Aus Altglas wird Kunst
Für die einen ist es nicht mehr als Altglas, für Daniel Knorr ist es das Material für ein Kunstprojekt. In seiner Performance "Scherben bringen Glück" im Fridericianum Kassel zeigt Knorr, wie aus zerbrochenem Glas Neues entstehen kann.
Scherben bringen Glück - aber was zum Teufel ist Glück? Ist es zum Beispiel ein Glück für das Museum Fridericianum, dass Daniel Knorr mitten in einem Ausstellungssaal zwei Altglascontainer entleert und dann anfängt, in den fein sortierten Scherbenhaufen – Weißglas, Buntglas! – herumzuwühlen, um sich, wie er sagt, die besten Stücke herauszusuchen? Die Reaktion der Zuschauer lässt jedenfalls nicht lange auf sich warten: "Dasselbe macht die Müllabfuhr auch." Was soll daran Kunst sein?
"Der Spannungsmoment ist zwischen dem, was uns Scherben sagen geschichtlich, einerseits, andererseits eben diese populäre Sicht eines Sprichworts 'Scherben bringen Glück', das könnte man auch fast ausweiten auf eine masochistische Art und Weise, indem man sagt: Ich führe dieses Glück vor Augen, und es kann mich verletzen, weil es so scharf ist, weil es so eine Scherbe ist ..."
… sagt Daniel Knorr, der 1968 in Bukarest geboren wurde, in Deutschland und den USA Kunst studiert hat und seit zehn Jahren in Berlin lebt. Das Glück vor Augen, das meint Knorr ganz wörtlich. Denn aus den besten Stücken, die er aus dem Scherbenhaufen herausgesucht hat, fängt er nun an, Brillen zu machen. In einigen Vitrinen, die in dem Saal aufgestellt sind, sind auch schon einige fertige Exponate zu sehen. Brillen aus Scherben. Darauf muss man erst einmal kommen.
"In Berlin sind wahnsinnig viele Scherben. Also ich bin Fahrradfahrer, und man ärgert sich wahnsinnig um diese Scherben. Und irgendwann hab ich sie natürlich, wenn man so drauf guckt – man sieht sie wirklich, und man sieht die Form, und dann hab ich gedacht: Hey, eigentlich, wenn man die zusammenfügt, könnte man so eine Brille – das könnte wie Ray Ban aussehen. Und ich hab mal was probiert dann, weil ich hab es mit Sekundenkleber gemacht, und es hatte diesen provisorischen Moment auch. Mich interessiert es auch, dass man sieht, wie so eine Brille entsteht, wie die Fertigkeit des Künstlers sich eigentlich auch von Tag zu Tag ändert. Dass es auch fast so’n Handwerk wird."
So etwas löst natürlich Assoziationen aus. Wer kennt nicht jene sattsam von nachfolgenden Künstlergenerationen zitierte Szene aus Sergej Ejsensteins Film "Panzerkreuzer Potemkin", in der einer Frau die Brille auf dem Gesicht zerschlagen wird? Ja, und wer kennt sie nicht, die Haufen alter Brillengestelle von Opfern in den Gedenkstätten von deutschen Vernichtungslagern?
"Und das ist sprichwörtlich durch die Geschichte zu gucken, auch durch diese Scherben zu gucken. Also sie zu materialisieren meine ich, sie halt wirklich vor die Augen zu führen, als eine Sichtweise. Natürlich, man sieht durch die Brillen hindurch, aber die verkörpern auch eine Sichtweise, sie vermitteln so was auch."
Die historische Reflexion insbesondere auf die Geschichte der Moderne aber auch darauf, wie Geschichte überhaupt "gemacht" wird, ist ein fester Bestandteil in Knorrs bisherigen Performances und Aktionen. Sie kommen auf den ersten Blick unbekümmert daher, fast wie Lausbubenstreiche, aber ihre Wirkung ist immer erstaunlich komplex. Bei der diesjährigen Berlin Biennale hat Daniel Knorr den Bau der Neuen Nationalgalerie mit einem Fries aus den Fahnen aller 58 deutschen Burschenschaften geschmückt. Die Neue Nationalgalerie, eine architektonische Ikone der Moderne, übrigens auch mit viel Glas, sah dadurch auf den ersten Blick aus wie eine Messehalle - was durchaus auch als Anspielung auf die ursprüngliche Verwendung des Baus als Firmenpavillon für den Rumhersteller Bacardi verstanden werden konnte.
Aber Knorr meinte etwas ganz anderes.
"Bei der Nationalgalerie hat mich wirklich die Moderne interessiert und weil sie in den sechziger Jahren durch diesen International Style-Bau von Mies van der Rohe eingeführt wurde und natürlich auch diese Spannung, inwieweit diese Moderne, diese Öffnung der Gesellschaft wirklich sich vollzogen hat, und inwieweit verkrustete Strukturen in der Gesellschaft weiterhin existieren als hermetische Systeme, die eine sehr große Rolle in der Gesellschaft spielen und die wir an höchster Stelle immer wieder treffen."
Idealistische Moderne hier – repressive Burschenschaften dort. Es kommt eben darauf an, welche Brille man aufsetzt, um die Geschichte zu bewerten. Unter seinem neuen Leiter Rein Wolfs hat sich das Museum Fridericianum schnell zu einem Ort der "Relational Esthetics" gewandelt. In den neunziger Jahren verstand man darunter noch Künstleraktionen wie das Verwandeln einer Kunstgalerie in einen Nachtclub oder wie bei Christine Hill eines Kiosks in eine Galerie und gab das dann als politische Aktion aus. Inzwischen aber hat sich diese Mischung aus Performance und Installation von ihrer Harmlosigkeit der frühen Jahre befreit. Daniel Knorrs Arbeiten zählen sicher zu den komplexesten dieses Genres. Er sucht nach nicht weniger als nach einer Neuformulierung von Kunst nach der Moderne. Die Moderne suchte nach neuen Formen für bestimmte Materialien, sagt Knorr. Er aber möchte den Ideen neuen Freiraum geben…
"… dass einfach die Idee sich materialisiert und eben nach diesem Medium verlangt, wie bei der Nationalgalerie die Flaggen, und es interessiert mich eben, auf diese konzeptuelle Ebene zu kommen."
Service: Die Ausstellung "Daniel Knorr: Scherben bringen Glück" ist vom 7.12.2008 bis zum 4. Januar 2009 im Fridericianum Kasselzu sehen.
"Der Spannungsmoment ist zwischen dem, was uns Scherben sagen geschichtlich, einerseits, andererseits eben diese populäre Sicht eines Sprichworts 'Scherben bringen Glück', das könnte man auch fast ausweiten auf eine masochistische Art und Weise, indem man sagt: Ich führe dieses Glück vor Augen, und es kann mich verletzen, weil es so scharf ist, weil es so eine Scherbe ist ..."
… sagt Daniel Knorr, der 1968 in Bukarest geboren wurde, in Deutschland und den USA Kunst studiert hat und seit zehn Jahren in Berlin lebt. Das Glück vor Augen, das meint Knorr ganz wörtlich. Denn aus den besten Stücken, die er aus dem Scherbenhaufen herausgesucht hat, fängt er nun an, Brillen zu machen. In einigen Vitrinen, die in dem Saal aufgestellt sind, sind auch schon einige fertige Exponate zu sehen. Brillen aus Scherben. Darauf muss man erst einmal kommen.
"In Berlin sind wahnsinnig viele Scherben. Also ich bin Fahrradfahrer, und man ärgert sich wahnsinnig um diese Scherben. Und irgendwann hab ich sie natürlich, wenn man so drauf guckt – man sieht sie wirklich, und man sieht die Form, und dann hab ich gedacht: Hey, eigentlich, wenn man die zusammenfügt, könnte man so eine Brille – das könnte wie Ray Ban aussehen. Und ich hab mal was probiert dann, weil ich hab es mit Sekundenkleber gemacht, und es hatte diesen provisorischen Moment auch. Mich interessiert es auch, dass man sieht, wie so eine Brille entsteht, wie die Fertigkeit des Künstlers sich eigentlich auch von Tag zu Tag ändert. Dass es auch fast so’n Handwerk wird."
So etwas löst natürlich Assoziationen aus. Wer kennt nicht jene sattsam von nachfolgenden Künstlergenerationen zitierte Szene aus Sergej Ejsensteins Film "Panzerkreuzer Potemkin", in der einer Frau die Brille auf dem Gesicht zerschlagen wird? Ja, und wer kennt sie nicht, die Haufen alter Brillengestelle von Opfern in den Gedenkstätten von deutschen Vernichtungslagern?
"Und das ist sprichwörtlich durch die Geschichte zu gucken, auch durch diese Scherben zu gucken. Also sie zu materialisieren meine ich, sie halt wirklich vor die Augen zu führen, als eine Sichtweise. Natürlich, man sieht durch die Brillen hindurch, aber die verkörpern auch eine Sichtweise, sie vermitteln so was auch."
Die historische Reflexion insbesondere auf die Geschichte der Moderne aber auch darauf, wie Geschichte überhaupt "gemacht" wird, ist ein fester Bestandteil in Knorrs bisherigen Performances und Aktionen. Sie kommen auf den ersten Blick unbekümmert daher, fast wie Lausbubenstreiche, aber ihre Wirkung ist immer erstaunlich komplex. Bei der diesjährigen Berlin Biennale hat Daniel Knorr den Bau der Neuen Nationalgalerie mit einem Fries aus den Fahnen aller 58 deutschen Burschenschaften geschmückt. Die Neue Nationalgalerie, eine architektonische Ikone der Moderne, übrigens auch mit viel Glas, sah dadurch auf den ersten Blick aus wie eine Messehalle - was durchaus auch als Anspielung auf die ursprüngliche Verwendung des Baus als Firmenpavillon für den Rumhersteller Bacardi verstanden werden konnte.
Aber Knorr meinte etwas ganz anderes.
"Bei der Nationalgalerie hat mich wirklich die Moderne interessiert und weil sie in den sechziger Jahren durch diesen International Style-Bau von Mies van der Rohe eingeführt wurde und natürlich auch diese Spannung, inwieweit diese Moderne, diese Öffnung der Gesellschaft wirklich sich vollzogen hat, und inwieweit verkrustete Strukturen in der Gesellschaft weiterhin existieren als hermetische Systeme, die eine sehr große Rolle in der Gesellschaft spielen und die wir an höchster Stelle immer wieder treffen."
Idealistische Moderne hier – repressive Burschenschaften dort. Es kommt eben darauf an, welche Brille man aufsetzt, um die Geschichte zu bewerten. Unter seinem neuen Leiter Rein Wolfs hat sich das Museum Fridericianum schnell zu einem Ort der "Relational Esthetics" gewandelt. In den neunziger Jahren verstand man darunter noch Künstleraktionen wie das Verwandeln einer Kunstgalerie in einen Nachtclub oder wie bei Christine Hill eines Kiosks in eine Galerie und gab das dann als politische Aktion aus. Inzwischen aber hat sich diese Mischung aus Performance und Installation von ihrer Harmlosigkeit der frühen Jahre befreit. Daniel Knorrs Arbeiten zählen sicher zu den komplexesten dieses Genres. Er sucht nach nicht weniger als nach einer Neuformulierung von Kunst nach der Moderne. Die Moderne suchte nach neuen Formen für bestimmte Materialien, sagt Knorr. Er aber möchte den Ideen neuen Freiraum geben…
"… dass einfach die Idee sich materialisiert und eben nach diesem Medium verlangt, wie bei der Nationalgalerie die Flaggen, und es interessiert mich eben, auf diese konzeptuelle Ebene zu kommen."
Service: Die Ausstellung "Daniel Knorr: Scherben bringen Glück" ist vom 7.12.2008 bis zum 4. Januar 2009 im Fridericianum Kasselzu sehen.