Menschen sollen eingeschüchtert werden, damit sie mit ihr zusammenarbeiten. Für die Guerilla sind wir ansonsten alle Kollaborateure des Staates."
Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – das die Logik der Guerilla. Erst Anfang Oktober ermordete die FARC einen aus Toribio stammenden Anführer der Indios. Allein in diesem Jahr wurden in der Cauca-Region 40 Kommunalpolitiker und Indio-Vertreter getötet – von der Guerilla oder von rechtsextremen Todesschwadronen.
Ein quadratischer Betonklotz in einem Gewerbegebiet der Großstadt Cali – rund 100 Kilometer nördlich von Toribio gelegen. Hier hat die Redaktion der kolumbianischen Tageszeitung El Pais ihren Sitz. Sicherheitskräfte mit schusssicheren Westen bewachen den Eingang. Denn Journalisten leben in Kolumbien bis heute gefährlich. Luis Guillermo Restrepo, graue Haare, buschige Augenbrauen, das weiße Hemd leger über der Hose, leitet das Meinungsressort der Zeitung. Die Cauca-Region, erklärt Restrepo, sei eine traditionelle Hochburg der Guerilla:
"Das hat historische Gründe: Es gibt in diesem Gebiet keine Entwicklung, keine Industrie und die Präsenz des Staates ist sehr begrenzt."
Erst in den vergangenen Jahren, sagt Restrepo, wurde die Zahl der Polizisten und Soldaten in der Cauca-Region aufgestockt:
"Wenn der Staat jetzt in diese Hochburgen der FARC zurückkehrt, muss er das mit Gewalt tun. Deswegen konzentriert sich heute ein großer Teil des Konflikts auf Kolumbiens Südwesten."
Doch mehr Sicherheit hat die Aufstockung von Polizei und Militär den Menschen nicht gebracht. Im Gegenteil, sagen viele Bewohner der Region:
"Es gibt nur noch mehr Probleme. Denn die Guerilla attackiert die Sicherheitskräfte. Und wir geraten zwischen die Fronten. Was ist das für eine Sicherheit?"
Die Region verlassen kann und will Merly Troches mit ihrer Familie trotzdem nicht.
"Wir haben doch nur unser kleines Haus in Toribío und sonst nichts. Außerdem ist es an vielen anderen Orten genauso gefährlich wie bei uns."
Und so harren sie weiter in Toribío aus. Jetzt hofft die Familie auf einen positiven Ausgang der Friedensverhandlungen zwischen den Unterhändlern der kolumbianischen Regierung und der Rebellenorganisation FARC:
"Die Militarisierung, das haben wir hier in den vergangenen Jahren gesehen, ist keine Lösung. Frieden kann man nur mit Gesprächen schaffen."
Eine Kaserne am Stadtrand der Provinzhauptstadt Popayan. Soldaten in Tarnanzügen marschieren durch die parkähnliche Anlage, Kampfhubschrauber starten und landen im Minutentakt. General Miguel Perez, Kommandant von rund 26.000 Soldaten, residiert in einem großen Büro mit Blick auf das Flugfeld. Der General, durchtrainiert, die Haare kurz rasiert, empfängt hinter einem klobigen dunkelbraunen, meterlangen Massivholzschreibtisch. Hinter ihm eine Schrankwand mit Familienfotos. Perez leitet die Aktionen des Militärs in der Region. Erst die massive Offensive des kolumbianischen Militärs in den vergangenen Jahren, glaubt Perez, habe die Guerilla überhaupt an den Verhandlungstisch gebracht:
" Die FARC sieht, dass sie an Boden verliert. Wir bekämpfen ihre Strukturen. Unsere Truppen gehen in die Berge, suchen ihre Basen und neutralisieren die Terroristen. In den vergangenen Jahren hat die FARC mehr als 50 ihrer Anführer verloren. Und wenn die FARC nicht versteht, dass sie ernsthaft verhandeln muss, werden wir sie nach und nach ganz ausschalten."
Die FARC hat heute nach Angaben des kolumbianischen Militärs nur noch rund 8.000 Kämpfer. Vor wenigen Jahren noch sollen es rund 18.000 gewesen sein. Viele Guerilleros wurden vom Militär getötet. Andere haben freiwillig die Waffen niedergelegt und sich am staatlichen Demobilisierungsprogramm beteiligt. Tatsächlich ist insgesamt das von den Rebellen kontrollierte Gebiet geschrumpft. In manchen Gegenden wie in der Cauca-Region aber ist die FARC bis heute stark. General Perez hält deren Mitglieder zwar für Terroristen, will aber eine Verhandlungslösung nicht ausschließen:
"90 Prozent aller Konflikte enden früher oder später mit einer politischen Lösung. Bis dahin aber werden wir diese Gruppen angreifen, wo auch immer sie sich befinden."
Denn auch während der Friedensverhandlungen, die am 15. Oktober in Oslo begonnen haben, hat die kolumbianische Regierung klar gemacht, soll es keinen Waffenstillstand geben:
"In den Gebieten, in denen es noch immer schwere Auseinandersetzungen gibt, wie in Toribio, wissen die Leute, was sie machen müssen. Sie bleiben in ihren Häusern, in ihren Dörfern, nehmen nicht am Konflikt teil. Aber wenn sie zu den bewaffneten Organisationen gehören, dann werden wir sie bekämpfen."
Abel Coucue, Mitglied der regionalen Indio-Vereinigung CRIC, empfindet solche Ratschläge als Zynismus. Denn nicht am Konflikt teilnehmen – das ist leichter gesagt als getan, auch wenn er selber genug vom Krieg hat. Vor einem Jahr, erzählt er, hat er seine elfjährige Tochter verloren:
"Sie hat vor unserem Haus gespielt, als eine Granate der Guerilla explodierte. Ein Splitter traf sie ins Herz, sie war sofort tot."
Coucues Frau zog die Konsequenzen. Sie hat die umkämpfte Cauca-Region im Süden Kolumbiens inzwischen verlassen. Abel Coucue ist geblieben:
"Wir müssen unsere Mutter Erde hier verteidigen. Und zwar mit friedlichen Mitteln. Egal, was passiert."
Die meisten Bewohner der Region sind wie Abel Coucue oder Radiomoderator Manuel Julique Indios. Sie wollen nicht auf den ungewissen Ausgang der Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Guerilla warten.
Ein Kontrollpunkt des Militärs, schwerbewaffnete Soldaten, verschanzt hinter Sandsäcken. Rund 1000 Demonstranten, die meisten Indios, haben die Straße mit Bussen blockiert:
"Wir sind heute hier, um an Marie Arley Salazar zu erinnern. Sie wurde vom Militär erschossen und als Guerilla-Kämpferin ausgegeben."
Die Soldaten blicken skeptisch, als die Indios einen grün-rot bemalten Gedenkstein niederlegen:
"Heute sagen wir den bewaffneten Akteuren: Respektiert unser Leben und unser Land!"
Die Indio-Bewegung CRIC fordert Militär und Guerilla auf, ihr Territorium zu verlassen. Zu groß sei die Zahl der zivilen Opfer des Konflikts. Jetzt wollen die Indios mit einer eigenen unbewaffneten Sicherheitstruppe für Ordnung sorgen.
Immer wieder haben sie in den vergangenen Monaten mit spektakulären Aktionen auf ihre schwierige Situation aufmerksam gemacht. Im Juli besetzten rund 1.000 Indios einen Militärposten auf einem Berg oberhalb von Toribío. Symbolisch trugen sie mehrere Soldaten weg und zerstörten deren Unterstände. Die Besetzung dauerte mehrere Tage und wurde schließlich von einer Sondereinheit der Polizei beendet.
Gleichzeitig marschierten rund dreitausend Demonstranten zu den Stellungen der Guerilla. Dort überreichten sie eine Petition, in der sie den Rückzug der Rebellen aus ihren Gebieten fordern. Die Guerilla, sagt Abel Coucue, hat ihre eigentlichen Ziele schon lange verloren:
"Denen geht es nicht mehr um Gerechtigkeit. Denen geht es um wirtschaftliche Interessen und um ihren Anteil an der Macht."
Angetreten war die Guerilla Mitte der 1960er-Jahre mit Forderungen nach einer Landreform und nach einer besseren Verteilung von Wohlstand. Forderungen, die beim armen Teil der Bevölkerung zunächst auf Sympathie stießen. Denn Kolumbien gehört zu den Ländern mit der weltweit ungerechtesten Einkommensverteilung. Doch inzwischen äußert kaum noch ein Kolumbianer Verständnis für die Rebellen. Zu hoch ist der Blutzoll, den die Menschen in den vergangenen Jahrzehnten zahlen mussten.
Außerdem ist die FARC schon seit langem massiv in den Drogenhandel verstrickt. Auch deswegen ist die Cauca-Region so wichtig für die Guerilla. Denn Kolumbiens Südwesten ist eine der Hauptdrogenanbauregionen des Landes, meint der Journalist Luis Guillermo Restrepo:
"Hier wachsen Koka, Mohn und Marihuana. Hier stehen die Labore zur Produktion von Kokain und Heroin und von hier aus werden die Drogen in Richtung Mexiko und USA gebracht."
Die Guerilla schützt die Drogenmafia und kassiert im Gegenzug einen Anteil der Gewinne. Zum Teil betreibt die FARC auch eigene Labore und übernimmt Transport und Verteilung. Auch deshalb ist es zweifelhaft, dass die Rebellen tatsächlich willens sind, die für sie so wichtige Region zu verlassen und damit auf ihre Profite aus dem Drogenhandel zu verzichten.
Aber auch die kolumbianische Regierung hält wenig von einer Demilitarisierung der Region. "Keinen Zentimeter" werde das Militär preisgeben, erklärte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos. Zu groß ist die Angst, dass die Guerilla den Freiraum nutzt, um ihr Einflussgebiet auszubauen.