Berlin von seiner schönsten Seite
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Die Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum sei zu einseitig, lesen wir in der "Berliner Zeitung". Gezeigt werde eine heitere Stadt des Volksvergnügens, alles Negative werde ausgespart, denn: zu viel „Differenziertheit“ schade der „Erzählung“.
"Der Sommer ist mühsam in Gang gekommen, und da soll er schon wieder auf dem absteigenden Ast sein?", fragte Christian Geyer mit augenzwinkernder Empörung in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Geyer ertrug es nur schwer, dass Meldungen ihn daran erinnerten, dass nach dem kalendarischen Sommeranfang, dem 21. Juni, die Tage wieder kürzer und die Nächte also länger werden. Gegen die Information, dass nun alles dunkler wird, so Geyer, helfe nur "das individuelle Recht auf Nichtwissen".
Wie wiederum gewisse Menschen andere im Dunkeln über etwas lassen, wie sie ihnen die Aufklärung versagen, kurz: Wie der Obskurantismus in der Welt wabert, davon haben die Feuilletons dieser Woche erzählt.
Orbáns Obskurantismus
"Präsident Viktor Orbán hat ein Gesetz verabschiedet, das Homosexualität mit Pädophilie gleichsetzt. Jegliche Informationen über andere Lebensformen werden verboten", schrieb Swantje Karich in der WELT und warf, ohne das Wort zu verwenden, Orbán Obskurantismus vor, den Versuch, für Unwissenheit zu sorgen: "Kinder sollen gar nicht erst davon erfahren, dass es Männer gibt, die Männer lieben, und Frauen, die Frauen lieben, und dass das seit jeher zum Menschen gehört."
Da die UEFA der Stadt München untersagt hatte, das Stadion während des EM-Spiels zwischen Deutschland und Ungarn in Regenbogenfarben zu beleuchten und so gegen Orbáns Homophobie ein Zeichen zu setzen, sauste ein junger Mann mit Deutschlandtrikot und Regenbogenfahne just in dem Moment zu den ungarischen Nationalspielern aufs Feld, in dem sie die Hymne ihres Landes sangen.
Das hat sicher nicht nur Swantje Karich von der WELT ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, der UEFA wohl weniger. Denn den Regenbogenaktivisten enthielt die Bildregie der UEFA den Fußballfans in Europa und der Welt vor.
Trumps Verdunkelung realer Sachverhalte
Wenn der an Covid-19 erkrankte und nun wieder genesene Salman Rushdie im neuen SPIEGEL schreibt, "in Trumpistan" sei das Coronavirus als "ein Trick der Demokraten bezeichnet" worden und "die erbärmliche Reaktion der Regierung auf die Pandemie" sei durch "einen Blizzard aus Lügen verdunkelt" worden, dann verwundert das genauso wenig, wie wenn Nikolai Klimeniouk in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG über Russland schreibt:
"Massenmedien verbreiten pseudowissenschaftliche Narrative. Um das staatliche Informationsmonopol nicht zu gefährden, wurde kürzlich 'aufklärerische Tätigkeit' ohne Lizenz untersagt." Denn was erwartet man schon anderes von Trump, Putin und auch Orbán als populistische Verdunkelung realer Sachverhalte?Spannender wird es dort, wo Aufklärung und Transparenz als ganz selbstverständlich gelten, aber sich bei genauerem Hinsehen obskurantistische Tendenzen offenbaren. Zum Beispiel in deutschen Ausstellungen. Zu viel "Differenziertheit" schade der "Erzählung", man solle doch als Ausstellungsbesucher auch "fun" haben, so zitierte Nikolaus Bernau merklich angewidert in der BERLINER ZEITUNG Paul Spies, den Direktor des Stadtmuseums Berlin.
"Berlin Global", eine Ausstellung des Stadtmuseums, ist bald im Humboldt-Forum zu sehen. Journalisten durften schon jetzt einen Blick hineinwerfen. In der offensichtlichen Wohlfühlausstellung fühlte sich Bernau so gar nicht wohl.
Er empfand es als unseriös, dass dem Besucher Elementares vorenthalten wird: "Wir lernen Berlin als heitere Stadt des Volksvergnügens, der jüdischen Schriftsteller und Regisseure kennen – aber wo ist das Gegenbild, das Nazi-Berlin der großartigen Theater von Gustav Gründgens, der Filme von Marika Rökk, Zarah Leander, des seinerzeit sehr erfolgreichen Hetzers Veit Harlan?", fragte Nikolaus Bernau.
Leerstellen werden nicht gezeigt
Die Schattenseiten auch der deutschen Geschichte kommen in der Dresdner Ausstellung "Sprachlosigkeit" im Japanischen Palais sehr wohl zur Sprache. Es geht um Traumata, die historische Menschheitsverbrechen ausgelöst haben. Andreas Platthaus hat die Ausstellung für die FAZ besucht, staunte allerdings nicht schlecht, als er in einer Vitrine einen Zettel entdeckte, der von internen Kämpfen unter den Ausstellungsmachern zeuge.
In der Vitrine seien zugeklappte Fotoalben von Georg Maercker ausgestellt, einem "entsetzlichen" deutschen Kolonialoffizier, der in Namibia eingesetzt gewesen war. Auf dem Zettel in der Vitrine sei zu lesen: "Nach INTENSIVEN AUSEINANDERSETZUNGEN mit unterschiedlichen Akteur*innen haben sich die Initiator*innen der Ausstellung dagegen entschieden, die Darstellungen der kolonialen Gewalt in den Fotoalben offen zu zeigen." Und weiter: "Neben den an den Menschen verübten Grausamkeiten zeigen sie die Leerstellen, die die deutsche Kolonialherrschaft der (Erinnerungs-)Landschaft Namibias hinterlassen hat."
"Wie die aussehen, wird jedoch gerade nicht gezeigt", kommentierte Andreas Platthaus spürbar genervt davon, dass jemand den Mangel an Aufklärung beklagt und sie selbst verhindert, indem er Fotos im Dunkel der zugeklappten Alben belässt.
Nach so viel Obskurantismus zum Schluss noch etwas Licht. Das steht uns allen auch in dunkler werdenden Zeiten zur Verfügung, nämlich die "Sonne in der Flasche". So nennt laut SPIEGEL der Zauberer Catweazle, der sich in der alten Serie und im neuen Kinofilm aus dem 11. Jahrhundert in die Moderne katapultiert hat, die Glühbirne.