Aus den Feuilletons

Aufstehen für die Kunst

06:21 Minuten
Die Geigerin Anne-Sophie Mutter spielt bei der traditionellen musikalischen Vesper mit ihrem Ensemble im Berliner Dom. Anliegen der musikalischen Vesper ist es, auf die durch die Corona-Pandemie bedingte wirtschaftliche Lage vieler Musikerinnen und Musiker aufmerksam zu machen.
Die Geigerin Anne-Sophie Mutter klagt in Bayern gegen das Verbot von Kulturveranstaltungen. © picture alliance/dpa | Jörg Carstensen
Von Klaus Pokatzky |
Audio herunterladen
Geigerin Anne-Sophie Mutter klagt gegen coronabedingte Schließungen kultureller Einrichtungen, lesen wir in der "FAS". Das Verbot von Kulturveranstaltungen verletze die im Grundgesetz garantierten Rechte auf Kunstfreiheit und freie Berufsausübung.
"Wann wird es endlich wieder gestern?", fragte der Berliner TAGESSPIEGEL in unser aller Namen, die wir uns zurücksehnen in die Zeiten ohne Masken. "Viele wissen nicht, wie es weitergehen soll. Ein paar geben auf", erzählte im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der Konzertorganisator Nicolai Sabottka. "Eigentlich wollen die Leute vor allem einfach: arbeiten!"
Wenn sie es jetzt nicht dürfen, begehren sie auf – jedenfalls im Kulturbetrieb. "Prominente Musiker wie die Stargeigerin Anne-Sophie Mutter und der Bariton Christian Gerhaher haben beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Popularklage gegen die coronabedingten Schließungen kultureller Einrichtungen erhoben", erfahren wir aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. "Das Totalverbot von Kulturveranstaltungen verletze in der Verfassung garantierte Rechte auf Kunstfreiheit und auf freie Berufsausübung."

Aufstehen für die Kunst

Organisiert haben sich die Künstler in der Initiative "Aufstehen für die Kunst". Sie "versammelt mittlerweile rund 3000 teilweise sehr namhafte Künstler und Kulturschaffende", stand in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
"Kunst braucht Räume, um sich entfalten zu können", sagte dort der Sänger Christian Gerhaher im Interview. "Diese Räume hat sie derzeit nicht, weil die Kunstfreiheit derart ausgehöhlt wird. Das ist eine echte Gefahr und zwar nicht nur für die Künste, sondern für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft insgesamt."
Auch, wenn er nun den Klageweg vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof beschritten hat – mit Corona-Leugnern und Verschwörungsgläubigen hat Christian Gerhaher nichts im Sinn: "Ich bin selbst studierter Mediziner und werde alles tun, um mir dieses Virus nicht einzufangen." Kluger Mann.
"Halbwahrheiten gehören zu den diskursiven Instrumenten, die Verschwörungstheoretiker nutzen", meinte im Interview mit der Tageszeitung DIE WELT die Literaturwissenschaftlerin Nicola Gess.

Protest zu tabuisieren, führt womöglich zum Gegenteil

"Das Nebeneinander von verständlicher Kritik und kruden Thesen macht es einem leicht, den Protest zum Irrsinn einiger Verrückter zu erklären", heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG.
"Die Mehrheit befürwortet auch nach einem Jahr die Schutzmaßnahmen, viele wollen strengere, und wenige haben Verständnis für Leute, die ohne Abstand und Masken demonstrieren", schreibt Florentin Schumacher in seiner Reportage aus Baden-Württemberg, dem "Land der Virusleugner, Querdenker, Impfgegner" – und warnt:
"Allen Protest zu tabuisieren, in der Hoffnung, dass sich ihm weniger Leute anschließen, führt aber womöglich zum Gegenteil. Es erinnert an das Dilemma mit der Neuen Rechten. Mit Rechten reden wollten die einen – auf keinen Fall, forderten die anderen. Am Ende redete man über die Rechten, die so viel Aufmerksamkeit am meisten freute."

Pandemiebekämpfung auf Kosten der Jüngeren

Da empfehlen wir jedem Corona-Verschwörungstheoretiker einfach mal einen Satz wie diesen: "Anders als zu Zeiten von Pest, Cholera oder Spanischer Grippe bemüht sich die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Geschichte, den Verlauf einer weltweiten Pandemie aktiv zu steuern und zu beherrschen – und das trotz aller Fehler und Rückschläge nicht ohne Erfolg."
Das stand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Der Preis für diesen Erfolg ist hoch", meinte Marcus Willaschek und verlangte endlich einmal Applaus für "die Jüngeren, die am wenigsten gefährdet sind, unter Lockdown und Staatsverschuldung am meisten zu leiden haben". Denn, so der Frankfurter Philosophie-Professor:
"Rentnerinnen und Pensionäre brauchen keine Schulbildung mehr, Partys und Clubbesuche sind kein wesentlicher Bestandteil ihrer Lebensform, sie müssen nicht ihre erste Liebe unter Bedingungen sozialer Distanz erleben. Auch werden sie die langfristigen finanziellen Lasten der Pandemie nicht mehr zu tragen haben. Es ist daher nur wenig übertrieben, wenn man die Pandemiebekämpfung in Deutschland als eine gewaltige Anstrengung zur Lebensrettung älterer Menschen beschreibt, deren negative Folgen nicht nur, aber doch zu einem besonders großen Teil die Jüngeren und Jüngsten zu tragen haben."

Plädoyer für das gedruckte Schulbuch

Umso verdienter ist es, wenn die Medien die Jüngeren in ihrem Corona-Dasein etwas mehr in den Blick nehmen. "Die Möglichkeit zur Internetrecherche ist ein Segen, stümperhaft durchgeführt ist sie Zeitverschwendung", hieß es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN zum Schulunterricht daheim am Computer.
"Lernen sie Medienkompetenz wirklich in der halbgaren Form, in der sie von vielen Lehrern in die Netzrecherche geworfen werden?", fragte Uwe Ebbinghaus und plädierte für das altbewährte gedruckte Buch. "Bei inhaltlichen Rückfragen stellt sich jedenfalls in vielen Fällen heraus: Schon ein kurzer Lexikonartikel wäre ertragreicher gewesen, auch der Blick ins Schulbuch hätte einen Mehrwert abgeworfen, was zielführende Nutzung der technischen Hilfsmittel angeht."

Wo bleibt die Medienkunde an den Schulen?

Und da stellt sich mal wieder die Frage, warum wir nicht in digitalen Zeiten ein Schulpflichtfach namens Medienkunde haben. Vielleicht befördert Corona auch dieses.
"Küsschen rechts, Küsschen links", warf der TAGESSPIEGEL seinen Blick in zukünftige Zeiten ohne Masken. "Die Kultur kann beides", lobte Christiane Peitz. "Sie kann nach all dem social distancing die Nähe neu lehren und dem Vergessen Einhalt gebieten. Und sie kann Party feiern, als gäbe es kein Gestern."
Freuen wir uns auf morgen.
Mehr zum Thema