Aus dem Inneren der Tänzer

Von Oliver Kranz |
Sasha Waltz ist die wohl wichtigste deutsche Choreografin ihrer Generation. Sie hat eine eigene Formensprache entwickelt und war bei mehr als 1500 Gastspielen in 40 Ländern auf der ganzen Welt erfolgreich. In diesem Jahr feiert ihre Compagnie Sasha Waltz & Guests an der Berliner Staatsoper das 15-jährige Bestehen.
Vor 15 Jahren war Sasha Waltz völlig unbekannt. Sie hatte ihre Tanzausbildung in Holland absolviert und sich dann ein paar Jahre in der New Yorker Off-Szene durchgeschlagen. 1993 kam sie nach Berlin.

"Ich hatte ein Stipendium im Künstlerhaus Bethanien beantragt - und es auch bekommen für ein Projekt, das sich Dialoge nannte und das konzipiert war als Laboratorium verschiedener Künstler. Ich war sieben Jahre weg aus Deutschland und hatte viele Leute kennengelernt und wollte so einen Ort schaffen, wo die unterschiedlichen Fäden wieder zusammenkommen."

Am Ende gab es nur eine einzige Aufführung, aber die Compagnie hatte sich gefunden. Sie fing an, an der Produktion "20 to 8" zu arbeiten, dem ersten Teil der Travelogue-Trilogie. Der frische Stil der Truppe kam an. Sasha Waltz kreierte Bewegungen, die aus keinem klassischen Formenkanon, sondern aus dem Inneren der Tänzer selbst kamen. Und das tut sie noch heute.

"Eine Kreation ist umso spannender je mehr unterschiedliche Menschen sich daran beteiligen können. Es motiviert die Tänzer auch viel mehr, als wenn ich sagen würde, macht dies und das. Die Kunst ist, sie sich so entwickeln zu lassen, wo ich sie gern haben möchte."

Und dieses Verhältnis soll auch der Gruppenname unterstreichen: Sasha Waltz & Guests. Die Gäste - also die Tänzer - prägen die Arbeiten mit, doch sie bilden kein festes Ensemble. Die Truppe ist mal größer, mal kleiner - je nach Erfordernissen und finanziellen Möglichkeiten.

Überregional bekannt wurde sie 1996 mit der Produktion "Allee der Kosmonauten". Auf einmal war Sasha Waltz ein Star. Sie erhielt Fördergelder und wurde als Hoffnung der deutschen Tanzszene gefeiert - so sehr, dass es ihr fast zuviel wurde. Zum Glück hatte sie damals schon einen Partner, der ihr das Organisatorische weitgehend vom Leib hielt: Jochen Sandig.

"Wir haben die Kompanie gegründet, sind Partner, haben ein Kind zusammen. Bei uns sind Leben und Arbeit eine Einheit eingegangen, die manchmal schwierig ist und manchmal sehr schön."

Jochen Sandig entdeckte die Sophiensäle in Berlin-Mitte als Spielstätte für die Compagnie von Sasha Waltz - verfallene, große Räume, die durch ihre Patina den Produktionen zusätzlichen Reiz verliehen. 1999 wurde er gemeinsam mit der Choreografin Mitglied des Leitungsteams der Berliner Schaubühne.

Die Entscheidung, sich mit der Tanzcompagnie an einem großen Sprechtheater anzusiedeln, war den beiden nicht leicht gefallen. Gelockt wurden sie vor allem durch die großen bühnentechnischen Möglichkeiten des Hauses.

"Ich finde es spannend, nicht immer zu hören zu kriegen: Es geht nicht, es gibt keine Scheinwerfer und so weiter. Ich will mir nicht immer Lösungen für Probleme ausdenken, sondern das umsetzen, was ich denke."

Und zuerst gelang das auf beeindruckende Weise. Sasha Waltz brachte mit den Produktionen "Körper", "S" und "NoBody" Stücke heraus, die die räumlichen Möglichkeiten der Schaubühne ausreizten. Sie legte die drei Säle des Hauses zusammen und schickte ihre Tänzer sogar aufs Dach. Die großen Bilder, die sie baute, hätten anderswo kaum entstehen können. Doch dann kam es in der notorisch unterfinanzierten Schaubühne zu Verteilungskämpfen zwischen Schauspiel und Tanztheater.

2005 machte sich Sasha Waltz mit ihrer Compagnie wieder selbstständig. Die Fördergelder, die im Schaubühnen-Etat für den Tanz vorgesehen waren, durfte sie mitnehmen - sehr zum Ärger mancher Theaterleute.

Einen neuen Koproduktionspartner fand sie in der Akademie für Alte Musik, mit der sie eine choreografierte Version der Oper "Dido & Aeneas" von Henry Purcell herausbrachte. Zu dieser Musik ließ Sasha Waltz ihre Tänzer durch ein großes Schwimmbecken tauchen - atemlos schnell und schwebend leicht. Das war ihre Eintrittskarte in die internationale Opernszene.

In Luxemburg choreografierte sie im Frühjahr 2007 die Medeaoper des französischen Komponisten Pascal Dusapin, in Paris an der Opéra Bastille nur wenige Monate später "Romeo und Julia" von Hector Berlioz mit mehr als 100 Tänzern. Sicher könnte sie als Choreografin solcher Großproduktionen auch in Zukunft viel Geld verdienen. Doch Sasha Waltz hat andere Pläne.

"Als nächstes werde ich mich wieder ganz gezielt und bewusst meinem eigenen Impuls für Kreation zuwenden. Mit diesem Theaterapparat, in den man gelangt - irgendwann auch durch Erfolg, das ist etwas Schönes, Erfolg zu haben - aber man ist auch ein Teil des Marktes und muss darin funktionieren. Und ich habe das in den letzten Jahren als sehr anstrengend wahrgenommen - und den Druck, dem man da ausgeliefert ist, als sehr belastend."

Anfang 2008 fühlte sich Sasha Waltz so erschöpft, dass sie einige Monate nicht arbeiten konnte. Nun will sie mit wesentlich kleineren Projekten neu anfangen:

"Nicht, wie ich es die ganzen 15 Jahre gemacht habe, immer Gruppenarbeit - also von fünf bis 150 Menschen gleichzeitig auf der Bühne. Jetzt möchte ich mir diesen Luxus gönnen, mich nur auf zwei oder drei Menschen nur einzulassen."

Doch ihre alten Arbeiten werden weiter gezeigt - in Berlin an drei verschiedenen Spielorten: an der Schaubühne, der Staatsoper und im Radialsystem, einem alten Pumpwerk, in dem ihre Compagnie seit 2006 zu Hause ist. Sasha Waltz hat in den letzten 15 Jahren ein Repertoire geschaffen, das in der freien Tanzszene seinesgleichen sucht.