Prof. Dr. Dominik H. Enste ist Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Zudem hat er eine Professur an der TH Köln für Wirtschaftsethik und Institutionenökonomik und ist Dozent an den Universitäten Köln und Bonn. Dominik Enste hat Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Wirtschaftspsychologie an den Universitäten Köln, Dublin und Fairfax/USA studiert.
Wirtschaftsethiker zu Russland-Sanktionen
Das Gaskraftwerk im Chemiepark Leuna: Wirtschaftsethiker Dominik Enste rechnet mit massiven Schäden für die deutsche Wirtschaft, wenn keine fossilen Energieträger mehr aus Russland nach Deutschland kommen. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Augenmaß statt Koste-es-was-es-wolle
29:27 Minuten
Muss Russland wegen des Kriegs gegen die Ukraine härter sanktioniert werden, gar mit einem Energie-Embargo? Das ist auch eine moralische Frage. Der Wirtschaftsethiker Dominik Enste rät, bei aller berechtigten Empörung einen kühlen Kopf zu bewahren.
Dominik Enste geht es wie den meisten von uns: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und das unermessliche Leid der Menschen dort rufen in ihm Empörung und den Wunsch nach Bestrafung des Aggressors hervor.
Doch der Leiter des Kompetenzfelds Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält Wut für keinen guten Ratgeber in dieser Lage. Bei Sanktionen bis hin zu einem Embargo gegen russische Gas-, Öl- und Kohleimporte müssten auch aus ethischer Sicht Kosten, Nutzen und Risiken abgewogen werden.
Was würde ein Energie-Embargo bringen?
Ein Stopp russischer Energielieferungen – ob vom Westen verhängt oder von Russland selbst – würde in Deutschland erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Als reiches Land könne die Bundespublik das zwar aushalten, meint Dominik Enste, er wirft aber die Frage auf, ob ein Embargo den Krieg in der Ukraine tatsächlich verkürzen würde.
Denn, so sein Argument, die russische Führung sei gegen die Folgen harter Sanktionen bisher anscheinend gut gewappnet, während ihr das Leid der eigenen Bevölkerung egal sei.
Probleme mit der Kampfmoral der russischen Truppen oder hohe Verluste eigener Soldaten könnten einen mindestens ebenso großen Einfluss auf die Dauer des Kriegs haben wie der Zustand der Kriegskasse Putins, auf die Sanktionen abzielen.
Mit Putin verhandeln, auch wenn’s schwerfällt
Außerdem müsse bei jeder weiteren Eskalationsstufe der Sanktionen das Risiko einer Ausweitung des Kriegs bis hin zu einem russischen Atomschlag bedacht werden, sagt Dominik Enste. Darum sei aus wirtschaftsethischer Sicht eher nach Wegen zur Deeskalation zu suchen, „wie schwer es einem auch fällt, mit jemandem wie Putin sich an einen Tisch zu setzen“.
In Verhandlungen müssten Lösungen gefunden werden, bei der beide Seiten ihr Gesicht wahren, die sie als „Win-Win-Situation“ ansehen könnten.
Dazu seien wirtschaftliche Druckmitteln nötig, aber auch Belohnungen für nachgewiesenen guten Willen.
Guter Mittelweg
Der Bundesregierung bescheinigt Enste, einen „ganz guten Mittelweg“ zu versuchen, um zu vermeiden, dass man am Ende gar keine Maßnahmen gegen den Aggressor mehr zur Verfügung habe. Denn wenn ein Energie-Embargo nicht zu einem schnellen Kriegsende führen würde – was dann?
Und noch eins gibt der Wirtschaftsethiker zu bedenken: Je länger der Wirtschaftskrieg zwischen Russland und dem Westen anhält, desto mehr Not und Hunger würde er in ärmeren Ländern der Welt verursachen, etwa durch Engpässe bei Getreidelieferungen oder unterbrochene Lieferketten. „Insofern muss man immer auch die Folgewirkungen einer auf den ersten Blick moralisch gebotenen Maßnahme prüfen“, so Dominik Enste.
(pag)