Aus den Feuilletons

Angstszenario des Grexit

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras am 27. Juni 2015 bei der Abstimmung über das Referendum zu den Forderungen der internationalen Geldgeber im Athener Parlament
Der griechische Premierminister Alexis Tsipras im Athener Parlament © dpa / Simela Pantzartzi
Von Klaus Pokatzky |
Die Verhandlungen gescheitert. Das Parlament in Athen hat für ein Referendum über die Reformforderungen gestimmt. Und wie unser Wochenrückblick auf die Feuilletons zeigt, ist die Zahl der Hellas-Freunde kleiner geworden. Aber es gibt sie noch.
"Es freut einen, gelesen zu werden." Es freut einen aber auch, gehört zu werden. "Etwas Besonderes ist es, sogar von Kollegen wahrgenommen zu werden", stand in CHRIST UND WELT. "Wobei Journalisten nie einfach nur die Werke anderer Journalisten lesen", schrieb Christiane Florin. "Sie rezensieren sie." Jawohl, ich bin ja schon dabei.
"Berichtigung. Im Beitrag über die Deutsche Bank", stand in der Wochenzeitung DIE ZEIT, "ist uns ein Fehler unterlaufen. Die Verluste der Investmentsparte belaufen sich nicht auf 283 Milliarden Euro, sondern auf 283 Millionen."
Ich rezensiere: Für mich macht das jetzt nicht einen so wahnsinnig großen Unterschied. Für mich klingt das alles ziemlich weit weg. "Die wirklich Reichen haben ihr Geld im Ausland gebunkert, niemand zieht sie bisher wegen Steuerhinterziehung zur Rechenschaft." Das schrieb in CHRIST UND WELT, der Beilage der ZEIT, die griechische Deutschlehrerin Marga Diamant aus Athen.
"Die Leute, die an mir vorbeigehen, sind nicht mehr meine Griechen. Sie starren auf den Boden, um nicht in Verlegenheit zu geraten, den Bettlern etwas geben zu müssen, wo sie doch selbst kaum noch etwas haben."
Marga Diamant hat schon mehrfach in CHRIST UND WELT beschrieben, wie der Alltag in ihrem Land aussieht, während in Brüssel die hohe Politik verhandelt und nun offenbar vor dem Scheitern steht. Das konnten die Feuilletons der vergangenen Woche noch nicht wissen, aber schon ahnen: den noch näher rückenden Grexit – das Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone, über das seit Jahren geredet wird.
"Was passieren würde?", fragte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. "Eine nicht zu stoppende Abfolge von Katastrophen, ein humanitärer, politischer, wirtschaftlicher Albtraum", meinte Melanie Mühl. "Europas Rechte würden weiter gestärkt, nicht zu vergessen ist das Mittelmeer-Flüchtlingsdrama und die brisante Lage im Nahen Osten. Krisenherde überall."
Melanie Mühl war beim zweiten „Deutsch-griechischen Mediendialog" in Bonn, zu dem das Goethe-Institut und die Deutsche Welle Journalisten eingeladen hatten. Die angereisten griechischen Kollegen gelten daheim als privilegiert.
"Privilegiert, das heißt in Griechenland zwölf Stunden sieben Tage die Woche zu arbeiten und ein Dach über dem Kopf zu haben. Es heißt, 1,20 Euro bis 1,40 Euro für einen Liter Milch – den man hierzulande schon für 60 Cent bekommt – ausgeben zu können, anstatt Obst- und Gemüsereste von der Straße zu sammeln. Es heißt, in Supermärkten vielleicht Treuepunkte in Form von Impfgutscheinen für seine Kinder zu erhalten. Die finanzielle Existenz der Menschen ist so fragil, dass schon ein kleines Unglück das Verarmungsschicksal besiegeln kann."
Melanie Mühl dürfte sich als stolzes Mitglied einer Vereinigung begreifen, die andere vor Wut schäumen lässt. "Der Klub der Hellasfreunde wird angesichts eines Grexit immer pathetischer", stand in der Tageszeitung DIE WELT.
"Ob wir Deutschen nun wirklich aus Dankbarkeit für jede demokratische Wahl, für jede olympische Medaille, für jedes Alphamännchen und alle Betablocker Tantiemen an Athen überweisen müssen?", fragte Dirk Schümer rhetorisch – ein schönes Wort übrigens, das wir der Europa prägenden antiken griechischen Kultur verdanken.
"Deutschland verdankt den Anstoß zu dem ökonomischen Aufstieg, von dem es heute noch zehrt, der Klugheit der Gläubigernationen, die ihm im Londoner Abkommen von 1953 ungefähr die Hälfte seiner Schulden erlassen haben."
So gab die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG eine Antwort auf die Frage der WELT, die sich beim Schreiben gegen die „Hellasfreunde" offenbar als vermeintlich gesittetere Schwester der BILD-Zeitung versteht.
"Das schwache Auftreten der griechischen Regierung ändert nichts an dem Skandal, der darin besteht, dass sich die Politiker in Brüssel und Berlin weigern, ihren Kollegen aus Athen als Politiker zu begegnen", schrieb der Philosoph Jürgen Habermas in der SÜDDEUTSCHEN dagegen an, dass die Griechen einfach nur in ihre Rolle als Gläubiger gedrängt würden.
"Diese Verwandlung In Zombies hat den Sinn, der verschleppten Insolvenz eines Staates den Anschein eines unpolitischen, vor Gerichten einklagbaren privatrechtlichen Vorgangs zu geben. Denn dann lässt sich eine politische Mitverantwortung umso leichter verleugnen. Und was kommt dann noch alles? Das ist dann der Moment, in dem sich jemand wie Wladimir Putin als Retter ins Spiel bringt",
meinte Michael Hanfeld in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN. Dort gab es auch ein Interview. "Ich selbst aber will so schnell wie möglich sterben", war da zu lesen. "Das vom Geld dirigierte Europa erscheint mir inzwischen wie eine riesige Spinne, und jeder, der in ihr Netz gerät, ist verloren", sagte der große griechische Komponist Mikis Theodorakis. "Die Vorgänger der aktuellen Regierung haben alles unterschrieben, sie haben das griechische Tafelsilber verkauft und uns gesagt: Schäuble ist der Chef." DIE WELT brachte – nicht im Kulturteil, sondern auf ihrer Meinungsseite – ein riesig aufgemachtes Zitat der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite zu Griechenland:
"Wir sehen ein Land, das schlemmen möchte und sich von anderen das Geld dafür geben lassen will."
Wir glauben da mehr der angeblichen Schlemmerin Marga Diamant in CHRIST UND WELT:
"Das Angstszenario des Grexit durchzieht unser gesamtes Leben. Wir fragen uns, wenn die Drachme kommt, reicht dann das Geld noch für den täglichen Lebensmittelbedarf, können wir dann noch die jetzt schon unerschwinglichen Arzneien kaufen? Und: Als meine inzwischen 96-jährige Mutter vor drei Jahren an der Galle operiert werden musste, war die Lage im Krankenhaus schon schwierig. Es gab weder Seife noch Toilettenpapier, und die Angehörigen mussten nachts die Patienten betreuen, sie waschen und ihnen die Infusionen anlegen."
Marga Diamant ist ein Pseudonym. Das Wort Diamant geht zurück auf "adámas"; das heißt "Der Unbezwingbare". Und ist – griechisch.
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