Auf dem Weg nach oben
23:45 Minuten
Traditionsklub Viktoria Berlin hat es geschafft: Nach acht Jahren steigt der Verein aus Lichterfelde in die Dritte Liga auf. Der Aufstieg bringt aber auch Herausforderungen mit sich, schildern Verantwortliche, Spielerinnen und Spieler.
Ein Samstag im April im Stadion Lichterfelde im Berliner Südwesten, das ist die Heimspielstätte des FC Viktoria 1889 Berlin. Trainer Benedetto Muzzicato gratuliert seinen Jungs zur Meisterschaft. Am Vorabend hat das Präsidium des Nordostdeutschen Fußballverbandes beschlossen, dass der Tabellenführer der Regionalliga Nordost zum Meister erklärt wird und damit aufsteigt.
Viktoria 89 Berlin hat es geschafft. Acht Jahre Vierte Liga – jetzt geht es endlich hoch in die Dritte Liga. Wochenlang war diskutiert worden, ob die wegen der Coronapandemie abgebrochene Saison der Regionalliga Nordost überhaupt gewertet werden sollte. Schließlich hatten nur elf Spieltage stattgefunden. Alle 20 Vereine sprachen sich für die Wertung aus, nun also auch der zuständige Fußballverband. Der Trainer findet die Entscheidung richtig. Sein Team gewann alle elf Spiele.
"Ich freue mich riesig, wenn man bedenkt, dass ich noch nicht so lange Trainer bin, dass ich mich nächstes Jahr Drittligatrainer schimpfen darf, ich freue mich für die Stadt Berlin, am meisten für die Jungs, den Verein, das ist klar, aber ich hätte auch schon gern mehr gespielt, länger gespielt, einfach `ne Normalität gehabt, und auch mit den Emotionen, die man jetzt nicht hat, die man nicht gewinnen konnte, das fehlt schon. Aber wir nehmen den Aufstieg gerne an."
Ein rasanter Aufstieg – und viele Pläne
Ende Juli wird die Saison in der Dritten Liga beginnen. Dann geht es gegen Vereine mit viel Geschichte und Erfahrung im Profifußball: Magdeburg und Zwickau, 1860 München und Kaiserslautern. Wird es ein Kampf gegen den Abstieg?
"Davon gehen wir nicht aus, weil: So ticke ich nicht. In meinem Vokabular gibt es dieses Wort nicht, wir wollen einfach überraschen, wir wollen mutig sein, wir wollen gerade die Traditionsklubs halt auch ärgern. Ich bin jetzt fünfeinhalb Jahre, sechs Jahre Trainer, ich wurde noch nie entlassen und möchte es halt auch in den nächsten Jahren so weiterhaben", sagt Muzzicato.
"Ich glaube, das ist mit einer der größten Momente, die jetzt auch im Berliner Fußball in den letzten Jahren hier in Berlin passiert sind, auch wenn jetzt Union erst vor Kurzem in die Bundesliga aufgestiegen ist. Aber ich glaube, das ist schon fast gleichzusetzen."
Während der Erfolgstrainer die obligatorische Bierdusche über sich ergehen lässt, schwärmt Sportdirektor Rocco Teichmann von dem, was seinem Verein in den vergangenen zwei Jahren gelungen ist. Er hat die U19- und U17-Junioren in der Bundesliga etabliert und ein neues Trainingsgelände gekauft, auf dem der Klub, so der Plan, auch ein Nachwuchsleistungszentrum für Jungen und Mädchen einrichten will.
"Ich bin Sportler ohne Ende, und ich will immer das Maximale rausholen. Und ich glaube, dass aber nicht unbedingt die Dritte Liga das Ende sein muss. Gerade im Herrenbereich, in der Junioren können wir nicht höher, aber da geht es auch ums Leistungszentrum, wir haben viele spannende Aufgaben, und deswegen lohnt es sich ja, den Verein auch bisschen intensiver zu begleiten. Jetzt trinken wir ein Bier oder?"
Steckbrief: FC Viktoria 1889 Berlin Lichterfelde-Tempelhof e.V., so der offizielle Name. Entstanden 2013 durch die Fusion von BFC Viktoria 1889, deutscher Fußballmeister in den Jahren 1908 und 1911, und dem LFC Berlin. Trikotfarbe: himmelblau. Mehr als 1200 aktive Mitglieder in über 60 Mannschaften. Laut Wikipedia hat Viktoria die größte Jugendabteilung aller deutschen Fußballvereine.
Rückblick: Im Sommer 2018 macht die Vereinsführung einen Deal mit einem chinesischen Investor, der ‚Advantage Sports Union’, kurz ASU. Das Ziel: Aufstieg in die Dritte Liga. Der chinesische Investor sagt eine Summe in Höhe von mehreren Millionen Euro zu. Vereinsmitglied Peter Ninas ist begeistert.
"Es gab keine Alternative, man konnte es nicht durch eigene Mittel, sprich Sponsoren, Vorstandsmitglieder mehr stemmen. Diese Summen. Und da kam dieses Angebot der ASU zur rechten Zeit. Und das war für uns alle wie sieben Richtige im Lotto. Sieben Richtige, nicht nur sechs."
Der Absprung des Investors bedeutete fast das Aus
Rocco Teichmann, schon damals Sportdirektor, verstärkt den Kader. Holt drei kostspielige Neuzugänge für die Männermannschaft.
"Wäre der Chinese nicht gekommen, dann wäre hier definitiv kein Regionalligafußball, kein Leistungsfußball. Das führt dazu, dass dann sicher auch die Perspektive für unsere Jugendspieler nicht da ist, was wir eigentlich benötigen, um hier Leistungsfußball umzusetzen."
Ein halbes Jahr fließt das Geld. Reichlich und pünktlich. Plötzlich, im November 2018, versiegt die chinesische Quelle. Begründung: keine. Harald Sielaff, damals Mitglied im Vorstand, ist konsterniert.
"Da möchte ich keine genauen Zahlen sagen, aber es sind die Leistungen geflossen, die vertraglich vereinbart waren, bis zu diesem Zeitpunkt, und dann von heute auf morgen ist eben nichts mehr geflossen. Das kann so ein Verein nicht von heute auf morgen wegstecken."
Viktoria 89 muss Insolvenz anmelden. Acht Spieler verlassen den Verein, das Regionalligateam bekommt neun Punkte abgezogen und steckt plötzlich im Abstiegskampf. Vereinsmitglied Alexander Kissler ist empört.
"Der Schaden ist immens. Viktoria hat sich momentan, so leid mir das tut, zur Lachnummer – nicht nur im Berliner Fußball – entwickelt, und wie gesagt, ich verstehe diesen großen Traum, ich bin jetzt auch kein Antikapitalist, der sagt: Investitionen sind generell des Teufels, aber es muss auf Gegenseitigkeit beruhen und eben gerichtsfest sein, und die Frage ist einfach nicht geklärt: Welche juristisch verbindlichen Absprachen gab es denn?"
"Berlin verträgt noch einen Verein"
Die Frage ist bis heute offen. Vor allem zeigt die kurze Episode mit dem chinesischen Investor, wie abhängig die Klubs in der Regionalliga von Gönnern und Mäzenen sind. Doch Viktoria 89 hat Glück im Unglück. Noch während das Insolvenzverfahren läuft, findet sich ein neuer Sponsor: die SEH Sports und Entertainment Holding. Ein Unternehmen mit Sitz in Hamburg, das diverse Sportengagements bündelt, zum Beispiel im Bereich E-Sport und Football, aber auch Beteiligungen an Fußballklubs hat: Austria Klagenfurt und jetzt Viktoria 89 Berlin.
"Wie das so ist: Es müssen ja ein paar Dinge zusammenpassen. Sie verlieben sich ja auch nicht auf Kommando, sondern es passiert manchmal, und so ähnlich ist es hier: Die Situation bei Viktoria war zu dem Zeitpunkt besonders, Insolvenz stand vor der Tür, der chinesische Investor, der vorher da war, war weg, und es öffnete sich eine Tür, das passte gerade."
Zeljko Karajica, Medienmanager und Mitgründer der Holding, ist der neue starke Mann bei Viktoria im Hintergrund. Der Klub hat inzwischen den Geschäftsbetrieb der Ersten Männer und Ersten Frauen und der beiden Mannschaften in der Junioren-Bundesliga in eine Kapitalgesellschaft ausgegliedert. 51 Prozent Stimmenanteile hält der Verein, 49 eine Tochtergesellschaft der SEH Sports und Entertainment Holding. Geschäftsführender Gesellschafter: Zeljko Karajica.
"Schauen Sie sich London an, da spielen sieben oder acht Erstligisten, 'ne Tonne von Vereinen auch in der Zweiten Liga, in Berlin haben wir Hertha und Union, in der Zweiten Liga gar nichts, in der Dritten Liga gar nichts bis jetzt gehabt, da haben wir vom Standort her gesagt: Berlin verträgt noch einen Verein auf jeden Fall, plus: Viktoria hat eine unglaublich fantastische Vergangenheit. Da ist was, da schlummert auch etwas, wenn sie versuchen, eine Marke aufzubauen und aufzuladen, dann ist es schön, wenn sie sagen können: ‚Wir sind der erste deutsche Fußballmeister, wir sind einer der ältesten Vereine überhaupt, wir sind der größte fußballspielende Verein in Deutschland‘."
Investieren heißt vor allem: Infrastruktur aufbauen
Dennoch ist für Fußballromantik wenig Platz. "Fußball ist Business", sagt der Manager, und "Business ist Handwerk". Professionelle Strukturen braucht es in der Profiabteilung: Geschäftsführer, Pressesprecherin, Spielerscout, Physiotherapeuten.
"Als wir reingekommen sind bei Viktoria Berlin, gab es eine Massagebank, die gab es tatsächlich, aber die stand im Flur und wurde von niemandem benutzt. Versuchen sie jetzt, einen guten Spieler von A, B, C aus Deutschland hierherzuholen und sagen: ‚Okay, spiel bei uns in der Vierten Liga‘. Da wird er sagen: ‚Egal, was du mir zahlst, mein Körper ist mir viel zu wichtig, das ist das Einzige, was ich an Kapital habe, das mache ich nicht‘. Das heißt: Sie müssen anfangen, was kein Mensch sieht, was auch keinen interessiert, die Infrastruktur rund um den Verein aufzubauen."
Viktoria will sich als dritte Kraft im Berliner Hauptstadtfußball etablieren. Nachhaltig soll das Engagement sein, so das Mantra der Macher.
Der Investor muss an den Klub glauben
"Fakt ist, dass es im Moment sehr gut aussieht, dass wir tatsächlich diese dritte Kraft werden in Berlin, wir werden nur das machen und investieren, was wir glauben, auch refinanzieren zu können, ohne, dass am Ende so ein Verein wie eine heiße Kartoffel hinten runterfällt und es heißt: das wars."
Solange die Holding mitspielt, stehen die Chancen gut. Der Sportbusiness-Experte Marco Klewenhagen äußerte sich vor Kurzem in der ARD-Sportschau zu solch einer Form von Investment dennoch skeptisch.
"Ist immer die Frage, was der Investor bereit ist, wie lange wie oft Geld da reinzulegen. Es ist wirklich: Glaube ich daran? Und was ist eigentlich mein Ziel? Mache ich das jetzt, um es mir später auf meine persönliche Krone zu schreiben, dass ich irgendwie einen Klub in die Erste Liga geführt habe? Oder habe ich vor, meine Anteile danach an den Nächsten wieder weiterzuverkaufen mit einem höheren Wert, wenn das ein klassischer Investor ist, der sagt: ´Ich will da eine Marge draus ziehen.` Das kann man machen, und es ist nicht oft geglückt, um es mal so zu sagen."
"Der Trainer setzt auch mal auf junge Spieler"
Ein Samstag im Mai. Im Stadion Lichterfelde spielt Viktoria 89 im Viertelfinale des Landespokals gegen den Ex-Regionalligakonkurrenten Tennis Borussia. Es ist das erste Pflichtspiel seit sechseinhalb Monaten. Aufgrund einer Sondergenehmigung des Berliner Senats darf der Pokalwettbewerb trotz Corona zu Ende gespielt werden. Ohne Zuschauer. Abwehrspieler Jakob Lewald ist froh, endlich wieder zu kicken. Die vielen Monate in Kurzarbeit haben an den Nerven gezehrt.
"Es war immer so ein Hin und Her. Manchmal hieß es: ‚Wir spielen dann und dann wieder‘, dann wurde der Termin wieder gecancelt, man war immer so in der Schwebe und wusste nicht: Wie geht’s weiter? Können wir die Saison noch zu Ende spielen? Wenn wir nicht zu Ende spielen, steigen wir auf, steigen wir nicht auf? War schon sehr viel Ungewissheit mit dabei, und auch nicht so einfach für den Kopf wieder hochzufahren, hat man vielleicht wieder zwei Wochen Urlaub bekommen, weil es hieß: ‚Wir spielen dann doch nicht‘, war nicht immer so einfach."
Viktoria gewinnt die Partie mit 3:0. Jakob Lewald, 22, aus der Jugend von Werder Bremen, steht seit Beginn des ersten Lockdowns 2020 bei den Himmelblauen unter Vertrag.
"Der Trainer, der setzt auch mal auf junge Spieler, deswegen habe ich auch den Schritt gemacht, weil ich wusste: ‚Okay, hier wird was aufgebaut.`Natürlich ist ein gewisses Risiko in diesen Coronazeiten immer vorhanden gewesen, aber mir wurde relativ schnell signalisiert, dass man mich haben möchte, zur neuen Saison verpflichten möchte, ich hatte dann zum Glück relativ schnell Planungssicherheit."
Für die Dritte Liga muss Verstärkung her
Eine Woche später dann das Pokal-Aus. Viktoria verliert im Halbfinale gegen den Ex-Regionalligakonkurrenten BFC Dynamo mit 0:3. Trainer Benedetto Muzzicato hat eine einfache Erklärung für den schwachen Auftritt seiner Mannschaft.
"Vor allem haben wir jetzt gerade das Problem, dass es mit dem Aufstieg darum geht, den Kader zu planen, viele Jungs, die heute gespielt haben, bekommen keinen neuen Vertrag, das spielt natürlich auch alles eine Rolle, dass sie vom Kopf her nicht hundertprozentig da sein können, weil sie es vielleicht nicht verstehen oder sich um andere Klubs kümmern, das ist dann natürlich schwierig, und am Ende ist es ein verdienter Sieg für den BFC, und so ist es dann gewesen."
Die Verantwortlichen von Viktoria 89 sind überzeugt davon, für den Profifußball in Liga 3 neue Spieler verpflichten zu müssen. Man darf gespannt sein, wie nachhaltig dieser Weg sein wird.
Auch die Frauenmannschaft kann den Aufstieg schaffen
Auf einem Nebenplatz im Stadion Lichterfelde schießen sich 22 Spielerinnen der ersten Frauenmannschaft von Viktoria die Bälle zu. Sechseinhalb Monate haben auch sie nicht mehr zusammen trainiert. Haben sich einmal pro Woche per Videokonferenz getroffen, um Kraft- und Athletikübungen zu machen. Marlies Sänger und Ronja Faulhaber sind mehr als nur erleichtert, dass sie endlich wieder im Team trainieren dürfen.
"Ein wahnsinniges Gefühl, weil wir seit November ja nicht mehr auf den Platz durften, haben uns zwar in kleineren Gruppen auch mal auf dem Platz getroffen, aber mit der gesamten Mannschaft auf dem Platz zu stehen, ist natürlich was anderes."
"Ist ja jetzt erst die zweite Trainingseinheit, wir haben uns super gefreut, gestern war die Laune top, also alle kamen mit einem Strahlen zum Training, haben sich gefreut, ist auch Top-Wetter, Sonne, nicht zu warm, nicht zu kalt, perfektes Wetter."
Völlig unerwartet haben die Frauen von Viktoria noch die Chance, in die Zweite Bundesliga aufzusteigen. Weil sie die fünf Spiele vor dem Saisonabbruch in der Regionalliga Nordost alle gewannen, spielen sie jetzt gegen den Meister der Regionalliga Nord um den Aufstieg. Mannschaftsführerin Marlies Sänger will die beiden Spiele unbedingt gewinnen, aber sie weiß: Dann würde es schwer.
Die Zweite Liga ist schwer mit dem Beruf zu vereinbaren
"Die Zweite Liga ist schon ein Stücken weiter. Und die Zweite Liga soll eingleisig werden, das heißt, wir arbeiten ganz normal nebenbei 40 Stunden, und sollen dann nebenbei am Wochenende nach Stuttgart, München, Frankfurt fahren, und da ist der Aufwand halt sehr groß, auf der anderen Seite ist es halt viel Freizeit, die wir dafür opfern, deswegen sind so gemischte Gefühle dabei. Bei mir persönlich."
Vor Jahren hat die 26-Jährige schon einmal in der Zweiten Liga gespielt. Damals studierte sie. Da ging das nebenher. Jetzt arbeitet sie als Bankerin. Vollzeit.
"Ich war ja auch schon mal mit den Mädels in der Zweiten Bundesliga, der Aufwand ist enorm, irgendwann merken sie, dass es nicht zu stemmen ist. Da helfen dann auch nicht ein-, zweihundert Euro."
So hoch sei die Aufwandspauschale für die Spielerinnen, sagt Peter Rießler, seit 17 Jahren Teamchef der Frauen. Er kann die Bedenken seiner Mannschaftsführerin nachvollziehen. Die Liebe zum Fußball allein reicht nicht, sagt er.
"Dazu kommt, wenn man nicht davon leben kann, dann fragt sich jede Spielerin, die fünf, sechs Mal auf der Reservebank gesessen hat: ‚Ja, was tue ich mir hier noch an? Ich spiele nicht, ich kriege nichts‘, mehr oder weniger, ‚und investiere hier meine komplette Freizeit‘. Ein sehr schwieriger Weg."
"Der Weg soll schon so sein, dass wir die Frauenabteilung auch weiter professionalisieren. Aber tatsächlich homogen und Step-by-Step."
Es braucht Zeit, professionelle Strukturen zu schaffen
Sportdirektor Rocco Teichmann betont: Der Aufstieg in die Zweite Liga und damit zur Nummer 1 im Frauenfußball in Berlin, ist eines der Klubziele. Deshalb habe man die Frauenmannschaft ebenfalls in die Kapitalgesellschaft ausgegliedert. Klar sei aber auch: Sollte sie tatsächlich jetzt schon aufsteigen, käme es zu früh. Denn die Mannschaft müsse erst verstärkt werden.
"Der Transfermarkt, sage ich jetzt mal, der ist nicht so, dass man eine große Auswahl von Frauen hat. Sondern wir müssen schon im Verein darüber nachdenken, Arbeitsplätze zu schaffen, FSJ anzubieten, Ausbildungsplätze voranzubringen, um halt Frauen auch eine Perspektive beruflicher Natur zu geben, weil: Dort unterscheidet sich ja schon ein Stück weit die wirtschaftliche Entlohnung gegenüber dem Herrenbereich in dem Bereich."
Professionelle Strukturen im Frauenfußball zu schaffen, braucht Zeit. Und einen stabilen Unterbau im Jugendbereich. Doch hier hapert es wie überall im deutschen Mädchenfußball. Gerade in der B-Jugend, bei den 15-, 16-Jährigen, fehlt Viktoria der Nachwuchs.
"Wenn man so etwas aufbauen will, muss man es immer von unten aufbauen, bei den E-Mädchen zum Beispiel klappt es sehr gut, da haben wir regen Zulauf, so ist es wie in einer Pyramide. Die Basis muss stimmen, und der Rest wächst dann von allein in die Spitze hoch."
"Die Hauptleidtragenden sind die Jungs zwischen 14 und 16"
Thorsten Fubel ist Abteilungsvorsitzender Leistungssport im Viktoria 89 e.V. Er ist auch Jugendleiter und trainiert eine Jungenmannschaft in der E-Jugend, 2010er-Jahrgang. Der Verein ist überregional bekannt für seine hervorragende Nachwuchsarbeit und verfügt über eine der größten Jugendabteilungen in Deutschland. Das ist auch sein Verdienst.
"Ich freue mich allein schon deshalb, weil wir fast eine hundertprozentige Trainingsbeteiligung jedes Mal haben, die Jungs sind wirklich immer da, und von daher sind wir sehr zufrieden, was übrigens fast alle Mannschaften betrifft, das hat jetzt nichts mit meiner Mannschaft zu tun, sondern das klappt wirklich gut."
Auch während des langen Lockdowns trainierten die Kinder weiter. Zumindest die unter 14-Jährigen durften in Berlin Fußball spielen. Mal mit, mal ohne Kontakt, mal in Kleingruppe, mal im Team.
"Die Hauptleidtragenden sind die Jungs zwischen 14 und 16. Das sind die, die den Platz lange nicht mehr betreten durften, die eigentlich gar nichts machen durften. Die haben weder eine Schule von innen gesehen, noch haben sie einen Platz gesehen, und die Jüngeren, die haben wenigstens ein bisschen was erlebt davon."
Thorsten Fubel ist froh, dass trotz Lockdowns nur wenige Mitglieder ausgetreten sind. Das sei enorm wichtig, sagt er, denn der Verein finanziere sich ausschließlich über die gut 1200 Mitgliedsbeiträge. Er ist damit unabhängig von Erfolg oder Misserfolg der Profiabteilung. Sollte diese insolvent gehen, würde sich das auf den eingetragenen Verein nicht auswirken. Auch Thorsten Fubel hatte dafür gestimmt, Männer- und Frauenmannschaft und die beiden Juniorenteams in eine Kapitalgesellschaft auszugliedern. Weil er sich von dem Investment zudem eine Signalwirkung erhofft.
"Gut, das liegt ja auf der Hand, also, wenn zum Beispiel ein Aufstieg da ist wie die Dritte Liga oder die Gründung irgendwann einmal eines Nachwuchsleistungszentrums, dann profitiert auch der Breitensport oder der Jugendbereich darunter. Wenn die Spitze oben professionell aufgestellt ist, dann ist doch klar, dass die Jungs oder die Mädchen mehr Interesse haben, in diesen Verein zu kommen."
Die Ultras heißen hier "Ultris"
Mit Abstand den größten Nachholbedarf hat Viktoria 89 bei der Entwicklung seiner Fan-Basis.
In Vor-Coronazeiten lag der Zuschauerschnitt bei den Heimspielen von Viktoria irgendwo in den Hundertern. Das muss und das wird sich ändern in der Dritten Liga. Familien- und Eventpublikum könnte sich für den Profifußball interessieren. Und wenn der Gegner aus einer der traditionellen Fußballhochburgen kommt, werden auch zahlreiche Gästefans ins Stadion strömen.
Der harte Kern der Viktoria-Fans, die sich mit himmelblauem Vereinsschal und Mütze oder Käppi an den Spielfeldrand stellen, besteht aus exakt zwölf Personen. Sie nennen sich "Echte Ultris". Einer von ihnen ist Peter Ninas.
"Wir sind vollkommen offen, wir haben keine Rädelsführerschaft, wir haben keine Hoheit wie in anderen Stadien, man sieht’s ja auch an dem Namen 'Ultris': Das ist, ich will nicht sagen, Verballhornung, aber es soll so ein bisschen locker rüberkommen. Wir sind keine Ultras. Wir bestimmen den Takt nicht, wir geben nicht 90 Minuten Fangesänge akustisch wie auch optisch von uns, wir haben keine Choreografien, wir machen dafür aber auch keine Schmähgesänge. Derjenige, der sagt: ‚Tag, ich heiße Ali, Mohamed, Klaus, Sieglinde‘, alle herzlich willkommen."
An der nötigen Stimmgewalt für die Dritte Liga mag es den "Echten Ultris" fehlen. Aber sie sind stolz darauf, dass sie bestimmt keine Scherereien machen – wie andere Fangruppierungen.
"Wir benutzen bis dato – und ich hoffe, das geht so weiter –, keine Pyrotechnik, werfen nichts, und in der Dritten Liga, da würde ich durchaus eine Wette eingehen, werden wir die Einzigen sein, die 40 Spiele bestehen, ohne im Strafenkatalog vorgekommen zu sein. Ich glaube, bis dato hat es nur Sandhausen geschafft."
Mit dem Erfolg wachsen die Herausforderungen
Viktoria 89 ist auf dem Weg nach oben. Ein Problem gibt es allerdings noch. Und das ist ein Gewaltiges. In welchem Stadion der künftige Drittligist seine Heimspiele austrägt, ist noch unklar. Die Anforderungen des Deutschen Fußball-Bundes sind hoch: Wer eine Lizenz für die Dritte Liga haben will, braucht ein Stadion mit 10.000 Plätzen, Rasenheizung, VIP-Räumen und noch viel mehr. Das Stadion Lichterfelde ist zu klein. Es gibt überhaupt nur zwei Stadien in Berlin, die diesen Anforderungen gerecht werden: das Olympiastadion und die Alte Försterei. Berlins Innen- und Sportsenator Andreas Geisel ist sich der komplizierten Lage bewusst.
"Viktoria spielt einfach super, hat die entsprechende Lizensierung beim DFB beantragt, irgendwann wird das in gar nicht allzu ferner Zukunft wahrscheinlich auch auf Altglienicke zutreffen, also wir werden mehr, Berlin wird erfolgreicher, die Sportmetropole lebt in der Tat, so, und dann stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit den Folgen der eigenen Erfolge um?"
Das Land, alleiniger Gesellschafter der Olympiastadion Berlin GmbH, Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Geisel, ist bereit, mit Viktoria 89 eine entsprechende Nutzungsvereinbarung fürs Olympiastadion zu unterschreiben. Sportdirektor Rocco Teichmann zeigt sich zuversichtlich.
"Wir haben jetzt mit dem Olympiastadion eine Möglichkeit, für uns ist wichtig, erst mal in der ersten Priorität die Zulassung zu bekommen und dann in diesem ersten Jahr der Dritten Liga natürlich auch in Berlin spielen zu können."
Aber: Das Olympiastadion ist kostspielig. Die Miete pro Spiel liegt im sechsstelligen Bereich. Daher prüft Viktoria Alternativen. Eine solche könnte das Mommsenstadion sein, in dem früher auch schon Bundesligaspiele stattgefunden haben. Das Stadion müsste jedoch erst saniert werden. In Berlin jedenfalls herrscht Aufbruchstimmung. Viktoria 89 begibt sich auf einen spannenden Weg. Vielleicht schaffen es die Himmelblauen tatsächlich, sich als dritter Profiklub in der Hauptstadt zu etablieren.