Augsburger Brechtfestival

Digitale Medea inmitten von Männern

10:19 Minuten
Making-of Szene der Video-Collage "Medeamaterial" mit Tom Kühnel, mittig im Bild, und Christina Jung.
Mit Medea steht bei der Auftaktinszenierung eine der bedeutendsten weiblichen Theaterfiguren im Mittelpunkt. © Jan-Pieter Fuhr
Tom Kühnel im Gespräch mit André Mumot · 20.02.2021
Audio herunterladen
Das Brechtfestival stellt die Frauen rund um Brecht in den Mittelpunkt – ausschließlich online. Bei der Auftaktinszenierung „Medeamaterial“ von Heiner Müller sind viele Männer beteiligt. Warum das kein Problem ist, erklärt Festivalleiter Tom Kühnel.
Im zweiten Jahr in Folge leiten die Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner das Augsburger Brechtfestival, das Ende Februar 2021 startet – ausschließlich mit Online-Angeboten. Immerhin 23 Netzpremieren wird es zum Hashtag #digitalbrecht geben: Aufführungen, Hörstücke, Reportagen, Musik.
Die Eröffnungsinszenierung kommt von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel selbst: Das "Medeamaterial" von Heiner Müller steht auf dem Programm. Von ihm haben die beiden bereits erfolgreich andere Stücke inszeniert, den "Auftrag" etwa und die "Umsiedlerin". Das übergreifende Festivalthema in diesem Jahr aber geben die Frauen rund um Brecht vor, die allzu oft in seinem Schatten standen, aber auch selbst geschrieben und eigene künstlerische Akzente gesetzt haben: Inge Müller etwa, Margarete Steffin und Helene Weigel.

"Wir sind jetzt halt Männer"

Dass die Auftaktinszenierung mit Medea eine der bedeutendsten weiblichen Theaterfiguren in den Mittelpunkt stellt, aber in einem von einem Mann geschriebenen Stück und in einer von zwei Männern erarbeiteten Inszenierung, könnte dabei durchaus provozieren. "Na ja, gut, wir sind jetzt halt Männer", sagt Tom Kühnel, "das können wir ja leider jetzt nicht ändern. Wir haben drei Frauen besetzt, wir haben zwei Musikerinnen dabei. Wir hoffen, dass das so ein bisschen das Gleichgewicht wieder herstellt."
Zudem sei Heiner Müller "ein extrem feministischer Autor. Er hat wirklich mit die stärksten Frauenfiguren überhaupt geschrieben." Im "Medeamaterial" gebe es zum Beispiel eine besonders aufschlussreiche Textstelle: "Will ich die Menschheit in zwei Stücke brechen und wohnen in der leeren Mitte". Für Kühnel ein Zeichen, das Müller sich noch über den klassischen Feminismus "und über diese Entweder-oder-Logik hinausbegibt und nach etwas Drittem fragt".

Weder zu konventionell, noch zu irre

Offenkundig haben die beiden Regisseure eine ideale Art der Zusammenarbeit entwickelt, gerade, wenn es um Müllers Stücke geht. Das Erfolgsgeheimnis? "Ich komme mehr vom Theater, bin wahrscheinlich mehr der Organisator, der quasi da eine Ordnung reinbringt", erklärt Tom Kühnel.
"Und Jürgen ist einer, der dann immer querschießt mit völlig anderen Ideen oder meine Ideen wieder kaputtmacht, und dadurch entstehen dann in den glücklichen Momenten interessante Arbeiten. Bei mir allein wär’s wahrscheinlich zu konventionell und bei ihm vielleicht zu irre."

Prophetische Beschreibung des Internets?

Die Tatsache, dass das gesamte Brechtfestival nun online stattfinden müsse, sei natürlich erst einmal frustrierend, zugleich aber auch eine Chance für neue kreative Ansätze, für filmisches Erzählen etwa. Brecht selbst hätten die Verfremdungseffekte der Onlinemedien womöglich gut gefallen, glaubt Tom Kühnel.
Er erinnert an die Radio-Theorie des Autors, in der dieser "im Grunde prophetisch das Internet beschreibt, wo man sagt: Es gibt jetzt nicht nur den einen Sender und die anderen sind die Konsumenten, sondern es findet eine neue Form von Interaktion statt und alle werden zu Sendern." Dabei räumt der Regisseur ein: "Was natürlich auch wieder seine problematische Seite hat, wie wir in den letzten zehn Jahren erfahren haben – aber natürlich ist das auch ein extrem Brecht’scher Gedanke."

Das Brechtfestival in Augsburg findet – ausschließlich online – vom 26. Februar bis 7. März statt.

Mehr zum Thema