Aus dem Fernseher gefallen
Rund zwanzig Jahre war Pepino Star einer argentinischen Kinderserie. Zu einem normalen Leben hat er nie zurückgefunden. Vielmehr ist er besessen von dem Gedanken, dass der Drehbuch-schreiber der "daily soap" seine Geschicke weiter fortschreibt.
Eine verstolperte Begegnung mit blutiger Nase am Busbahnhof. Sie fast zwei Meter groß, er ungefähr 1,50 Meter. Der Zufall will, dass beide sich lachend im gleichen Bus wiederfinden. Und ins Reden geraten, und aufs gleiche Konzert wollen, und schließlich ein Paar werden. Nach Slapstick und romantischer Komödie scheint dieser Romananfang zu riechen, aber alles kommt ganz anders, und der Drehpunkt der Geschichte ist eine rund zwanzig Jahre zurückliegende Kinderserie im Fernsehen, die als daily soap in ihren besten Phasen halb oder ganz Argentinien in Bann geschlagen hatte.
Er, Pepino, war seinerzeit einer der Kinderstars jener Serie (wie sich im Romanverlauf zeigt, eher stotternder Statist), sie, Twiggy, immerhin ein glühender Fan. Er verdient sich als 30-Jähriger sein (weniges) Geld als lebende Statue an einem Friedhof in Buenos Aires.. Sie stammt aus gutem Hause, ist depressiv und steht unter einer von ihrem Vater verordneten Quarantäne.
Auf zwei wechselseitig erzählten Ebenen entwickelt sich dieser Roman: Da ist Pepinos Geschichte als werdender Kinderstar. Eine erschütternde psycho-medienkritische Abrechnung, die von obsessiven, narzisstischen und sogar inzestuösen Eltern, von einer regelrecht grausamen Manipulationsmaschinerie, von erbarmungslosem Druck, von Realitätsverlust und von einer verlorenen Kindheit erzählt, die aber auch die affektive Bindung an diese pervertierten Verhältnisse ausstellt. Denn keiner der Kinderstars hat später, als die Serie irgendwann einfach abgesetzt wurde, zu einem normalen Leben zurückgefunden oder andererseits Karriere gemacht.
Und dennoch bleibt allen Beteiligten jene Lebensepisode, in der sie in der Serie Fräulein Lehrerin Stars waren, als ein gradmessender Sehnsuchtsort eingeschrieben. Ob Taxifahrer, Polizist oder einfach nur Junkie - seelisch, emotional kreisen ihre Leben weiter um die Zeit, als sie Stars waren.
Hiervon handelt die zweite Romanebene, zwanzig Jahre später. Die – etwas wüst konstruierten – Umstände bringen es mit sich, dass Pepino etlichen seiner einstigen Mitstreiter begegnet. Das hat viel mit Tod zu tun, denn nicht nur ist Pepino besessen von dem Gedanken, dass der Drehbuchschreiber der einstigen Serie weiter ihre Geschicke fortschreibt, er ist auch sicher, dass in diesem Drehbuch der Tod aller Beteiligten festgelegt ist. Tatsächlich sterben mehrere der ehemaligen Kinderserienhelden im Verlauf des Romans, während sich die Überlebenden wieder begegnen und sich ihre gescheiterten Leben "danach" erzählen, während sie in überaus turbulenten Abenteuern dieses Scheitern ausleben.
Ein dunkles, überdrehtes Zu-Sich-Kommen beschreibt dieser Roman in grellen Farben, die manchmal – und gewollt – überzeichnen. Es ist das Porträt einer haltlosen Generation, die im manipulativen Mechanismus des Fernsehens gleichsam geboren wurde und danach keinen anderen Bezugspunkt findet. Bunt, aber düster ist dieser Roman.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Lucía Puenzo: Der Fluch der Jacinta Pichimahuida
Aus dem Spanischen von Rike Bolte
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010
285 Seiten, 12,90 Euro
Er, Pepino, war seinerzeit einer der Kinderstars jener Serie (wie sich im Romanverlauf zeigt, eher stotternder Statist), sie, Twiggy, immerhin ein glühender Fan. Er verdient sich als 30-Jähriger sein (weniges) Geld als lebende Statue an einem Friedhof in Buenos Aires.. Sie stammt aus gutem Hause, ist depressiv und steht unter einer von ihrem Vater verordneten Quarantäne.
Auf zwei wechselseitig erzählten Ebenen entwickelt sich dieser Roman: Da ist Pepinos Geschichte als werdender Kinderstar. Eine erschütternde psycho-medienkritische Abrechnung, die von obsessiven, narzisstischen und sogar inzestuösen Eltern, von einer regelrecht grausamen Manipulationsmaschinerie, von erbarmungslosem Druck, von Realitätsverlust und von einer verlorenen Kindheit erzählt, die aber auch die affektive Bindung an diese pervertierten Verhältnisse ausstellt. Denn keiner der Kinderstars hat später, als die Serie irgendwann einfach abgesetzt wurde, zu einem normalen Leben zurückgefunden oder andererseits Karriere gemacht.
Und dennoch bleibt allen Beteiligten jene Lebensepisode, in der sie in der Serie Fräulein Lehrerin Stars waren, als ein gradmessender Sehnsuchtsort eingeschrieben. Ob Taxifahrer, Polizist oder einfach nur Junkie - seelisch, emotional kreisen ihre Leben weiter um die Zeit, als sie Stars waren.
Hiervon handelt die zweite Romanebene, zwanzig Jahre später. Die – etwas wüst konstruierten – Umstände bringen es mit sich, dass Pepino etlichen seiner einstigen Mitstreiter begegnet. Das hat viel mit Tod zu tun, denn nicht nur ist Pepino besessen von dem Gedanken, dass der Drehbuchschreiber der einstigen Serie weiter ihre Geschicke fortschreibt, er ist auch sicher, dass in diesem Drehbuch der Tod aller Beteiligten festgelegt ist. Tatsächlich sterben mehrere der ehemaligen Kinderserienhelden im Verlauf des Romans, während sich die Überlebenden wieder begegnen und sich ihre gescheiterten Leben "danach" erzählen, während sie in überaus turbulenten Abenteuern dieses Scheitern ausleben.
Ein dunkles, überdrehtes Zu-Sich-Kommen beschreibt dieser Roman in grellen Farben, die manchmal – und gewollt – überzeichnen. Es ist das Porträt einer haltlosen Generation, die im manipulativen Mechanismus des Fernsehens gleichsam geboren wurde und danach keinen anderen Bezugspunkt findet. Bunt, aber düster ist dieser Roman.
Besprochen von Gregor Ziolkowski
Lucía Puenzo: Der Fluch der Jacinta Pichimahuida
Aus dem Spanischen von Rike Bolte
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010
285 Seiten, 12,90 Euro