Aus den Feuilletons

Ausstellung ohne Besucher

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Das Gemälde "Die heilige Katharina von Alexandria" von Raffael.
Das Gemälde "Die heilige Katharina von Alexandria" von Raffael. © imago images / Photo12 / Ann Ronan Picture Library
Von Ulrike Timm |
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Die Raffael-Ausstellung in Rom sollte das Kulturhighlight des Jahres werden, nun findet sie erstmal ohne Besucher statt: Italienische Museen und Opern haben Corona-Ferien. Die „Welt“ beschäftigt sich mit „Kunst in extremen Zeiten“.
"Über die Kunst in extremen Zeiten" schreibt Dirk Schümer in der WELT, berichtet von 50.000 vorbestellten Karten für die wohl wirklich einmalige Raffael-Schau in Rom, garniert seinen Artikel zum Beleg mit betörend schönen Kostproben aus des Meisters Werkstatt und frohlockt:
"Die Renaissance war eben kein Ausgleich von Gegensätzen, sondern ihr unsanftes Aufprallen in Gestalt von Kunst: Milde Madonnen neben nackten Nutten, glaubensferne Humanisten neben fanatischen Päpsten. Das sind die Extreme, die Raffael auch für unsere auf Krawall gebürstete Gegenwart spannend machen. Denn eines ist dieser Raffael trotz allen frömmelnden Künstlerkults niemals gewesen: keimfrei."

Museen, Opern, Ausstellungen haben Corona-Ferien

Der nicht keimfreie Raffael soll zumindest virenfrei bleiben. Bis zum 3. April macht das kulturelle Italien zu: Museen, Opern, Ausstellungen haben Corona-Ferien. Und als hätte Dirk Schümer geahnt, dass sein schöner, schwärmerischer Artikel die entscheidenden paar Stunden zu spät erscheinen wird, hat er seine bösen Ahnungen in den Text genommen und keine klassische Rezension geliefert. In der finden sich ja gemeinhin keine Sätze à la "Kustoden verteilen zur Sicherheit Hygienetücher".
Das große Raffael-Jubiläum, der 500. Todestag, steht unter keinem guten Stern. "Der Gedenktag des Künstlers am 6. April jedoch wird weltweit medial und weitgehend virenfrei begangen werden." Das ist nicht wirklich ein Trost.

TV-Trauerspiel über deutsch-deutsche Seelenabgründe

"Keine Panik, sondern Vorsicht" lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN, das Coronavirus lässt mittlerweile auch das Geschäft mit der klassischen Musik einbrechen. Michael Stallknecht berichtet von verkürzten Festivals, ausgesperrten Orchestern und den Sorgen insbesondere kleinerer Institutionen. Da braucht es auch keine Panik, wenn schon die Vorsicht manchem Veranstalter die Geschäftsgrundlage wegbrechen lässt.
Heimkino könnte womöglich ein paar Abende lang die Alternative sein, zumindest kommt der Fernseh-Mehrteiler "Unterleuten" nach dem Roman von Juli Zeh in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und im TAGESSPIEGEL gleichermaßen gut weg. Eine "Tendenz zum Dorfwestern. Oder besser: Eastern" sieht die SÜDDEUTSCHE und lobt die nah am Text entlang erzählte Verfilmung von Regisseur Matti Geschonnek und sein "All-Star-Ensemble".
Der TAGESSPIEGEL spricht von einem "intrigenverliebten Trauerspiel über deutsch-deutsche Seelenabgründe. Ein Glanzstück". Nun sind Romanverfilmungen nicht jedermanns Sache, aber vielleicht denkt mancher auch: lieber gucken statt lesen. Im ZDF geht der 700-Seiten-Roman "Unterleuten" jedenfalls an drei aufeinander folgenden Abenden ab, in der Mediathek gibt's die Verfilmung natürlich auch.

Zum Tod von Jazzpianist McCoy Tyner

Ausführlich widmen sich die Zeitungen dem bereits am Wochenende verstorbenen Ausnahme-Jazzpianisten McCoy Tyner. Das schönste Lob aber kommt nicht von einem Feuilletonisten, sondern von einem lang verstorbenen Seelengefährten und Kollegen, John Coltrane. Die SÜDDEUTSCHE zitiert ihn: "Tyner ist der, der mir Flügel verleiht, damit ich abheben kann. Aber er spielt Sachen auf dem Klavier, von denen ich keine Ahnung habe."
Nach ein paar Jahren trennten sich die Wege von Tyner und Coltrane. Tyner "bearbeitete seine Klaviere wie Schlagwerke und fütterte sie mit Kraftausbrüchen, Quartvorhalten und afrikanischen Rhythmen", sein extrovertierter, durchaus handgreiflicher Klavierstil schrieb Jazzgeschichte. Im Laufe seiner Karriere wurde Tyner zum Steinway-Musiker mit der schönen Begründung: "Die bauen mir die Sachen so, dass ich sie nicht kaputtmache." Der große Jazzpianist wurde 81 Jahre alt.
Ein kurzer Schwenk noch zur TAZ, zu Friedrich Küppersbusch, Publizist und Fan von Borussia Dortmund. "Beim Auflaufen im Gladbacher Borussenpark demonstrierten die Aktiven einen coronös korrekten Ellbogen-Bump zur Begrüßung statt Handschlägen. Nach dem Spiel liefen sie mit getauschten nassen Trikots Arm in Arm zu den Fans. Hoffentlich respektiert das Virus das."
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