Künstlerische Experimente im Zeichen des Bauhauses
Das Bauhaus wird 2019 hundert Jahre alt - doch das Kunstfest Weimar eröffnet bereits jetzt den Jubiläumsreigen mit einer Ausstellung. Daneben gibt es zwei Wochen lang Tanz, Theater, Lesungen, Filme, Musik - und viele ungewöhnliche Perspektiven.
Eine Gärtnerin fliegt auf einer Schaukel über uns Zuschauer und gießt unsere Köpfe kichernd aus ihrer Gießkanne. Eine Muschel öffnet sich und gibt Musikern, Akrobaten, Fischen, Meeresungeheuern und wandelnden Fischbüchsen den Weg frei - den Weg in die Lüfte und durchs vieltausendköpfige Publikum. Ein Gewittersturm hatte den Auftritt der französischen Straßentheatergruppe "Transe Express" am Freitagabend zunächst in Frage gestellt. Zum Glück der Besucher ging es mit einer Stunde Verspätung doch noch los.
Das Programm "Cinématique des fluides" erspart den Zuschauern eine mühsam konstruierte Geschichte, eine Botschaft gar, und läßt sie träumen: Von fliegenden Fischen und Menschen, vom Zauber der Illusion. Fast eine Stunde lang schwebte das Oberteil der Muschel von einem Kran geführt hoch oben über dem Platz zwischen Musikhochschule, Anna-Amalia-Bibliothek und Goethepark; fast, als ob sie den Geist mit der Ästhetik und dem Traum versöhnen wollte.
Der Kunstfest-Chef Christian Holtzhauer sieht in dem Programm auch das Motto seines letzten Kunstfests in Weimar repräsentiert: "Von Hochstaplern und Seiltänzern - wie das Bauhaus nach Weimar kam."
"Also, für uns waren diese beiden Figuren sehr typisch für die frühe Zeit der Weimarer Republik. Also eine Gesellschaft, die ihr Gleichgewicht noch nicht so wirklich gefunden hatte und die permanent vom Absturz bedroht war. Und so geht es dem Seiltänzer ja auch: Er muss sich ständig darum bemühen, im Gleichgewicht zu bleiben; wenn er abstürzt, führt es in die Katastrophe, so wie es der Weimarer Republik ja dann auch ging."
Zeit des tiefen Wandels
Holtzhauer wollte nicht zu spät kommen mit dem Bauhaus, im Jubiläumssommer 2019 würde sich keiner mehr so recht daran erfreuen. Also kommt er lieber zu früh, mit der Vorgeschichte und dem geistigen Klima, das vor hundert Jahren in Deutschland herrschte. Das Kriegsende, die Abdankung des Adels, die entstehende neue Republik - 1918 war vieles im Wandel:
"Eine Übergangssituation, in der die alten Regeln außer Kraft gesetzt waren, die Neuen noch nicht so richtig galten. Und in diesen Ausnahmezustand hinein konnte das Bauhaus überhaupt nur gegründet werden. Uns interessiert der nostalgische Blick zurück überhaupt nicht. Uns interessiert, wie die Künstler heute auf die Geschichte, die man in Weimar finden kann, blicken und sie auch vor dem heutigen gesellschaftlichen Hintergrund reflektieren."
Zum ersten Mal steht so eine große, dreiteilige Ausstellung im Mittelpunkt des Kunstfests, das ansonsten eher vom Theater, von Musik, von Sprache und Tönen lebt. Die Ausstellung bleibt leider hinter ihren Ansprüchen zurück. Ein Teil in einem alten, leerstehendem Geschäftshaus wirkt arg improvisiert, ein anderer ist am Eröffnungswochenende des 17-tägigen Kunstfests noch nicht fertig.
Geist des Expressionismus
Dennoch findet der Besucher auf eher rotzig an die Wand gepinnten Dokumenten Preziosen der frühen Begegnung mit dem noch nicht ganz angekommenen Bauhaus in Weimar. Der deutschnationale Abgeordnete Emil Herfurth etwa forderte in einer Flugschrift: "Wir verlangen, daß die Lebensführung der Angehörigen des Kunstinstituts sich dem Geist unserer großen Tradition und den Lebensformen Weimars anpasse."
Kurator Janek Müller erzählt die Geburt des Bauhauses aus dem hitzigen Geist des Expressionismus:
"Für uns ist das Bauhaus eben ein Apparat, der gleichzeitig Hitze und Kälte erzeugt und produziert hat, der in vielen hitzigen Debatten stand, innerhalb des Aufbaus der Schule, aber natürlich auch durch die äußere Umgebung und die sich wandelnde Politik."
In einem zweiten Teil im Museum für Ur- und Frühgeschichte reagieren zeitgenössische Künstler auf historische Speerspitzen und Urmensch-Dioramen. Auch die Bauhäusler wollten sich ja auf das Handwerk besinnen, das letztlich unsere frühen Vorfahren erfunden hatten.
Die Bezüge bleiben jedoch oft diffus. Der beste Teil der Ausstellung findet sich in der Galerie ACC. Dort zu sehen sind heutige Positionen, etwa ein auf dem Boden sitzender Stuhl, neben Dokumenten, die im Kleinen, Privaten, das Große des Bauhauses spiegeln: Eine Materialbestellung, die wie nebenbei das Prinzip der Bauhaus-Werkstätten erläutert; oder eine unsichere Anfrage eines besorgten Bürgers aus Kassel von 1925, ob das Bauhaus überhaupt noch existiere und ob man das Haus am Horn - als erster Bauhaus-Bau heute eine Ikone der Moderne - überhaupt noch besichtigen könne.
Erinnerungen an die Jugend
Mit dem Projekt des Schweizers Mats Staub geht Christian Holtzhauer zurück zu seinem ersten Kunstfest vor vier Jahren. Für "21 - Erinnerungen an das Erwachsenwerden" hat Staub Hunderte Menschen weltweit nach deren Erinnerungen an ihre Jugend befragt. Ein Vierteljahr später spielt er ihnen das verdichtete Interview noch einmal vor und filmt ihre Reaktionen - die Geschichten von Jugend und Aufbruch, die Welt-Geschichten und die Reaktionen von Freude, Trauer, Nachdenklichkeit fesseln die Besucher immer wieder. Mats Staub:
"Die Leute behalten ja ein Geheimnis, obschon sie so viel von sich erzählen. Auch ich kann nie genau sagen: Wie werden sie jetzt darauf reagieren? Selbst, wenn die Geschichte lustig erzählt ist, kann das plötzlich sehr traurig sein bei der Aufnahme. Darüber ist dann die eine oder andere Reaktion für uns als Besucher gar nicht so klar zuordenbar, beziehungsweise fangen wir an, uns Geschichten selbst auszudenken und zu imaginieren. Und ich vermute, dass wir ganz oft andere Geschichten ausdenken als die, die wirklich passiert sind."
Das Kunstfest Weimar läuft noch zwei Wochen und - wie immer seit es in Christian Holtzhauers Verantwortung liegt - mit Tanz, Theater, Lesung, Film, Musik und allen Mischformen an ungewöhnlichen Spielorten mit unbekannten Sichtweisen.