"Auch Gehirnwäsche für das Gute bleibt Gehirnwäsche"
Die Feuilletons beschäftigen sich mit dem viel diskutierten "Framing-Manual" der ARD, das Vorschläge macht, wie die Sendeanstalt sich sprachlich möglichst positiv darstellen und abgrenzen kann. Nicht sehr überraschend sehen die Kritiker es skeptisch.
"Im antiken Griechenland gab es die Philosophen-Schule der Sophisten", schreibt Ijoma Mangold in der ZEIT. "Manche ihrer Vertreter hatten es zu Reichtum gebracht, weil das Produkt, das sie der Polis anzubieten hatten, auf große Nachfrage stieß. Sie rühmten sich nämlich, aus gut schlecht und aus schlecht gut machen zu können."
Insofern sei auch die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling eine Sophistin. Wehling hat für die ARD eine Art Leitfaden geschrieben. Darin gibt sie Tipps, wie sich die ARD positiver darstellen kann, und zwar mit Hilfe der sogenannten Framing-Theorie.
ARD-Framing als Gehirnwäsche
Mangold gibt ein Beispiel aus dem öffentlich gewordenen Text: "'Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD' wird als Sprachregelung empfohlen, der sich von den 'medienkapitalistischen Heuschrecken' der Privatsender absetze. Das Papier betreibt im Namen der Wissenschaft eine Totalmoralisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die alle Vorbehalte seiner Gegner in aberwitziger Weise bestätigt. Wer Kritik an der ARD übt, ist im Grunde ein Demokratieverächter."
Für Mangold ist das Manipulation: "[…] auch Gehirnwäsche für das Gute bleibt Gehirnwäsche", schreibt er. "Und Wehlings Erfolg, Begriffshirnwäsche als Kognitionswissenschaft zu verkaufen, dürfte jeden Sophisten vor Neid erblassen lassen."
"Die Rolle der Sprache wird überschätzt"
Abgesehen von der moralischen Frage, stellt sich die nach dem tatsächlichen Nutzen. "Das Framing-Manual ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar, die Rolle der Sprache wird enorm überschätzt", zitiert Matthias Heine den Kommunikationswissenschaftler Jörg Matthes in der WELT.
"Selbst wenn man die Empfehlungen umsetzen würde, hätte das keinen oder höchstens minimalen Erfolg." Im selben Artikel kommt auch Henning Lobin zu Wort. Der Sprachwissenschaftler hat allerdings für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG einen eigenen Artikel verfasst.
Gedankenloser Umgang mit sprachlichen Bilder
Und da sind wir doch wieder bei der Ethik: "Offensichtlich mangelt es an einer Ethik der Metapher", schreibt Lobin und meint damit nicht nur die ARD. Er kritisiert ganz allgemein den "gedankenlosen Umgang mit sprachlichen Bildern" und gibt Beispiele: "Die Flucht- und Rettungsereignisse im Mittelmeer mit dem Wort 'Shuttle-Service' zu bezeichnen, verzerrt die tatsächlichen Ereignisse auf unheilvolle Weise."
Lobin empfiehlt, über solch eine verabsolutierende Metapher sofort zu diskutieren, damit sie ihr "Gift" nicht weiter verbreiten kann: "Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass jede Form des Sprachkampfs, und sei sie auch noch so verzerrend und verletzend, tatsächlich nur im Sprachlichen verbleibt."
Erwachsene und ihre Welt
Zum Schluss dann lieber noch schnell etwas Heiteres: Kafka. Na ja, vielleicht ist das Kafka-Zitat, das Peter Kümmel im Gespräch mit dem Schriftsteller Julian Barnes in der ZEIT anführt, dann doch eher tragikomisch: "Ich kann schwimmen wie die andern, nur habe ich ein besseres Gedächtnis als die andern, ich habe das einstige Nicht-schwimmen-Können nicht vergessen", schreibt Kafka. "Da ich es aber nicht vergessen habe, hilft mir das Schwimmen-Können nichts, und ich kann doch nicht schwimmen."
Julian Barnes ist beeindruckt vom Zitat. Er könne sich noch gut daran erinnern, wie er als Kind das Gefühl gehabt habe, es sei unmöglich, jemals zu schwimmen. Später habe er sich gefragt: "Wie kommt es, dass die Leute einen plötzlich als Erwachsenen akzeptieren – sie nehmen einen gleichsam in ihren Club auf. Obwohl man doch der gleiche junge Mensch ist, der man immer war."
Diese Gedanken führen Barnes zur folgenden bemerkenswerten Vermutung: "Vielleicht ist die Erwachsenenwelt nur eine Verschwörung von Leuten, die so tun, als wären sie Erwachsene."