Aufstand bei der "New York Times"
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Dass die "New York Times" den Einsatz des Militärs gegen Demonstranten fordern könnte, scheint abwegig. Doch genau das ist in einem Meinungsartikel passiert. Im „Tagesspiegel“ ist nachzulesen, wie das Traditionsblatt mit diesem Vorfall umgegangen ist.
"Es ist ein Leichtes, sich frühe Modellrechnungen vorzunehmen", schreibt die FAZ, "und zu zeigen, dass damalige Schätzungen von Opferzahlen fast immer weit von heutigen Zahlen entfernt lagen". Daraus seien auch Vorwürfe entstanden, die Politik habe zu sehr den Wissenschaften vertraut. Solche Vorwürfe wiederum beruhten auf einem zu schlichten Verständnis von Wissenschaft. So einfach und übersichtlich wie in der Physik seien aber die pandemischen Problemstellungen nicht:
"Fast immer haben wir es mit komplexen, nichtlinearen Systemen zu tun, hierarchisch organisiert, vielfach in sich rückgekoppelt und in ständigem Wandel begriffen.", schreibt die FAZ. Und weiter: "Unsicherheit ist in moderner Forschung zentraler Bestandteil wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns." Daraus ergebe sich ein Kommunikationsauftrag an die Wissenschaftler, "deutlich zu machen, wie belastbare Ergebnisse im Angesicht von Unsicherheit entstehen können".
Dem Wunsch steht die politische Beobachtung entgegen, dass Menschen in Angst und Unsicherheit nichts mehr hassen als wissenschaftlich begründete, jedoch vage Erkenntnisse. Dann bekommen die Aluhüte Zulauf.
Körperlos im Meeting
Darüber, wie es weitergehen könnte, wenn alle wieder vernünftig sind, spekuliert ein Beitrag in der SZ. Hier werden die vielfachen Versuche aufgelistet, mit digitalen Formaten körperlos die Meetings durchzuführen, die Corona in echt nicht mehr erlaubt. Dazu kämen die Chat-Funktionen von Videospielen, schreibt die SZ:
"Bei Teenagern haben die Chats auf der virtuellen Insel des Ballerspieles ‚Fortnite‘ die traditionellen sozialen Netzwerke wie Facebook abgelöst. Auf der Game-Streaming-Plattform Twitch finden inzwischen auch Debatten, Interviews und literarische Lesungen statt." Und "kurze Zeit trat wirklich das Lagerfeuer in ‚Red Dead Redemption‘ an die Stelle des Konferenzraums." Die SZ gibt sich optimistisch angesichts des neu eroberten digitalen Raumes: "Es ist an den Menschen, ihn zu nutzen."
Aber wir müssen warnen, im digitalen Raum lauern auch Gefahren. Schon vor Wochen schlug SPIEGEL ONLINE Alarm, weil viele Fettleibige im Homeoffice noch mehr Kilos zulegen würden - wahrscheinlich am Lagerfeuer von "Red Dead Redemption".
Phänomenologie der Plauze
Die TAZ hat sich dankenswerterweise des Problems angenommen und in der Rubrik "Sachkunde" eine Phänomenologie der gewölbten Körpermitte, vulgo der "Plauze", entwickelt. Gänzlich ohne wissenschaftsimmanente Unsicherheiten listet sie auf: den "Stressbauch" - und den Blähbauch: "Beim Draufklopfen klingt er hohl." Dann noch der "Bierbauch", gefolgt vom "Waschbrettbauch": "Der Porsche unter den Bäuchen", der vom "Waschbärbauch" konterkariert wird: "Er repräsentiert eine Art intellektuelle Gegenkultur um den allgegenwärtigen Fitnesswahn, in der auch wieder genossen werden darf."
Und auch ein Ausflug in die vordigitale Geschichte fehlt nicht: In der frühen Neuzeit schnallte sich der dünne Mann einen Gänsebauch um, ein Wams aus Baumwolle und Pferdehaar, um Wohlstand und Macht darzustellen.
Wie mit Feinden der liberalen Demokratie umgehen?
Gleich denkt man an Donald Trump, der ja stets im weit offenen Jackett einen gastrischen Bahnbrecher vor sich herschiebt, um Wohlstand und Macht zu … – aber das hatten wir ja bereits. Der TAGESSPIEGEL berichtet, dass bei der "New York Times" die Nerven "blank liegen", nachdem ein militanter Trump-Anhänger in einem Meinungsbeitrag gefordert hatte, das Militär gegen Demonstranten einzusetzen für eine – wie es hieß - "überwältigende Machtdemonstration". In der Redaktion jagte eine Krisensitzung die nächste, ob man diesen Beitrag, der nur die Ansicht des Autors wiedergibt, hätte veröffentlichen dürfen.
Das Ende kam bürokratisch, schreibt der TAGESSPIEGEL: "Kurze Zeit später distanzierte sich die Zeitung selbst. Der Beitrag entspreche nicht ihren Standards, dessen Veröffentlichung sei das Resultat ‚eines übereilten redaktionellen Prozesses‘ gewesen." Das eigentliche Problem, ob eine Zeitung auch extreme Positionen von einem, wie es heißt, "Feind der liberalen Demokratie" publizieren sollte, blieb damit ungeklärt.