Aus den Feuilletons

Abhörsichere Räume knacken für jedermann

Außenansicht des Bundeskanzleramts in Berlin
Außenansicht des Bundeskanzleramts in Berlin am 21.04.2008 © imago / Christian Thiel
Von Tobias Wenzel |
Freche Rückblicke und Deutungen der Zukunft waren in der vergangenen Woche Thema in den Feuilletons. Dabei blieb es aber nicht - unter anderem, weil der Chaos Computer Club tagte. Dort erfuhr die "FAZ", wie sich jedermann Zutritt zu abhörsicheren Räumen etwa im Bundeskanzleramt verschaffen kann.
"Es handelt sich offenkundig um die Grabbeigabe eines gefallenen Peschmerga-Kämpfers", schrieb Jens Jessen in der ZEIT. Die Feuilleton-Redaktion der Wochenzeitung hatte sich zum Bleigießen getroffen. Hanno Rauterberg sah in der Bleifigur eine Giacometti-Skulptur und Marie Schmidt eine "intersexuelle Fledermaus mit auffällig vergrößertem Steißbein". Was blieb den Feuilletonisten in der kulturellen Schnarchzeit zwischen den Jahren auch anderes übrig, als allem freien Lauf zu lassen: dem Alkohol, dem flüssigen Blei, den kranken Fantasien?
Die Feuilleton-Redaktion der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG setzte auf ironische Boshaftigkeit. Neun Mitarbeiter berichteten über Fernsehsendungen des Jahres 2014, die ihre "liebsten Schlafmittel" gewesen seien, von den Wettervorhersagen bis zu den Verfilmungen der Kitsch-Romane von Rosamunde Pilcher. Der Autor mit dem Kürzel "oju" bedankte sich für ein sicheres Einschlummern bei, wie er schrieb, "Wolfgang Sandmann Herles", dem Moderator der ZDF-Sendung "Das blaue Sofa": "Aus der Weltliteratur ein einziges Schlaflied gemacht zu haben, das ist eine Leistung."
Freche Rückblicke und Deutungen der Zukunft per Bleigießen – es wäre wohl dabei geblieben in dieser Feuilleton-Woche, wenn nicht die Pegida-Anhänger weiter marschiert wären und wenn nicht der Chaos Computer Club getagt hätte.
Zugriff auf Politiker-iPhones
"Hätten Sie gern den Fingerabdruck von Ursula von der Leyen?", fragte Stefan Schulz in der FAZ. Schulz hatte beim Kongress des Chaos Computer Clubs in Hamburg aus dem Vortrag des Hackers Jan "Starbug" Krissler erfahren, wie man ganz leicht an den Fingerabdruck hochrangiger Politiker kommt:
"Ein Bild im Internet suchen, Finger ausschneiden, Fingerabdruck nachbauen, auf Folie ausdrucken – nutzen. Die Bildersuche bei Google bietet Anschauungsmaterial noch und nöcher. Wer da nicht alles den Daumen hebt – Daumen hoch zum Scannen."
So könnte man sich Zugriff auf die Daten eines iPhone verschaffen, das der betreffende Politiker per Fingerabdruck-Scan gesichert hat. Übrigens, erläuterte Stefan Schulz, kann man mit der Foto-Methode auch die Iris duplizieren, zum Beispiel die der Bundeskanzlerin:
"Sollte der mit meterdicken Wänden gesicherte, abhörsichere Raum für Geheimnisse im Kanzleramt mit Fingerabdruck- und Iris-Scannern gesichert sein, hat jeder Zutritt, der in der Lage ist, ein Bild der Kanzlerin im Internet zu suchen und gut auszudrucken."
Was hätte der Soziologe Ulrich Beck dazu gesagt?
Wem das noch nicht unheimlich genug war, der konnte in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG lesen, wie das wohl ist, wenn Algorithmen für uns das Denken übernehmen:
"Amazon plant, Waren zu liefern, die niemand bestellt hat, von denen der Konzern aber errechnet hat, dass sie Anklang finden werden."
Dass Computer "schlauer" als Menschen werden, an dieses Schreckgespenst wollte Andrian Kreye von derselben Zeitung dagegen nicht glauben. Kreye zitierte einen US-amerikanischen Ökonom mit den Worten:
"Wir sollten nicht vor intelligenten Maschinen Angst haben, sondern vor Maschinen, die Entscheidungen fällen, für die sie nicht die angemessene Intelligenz haben."
Was hätte wohl der nun gestorbene Risiko-Experte Ulrich Beck dazu gesagt?
"Natürlich waren Nuklear- und Gentechnologie, waren Digitalisierung und die entfesselten Finanzströme Bedrohungen für unsere Art zu leben, aber Ulrich Becks Antwort darauf war nie doktrinär oder feindselig, sondern expansiv und zuversichtlich, als könne seine sonore Stimme auch diese Raubtiere bändigen",
schreibt Nils Minkmar in der neuen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG in seinem Nachruf auf den Soziologen. Nur Beck habe folgende Fähigkeit besessen:
"vor etwas zu warnen, das man nicht hassen muss, und zur vita activa aufzurufen, ohne die Angst oder die Aggression seines Publikums dafür mobilisieren zu müssen."
Wünsche wenig Sellerie und viele Bananen
Aggression und Angst – und da sind wir schon beim Pegida-Wutmännchen:
"Seine Furchtsamkeit ist lächerlich, seine Feigheit erbärmlich. Jedes unbekannte Geräusch macht die Herde stutzig",
schrieb Heiko Werning in der TAZ, eigentlich, um im chinesischen Jahr des Schafs eben dieses Tier zu porträtieren. Aber der Autor gab zu, dass sein einleitender Satz "wie eine aktuelle Analyse der durch Dresden blökenden Pegida-Anhänger" klang. "'Unterwerfung', der neue Roman von Michel Houellebecq, ist schrecklich", schrieb Sandra Kegel in der FAZ noch vor dem Erscheinen des Buchs. Darin entwerfe der Autor das Bild eines islamistischen Gottesstaates in Frankreich. Sandra Kegel formulierte den Wunsch, "dass Pegida-Anhänger sich nicht für französische Romane interessieren". Sie könnten sich sonst "in ihren dumpfen Ressentiments bestätigt fühlen".
"Pegida ist überall", behauptete in der ZEIT Gesine Schwan, die Expertin für die Geschichte von Vorurteilen, um dann zu warnen:
"Wer [...] angesichts der deutschen Geschichte die Bedrohlichkeit und das mörderische Potenzial von Vorurteilen und aggressiven Ressentiments nicht zur Kenntnis nimmt, [...] der handelt verantwortungslos."
"Kann man ohne Religion eine schlüssige Moralphilosophie haben?", fragte Hannes Stein in der WELT Jack Miles. Das glaube er schon, antwortete der US-amerikanische Religionswissenschaftler. Und er begründete dies mit Untersuchungen an Schimpansen. Die seien ja bestimmt nicht religiös, besäßen aber offensichtlich "Vorformen von Moral" und "von Gerechtigkeitssinn": "Wenn Sie hundert Schimpansen ein Stück Sellerie geben, wird jeder sehr froh seinen Sellerie kauen. Wenn Sie aber einem Schimpansen ein Stück Sellerie geben und dem Schimpansen im Käfig nebenan eine Banane, dann empört das den Schimpansen mit dem Sellerie, und er rüttelt an den Gitterstäben."
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Hörer, für das neue Jahr: wenig Sellerie und ganz viele Bananen.
Mehr zum Thema