Aus den Feuilletons

Als Gottschalk die Fassung verlor

Entertainer Thomas Gottschalk (l.) und Daimler-Chef Dieter Zetsche unterhalten sich am 05.06.2016 in Berlin in der neuen RTL-Show "Mensch Gottschalk - Das bewegt Deutschland" vor der Kulisse eines Autos.
Entertainer Thomas Gottschalk (l.) und Daimler-Chef Dieter Zetsche unterhalten sich am 05.06.2016 in Berlin in der neuen RTL-Show "Mensch Gottschalk - Das bewegt Deutschland". © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Hans von Trotha |
Das Feuilleton echauffiert sich über einen Einspielfilm in der vierstündigen Live-Sendung "Mensch Gottschalk" vom späten Sonntagabend. Er zeigte Moderator Thomas Gottschalk und Daimler-Chef Dieter Zetsche in einem selbstfahrenden Auto. Der eigentliche Skandal des Abends lag aber woanders.
"Feuchtgebiete" kommen immer gut im Feuilleton. In der SÜDDEUTSCHEN macht Gerhard Matzig unter dieser Überschrift den Sumpf zum Thema, in dem hierzulande gebaut wird. Das ist weder erotisch noch metaphorisch gemeint, sondern ganz konkret: "Nach der Katastrophe ist immer vor der Katastrophe", stellt Matzig fest und erklärt, "warum wir eine klügere Siedlungspolitik und keine höheren Dämme brauchen". Und er erzählt Geschichten.
In Ostdeutschland etwa wurde
"im Baurausch des Wendebooms das sächsische Städtchen 'Röderau Süd' in einer Elbaue erfunden. Dabei hatte schon 1977 der Rat des Kreises Riesa die fragliche Fläche als Hochwasserüberflutungsgebiet bestätigt. Gebaut wurde trotzdem. (…) Im Jahr 2002 versank Röderau Süd im Hochwasser der Elbe. Dank einer Spendenaktion und öffentlicher Gelder konnte Röderau Süd erst saniert werden – um schließlich, wieder mit öffentlichen Geldern, doch noch komplett umgesiedelt zu werden."
Oder der Großraum von Los Angeles. Da
"leben 17 Millionen Menschen (…) auf einer Zeitbombe der Plattentektonik. 'The Big One', das große Beben, wird dort seit Generationen erwartet. Dennoch (…): Erst vor zwei Jahren wurde ein 200 Millionen Dollar teures Hochhausprojekt mit 1042 Wohnungen direkt über der aktiven Hollywood-Verwerfung realisiert. Ohne weitere 'seismische Bewertung'."

Moderator auf Autopilot

Nun handelt es sich bei der "Hollywood-Verwerfung" nicht um einen Qualitätsstandard der Filmindustrie. Dabei könnte man eine "seismische Bewertung" ganz gut auch in Film und Fernsehen vornehmen. Das wäre dann die Kurve der dramaturgischen Spannungsausschläge, mithin also das, was der vierstündigen Live-Sendung "Mensch Gottschalk" auf RTL ganz gefehlt hat. Außer der Sache mit Paula natürlich, von der Björn Wirth in der BERLINER ZEITUNG erzählt:
"Gleich am Anfang machte Thomas Gottschalk etwas, was man nie, nie, nie machen darf. Er verrät den Täter. Parallel zu seiner neuen Live-Show 'Mensch Gottschalk' lief in der ARD der 'Tatort', und den gucken die Leute am Sonntagabend nun mal. Das weiß auch Gottschalk, und um wenigstens die paar Zuschauer seiner Show vom Umschalten zur ARD abzuhalten, plauderte er das Ende aus. Paula war's."
Auch wenn das fraglos der Skandal des Sonntagabends war, echauffiert sich das gehobene Feuilleton mehr noch über einen Einspielfilm, "in dem Gottschalk und sein neuer Duz- Freund, der Daimler-Chef Dieter Zetsche, in einem selbstfahrenden Auto saßen", so der Bericht der BERLINER ZEITUNG. In der TAZ bemerkt Jens Mayer lapidar: "Bei der Produktpräsentation eines selbstfahrenden Autos (…) schaltet (…) auch der Moderator auf Autopilot." Die BERLINER bleibt dran: "Als der Didi auf der Autobahn die Hände vom Steuer nahm und das Ding verkehrsgemäß weiterfuhr und sogar richtig abbog, verlor der Thommy sichtlich die Fassung."
"Das bewegt Deutschland" heißt "Mensch Gottschalk" im Untertitel. Da ist es ja ganz witzig, sich zwei Prominente ein selbstfahrendes Auto teilen zu lassen. Zumal das Teilen, nicht nur von Autos, gerade richtig im Trend liegt.

Prophet des Untergangs des Kapitalismus

Tania Martini war für die TAZ in Weimar, wo sich
"300 Wissenschaftler, Aktivisten, Künstler und Journalisten (…) drei Tage lang in 75 Veranstaltungen mit dem 'Teilen und Tauschen' beschäftigten". Martini fasst zusammen: "Wirr scheint die Lage, und so war man auch in Weimar oft genug damit beschäftigt herauszufinden, wer warum aus welcher Warte spricht."
Der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin wurde immerhin
"als Prophet des Untergangs des Kapitalismus" identifiziert. Als solcher führte er aus, "wie das Tauschen und Teilen längst an Bedeutung gewonnen hat (…) Teilen sei auch der kulturelle Aspekt eines umfassenden Bewusstseinswandels (…): Es gehe nicht mehr um Besitz, sondern um Zugang, etwa beim Carsharing."

Fazit zu "Mensch Gottschalk": Abbruch!

Womit wir wieder bei der seismischen Bewertung des Sonntagabendfernsehens und mit Gottschalk und Zetsche im selbstfahrenden Auto wären, in dem laut BERLINER ZEITUNG
"das einzige Problem darin (bestand), den mitteilungsfreudigen Bordcomputer zum Schweigen zu bringen. 'Abbruch!', herrschte der Didi die fröhlich vor sich hin plaudernde Frauenstimme an."
Was Björn Wirth zu dem Fazit über vier Stunden "Mensch Gottschalk" veranlasst:
"Wenn das doch auch bei dieser Sendung funktioniert hätte. Abbruch! Abbruch! Abbruch!"
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