Aufstieg einer ökonomischen Weltanschauung
Der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch untersucht in seinem Buch die Entwicklung des Neoliberalismus seit den 70er-Jahren. Und kommt zu dem Schluss, dass Marktliberale und Wachstumsfreunde letztlich nützliche Idioten sind: unbewusst im Dienst globaler Konzerne.
Gegenwärtig scheint die Wirtschaft wieder einmal das Schicksal. Kein Kraut scheint gegen die Macht der Hedgefonds, der Devisenhändler, Investmentbanker und Ratingagenturen gewachsen. Und das, obwohl die jüngsten Krisen zeigen, wie viel Unverstand im Finanzsektor herrscht, wie fragwürdig die Selbstschwächung der Politik durch Marktvergötterung war und wie haltlos der Glaube ist, "Ökonomisierung" sei der Schlüssel zur Lösung der wichtigsten politischen Probleme. Soeben und nach wie vor auf Staatshilfe angewiesen, gibt es auf Seiten der Wirtschaft kein Einsehen, dass sie nicht der Schlüssel zu allem ist.
Der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch fragt in seinem lesenswerten Buch, wie es zu der Suggestion gekommen ist, das ökonomische Denken sei in allen Bereichen der Gesellschaft unvermeidbar. Dazu zeichnet er zunächst nach, wie die Doktrin, am besten sei alles den Märkten zu überlassen, in den 70er-Jahren prominent wurde. Anschließend diskutiert er die vielen Voraussetzungen der Aussage, Märkte seien die besten Entscheidungsmechanismen für jegliche Güterversorgung - ob es sich nun um Obst, Strom, Bildung, Wohnungen oder Bahnfahrten handelt. Das läuft auf die Frage hinaus, was Marktversagen ist.
Für Crouch ist der problematischste Fall dieses Versagens die Konzentration von Wohlstand und wirtschaftlicher Macht. Denn Monopole und riesige Konzerne dominieren nicht nur ihre Märkte, die dann gar keine mehr sind. Sie sind auch imstande, Politik unter Druck zu setzen. Darum liegt ihr viel am Nachweis, große Unternehmen, Lobbyismus und Kartellbildung seien letztlich für alle etwas Gutes. Die Alternative "Markt oder Staat" verschleiert, worum es eigentlich geht: um organisierte Interessen.
Crouch untersucht die Geschichte der Privatisierung staatlicher Betriebe, den Aufstieg des "Shareholder Value"-Denkens und der privaten wie öffentlichen Verschuldungsbereitschaft. Er tut es offen polemisch; doch die Wiedergabe der Denkmuster seiner neoliberalen Gegner ist kenntnisreich und treffend. Dass es in Deutschland, was die Begünstigung von Großkonzernen betrifft, im vergangenen Jahrzehnt gar keinen Unterschied zwischen Sozial- und Christdemokraten gab, stützt sein Argument. Für Crouch sind Marktliberale und Wachstumsfreunde letztlich nützliche Idioten: unbewusst im Dienst globaler Konzerne.
Also zurück zum Staat? Da hat Crouch starke Reserven, denn es sei ja gerade der Staat, der sich die Perspektive andere Großakteure (Banken, Verbände, Konzerne) gern zu eigen mache. Außerdem bleibe der Nationalstaat stets hinter den kosmopolitischen Wirtschaftsmächten zurück. Crouch drückt demgegenüber sozialen Bewegungen und der "Zivilgesellschaft" die Daumen: Protesten gegen Konzernhandeln, Aufklärung darüber, lokalem Widerstand. Wie der etwa im Fall der Banken aussehen könnte, darüber schweigt das Buch allerdings.
Besprochen von Jürgen Kaube
Colin Crouch: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II
Suhrkamp, Berlin 2011
248 Seiten, 20,50 Euro
Der englische Politikwissenschaftler Colin Crouch fragt in seinem lesenswerten Buch, wie es zu der Suggestion gekommen ist, das ökonomische Denken sei in allen Bereichen der Gesellschaft unvermeidbar. Dazu zeichnet er zunächst nach, wie die Doktrin, am besten sei alles den Märkten zu überlassen, in den 70er-Jahren prominent wurde. Anschließend diskutiert er die vielen Voraussetzungen der Aussage, Märkte seien die besten Entscheidungsmechanismen für jegliche Güterversorgung - ob es sich nun um Obst, Strom, Bildung, Wohnungen oder Bahnfahrten handelt. Das läuft auf die Frage hinaus, was Marktversagen ist.
Für Crouch ist der problematischste Fall dieses Versagens die Konzentration von Wohlstand und wirtschaftlicher Macht. Denn Monopole und riesige Konzerne dominieren nicht nur ihre Märkte, die dann gar keine mehr sind. Sie sind auch imstande, Politik unter Druck zu setzen. Darum liegt ihr viel am Nachweis, große Unternehmen, Lobbyismus und Kartellbildung seien letztlich für alle etwas Gutes. Die Alternative "Markt oder Staat" verschleiert, worum es eigentlich geht: um organisierte Interessen.
Crouch untersucht die Geschichte der Privatisierung staatlicher Betriebe, den Aufstieg des "Shareholder Value"-Denkens und der privaten wie öffentlichen Verschuldungsbereitschaft. Er tut es offen polemisch; doch die Wiedergabe der Denkmuster seiner neoliberalen Gegner ist kenntnisreich und treffend. Dass es in Deutschland, was die Begünstigung von Großkonzernen betrifft, im vergangenen Jahrzehnt gar keinen Unterschied zwischen Sozial- und Christdemokraten gab, stützt sein Argument. Für Crouch sind Marktliberale und Wachstumsfreunde letztlich nützliche Idioten: unbewusst im Dienst globaler Konzerne.
Also zurück zum Staat? Da hat Crouch starke Reserven, denn es sei ja gerade der Staat, der sich die Perspektive andere Großakteure (Banken, Verbände, Konzerne) gern zu eigen mache. Außerdem bleibe der Nationalstaat stets hinter den kosmopolitischen Wirtschaftsmächten zurück. Crouch drückt demgegenüber sozialen Bewegungen und der "Zivilgesellschaft" die Daumen: Protesten gegen Konzernhandeln, Aufklärung darüber, lokalem Widerstand. Wie der etwa im Fall der Banken aussehen könnte, darüber schweigt das Buch allerdings.
Besprochen von Jürgen Kaube
Colin Crouch: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II
Suhrkamp, Berlin 2011
248 Seiten, 20,50 Euro