Aus den Feuilletons

Art-Hopping mit selektivem Blick

Von Arno Orzessek |
Die große Kunstmesse in Basel lässt die Feuilletons zu den krassesten Vokabeln greifen: Schwindelerregend, narzisstisch, wahnsinnig, unfassbar. Und klar scheint auch: Verkauft wird Kunst inzwischen überall.
Spitzen Sie bitte die Ohren, liebe Hörer!
Es ist nämlich so, dass sich die erste Überschrift, die wir zitieren wollen, eigentlich nur singend vortragen lässt – und singen, das können wir echt super.
Hier der Beweis:
"Trara – es ist Art!",
So titelte die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG anlässlich der 46. Ausgabe der Art Basel...
Und tatsächlich verstand es der NZZ-Autor Philipp Meier, die Kunstmesse und die Kunst auf der Messe als gigantisches Trara zu schildern...
Was sich auch in den drei Zwischentiteln niederschlug: "Schwindelerregend und laut""Unheimlich und narzisstisch""Wahnsinnig und abgehoben".
Meier übrigens fand das alles prima:
"Kann man dieses Aufgebot an Kunst eigentlich noch bewältigen? Nein, wenn man sich nicht einer neuen Sportdisziplin namens Art-Hopping verschreiben will. Das macht aber nichts, denn der selektive Blick bereitet genug Vergnügen, und am Angebot für jedermanns Gusto mangelt es dieser Tage in Basel nicht."
In der Tageszeitung DIE WELT konstatierte Swantje Karich angesichts des Baseler Traras:
"In diesem Jahr wird selbst den Galeristen schwindlig" – und erläuterte:
"Als im Mai die Biennale in Venedig eröffnete, waren sich fast alle erstaunlich einig, dass dieses Festival eher den Charakter einer Kunstmesse habe. [...] Umgekehrt wurde dieser Tage wieder über das museale Niveau der Art Basel gestaunt. Angesichts der unfassbaren Masse an Kunst, die einem auf der weltweit immer noch bedeutendsten Messe [...] erwartet, muss man sich fragen, inwiefern all diese Kategorien überhaupt noch greifen: Messe versus Ausstellung, museal versus marktgerecht. Man kann kaum mehr klare Unterscheidungsgrenzen ziehen. Verkauft wird überall."
Beerdigungs-Performance
Unabhängig von der Trara-Art äußerste sich die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG "zur Grenze der Kunst"...
Und zwar mit Blick auf die Aktivisten des "Zentrums für politische Schönheit", die eine auf der Flucht ertrunkene Syrerin aus einem Massengrab exhumiert und in Berlin erneut beerdigt haben.
FAZ-Autor Mark Siemons widersprach dem Argument, das Opfer der europäischen Abschottungspolitik erhalte so seine Würde zurück:
"Zugleich (nämlich, so Siemons) lässt (...) (das Zentrum) mit einer eigens installierten Ehrentribüne samt vierzig Stühlen, an deren Rückenlehnen die Namen deutscher Spitzenpolitiker standen, keinen Zweifel daran, dass es sich um eine Kunstaktion innerhalb des einschlägigen Betriebs handelt. Der reale Leichnam und die realen Vorgänge seiner Exhumierung und wiederholten Bestattung werden da also Teil des Kunstsystems."
"Gerecht oder pietätlos?" grübelte DIE WELT angesichts der Beerdigungs-Performance und befasste sich mit Stefan Pelzer vom "Zentrum für Politische Schönheit":
"Gegen den Vorwurf der Pietätlosigkeit – immerhin wurden die Gebeine der Frau einfach ausgegraben und von einem nach Medienberichten zugekoksten Fahrer semikriminell nach Deutschland gebracht – entgegnet Pelzer stets, das Morden an den EU-Außengrenzen sei viel pietätloser. Nur müsste man nicht nach dieser Logik jedes verhungerte Kind, jedes vermeintliche Opfer des Kapitalismus nach Berlin schaffen und dort beisetzen? Die radikale Geste der Aktivisten mag zum Trauern und Nachdenken anregen. Man hätte sich nur gewünscht, dass diese Frau in Gegenwart ihrer Familie beigesetzt worden wäre und nicht in Gegenwart handyfilmender Aktivisten, die keine Fragen haben",
bemerkte WELT-Autorin Hannah Lühman.
"Die Frau ist der Nigger der Welt"
Grenzen überschritten hat auch Rachel Dolezal, die sich – einst weiß geboren – als schwarze Aktivistin in den USA gegen Rassendiskriminierung engagiert hat, bis ihr kühner Farbentausch jüngst aufflog.
In der Wochenzeitung DIE ZEIT vermutete Lars Weisbrod, Dolezal habe die "Identitäten-Jonglage" begonnen, weil sie glaubte, nur so etwas Moralisches tun zu können.
"Dahinter steckt aber das allergrößte Problem, in das sich die inzwischen allgegenwärtige Identitätspolitik verstrickt hat: Sie hat sich ein Quasi-Monopol auf moralische Haltung gesichert in einer Zeit, in der die ökonomischen und sozialen Probleme so komplex sind, dass es uns schwerfällt, angesichts der ganz großen Fragen zu argumentieren und unsere Position zu verteidigen. Wer sich jedoch auf Identität beruft, ist von diesem Zwang zum Argument [...] befreit."
Unter der Überschrift "Die Frau ist der Nigger der Welt" verband WELT-Autor Matthias Heine die Debatten um Rachel Dolezal und die Transsexuelle Caitlyn Jenner, ehemals Zehnkämpfer Bruce Jenner.
"Diabolisch fragen nun die Konservativen: Wenn man wählen kann, als Frau zu leben, obwohl man als Mann geboren wurde – wieso kann man keine Schwarze sein, obwohl man als biologische Weiße zur Welt kam? Wenn man das Foto von Caitlyn Jenner anbetet wie eine transsexuelle Madonna – wieso betrachtet man Dolezal mit ihrer künstlichen Krause [...] als Freak? Diese Einwände sind polemisch, aber berechtigt. Denn verglichen mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen ist die Pigmentierung der Haut doch nur ein Oberflächenphänomen",
befand Matthias Heine.
Abschied vom "Bären" Rowohlt
Am Ende kommen wir zu einem Menschen, der ein Bär war.
Jedenfalls titelte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Ein Bär von Mann"; im Berliner TAGESSPIEGEL hieß es: "Der große Bär", "Abschied vom Großen Bären" in der ZEIT.
Die Rede ist natürlich von Harry Zottelmähne Rowohlt, unter tausend Anderem Übersetzer und Stimme von Pu, der Bär.
Zum Tod des silbenmagisch veranlagten Ex-Schausäufers schrieb Ulrich Greiner in der ZEIT:
"Man sagt den Clowns nach, ihre Kunst gründe auf einer fundamentalen Trauer. Harry Rowohlt war kein Clown, doch alle Welt pries ihn für seinen Witz. Und Witz hatte er wahrhaftig. An manchen Abenden mit Harry tat einem der Bauch vor Lachen weh. Er war aber im Grunde seines Herzens kein heiterer, kein fröhlicher Mensch. Er hatte eine empfindsame Seele, er war verletzbar wie wenige."
Was wir Harry Rowohlt nicht mehr zurufen können, das rufen wir Ihnen zu, liebe Hörer:
Leben Sie wohl!