Aus den Feuilletons

Böhmermann - der Selbstgerechte im Café Größenwahn

Der Moderator und Satiriker Jan Böhmermann
Der Moderator und Satiriker Jan Böhmermann © imago
Von Tobias Wenzel |
Jan Böhmermanns Kritik an der Kanzlerin geht zu weit, meint Michael Hanfeld in der FAZ - und wirft dem Satiriker Selbstgerechtigkeit und Größenwahn vor.
"Für den Satiriker [ ... ] ist der Rummel ein gigantischer Ego-Booster", schreibt Joachim Güntner in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über Jan Böhmermann. Nun, verzögert durch den pressefreien Feiertag, reagieren die gedruckten Feuilletons auf das am Mittwoch in der ZEIT veröffentlichte Interview mit dem Satiriker, das erste überhaupt seit der Affäre um das Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdoğan.
"Im Brustton eines Freiheitskämpfers" kritisiere Böhmermann die Bundeskanzlerin, bewertet Güntner das Interview und zitiert daraus Böhmermanns Behauptung, Angela Merkel habe ihn "filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei" aus ihm gemacht.

Ein deutsches Auweia

"Na ja, wohl eher einen deutschen Auweia", lautet Joachim Güntners Kommentar in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Im Kontext des ganzen Interviews wirke diese Äußerung Böhmermanns allerdings
"weniger größenwahninnig oder weinerlich als vielmehr wie die Antwort eines Satirikers, der sich halt der Mittel bedient, die einen Satiriker ausmachen: Humor, Überhöhung, Biss",
gibt Jürn Kruse in der TAZ zu bedenken. Den Größenwahn Böhmermanns kleiner deuten möchte Michael Hanfeld von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG dagegen ganz und gar nicht.
Der Moderator habe mit dem Interview in der ZEIT
"seine bislang größte Satire"
abgeliefert, schreibt Hanfeld und präzisiert das so:
"als Selbstgerechter vor dem Herrn und Stammgast im Café Größenwahn".
Der Medienexperte der FAZ blickt noch einmal zurück auf Böhmermanns Aktion:

Vorlagengeber für einen Despoten

"Er setzte dümmste Beschimpfungen in Anführungszeichen, glaubte, das wäre genial, und wundert sich, dass er als Vorlagengeber für einen Despoten dasteht und sein Text ein Fall für Gerichte ist."
Darüber hätte Böhmermann nachdenken müssen, habe es aber nicht getan, wie er im Interview mit der ZEIT und unter anderem mit folgendem Satz bewiesen habe:
"Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht."
Eine Steilvorlage für den studierten Juristen Hanfeld:
"Dass es in seinem Fall um die Meinungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht und um die juristisch zu klärende Frage geht, ob sein 'Gedicht' [ ... ] nicht doch als Beleidigung zu verstehen ist, das will dem Moderator nicht in den Kopf",
schreibt der FAZ-Redakteur.
Und weiter:
"Er weiß nichts vom Rechtsstaat, kennt die Gewaltenteilung nicht und macht Angela Merkel sogar dafür verantwortlich, dass er bedroht wurde. Keinen Gedanken verschwendet er daran, er selbst könnte für die ganze Affäre verantwortlich sein."

Wie definiert man Populismus?

Mal angenommen, nun würden einige etwas einfach strukturierte Menschen Michael Hanfeld missverstehen und ihm vorwerfen, er sei gegen die Kunst- und Meinungsfreiheit und ein Befürworter Erdoğans – wäre diese Behauptung dann populistisch? Wie definiert man überhaupt "Populismus"? Jan-Werner Müller erklärt den Begriff in der FAZ.
Populisten hätten einen "Alleinvertretungsanspruch" und der sei "stets moralischer Natur", erläutert der in Princeton lehrende Politologe:
"Für den Populisten gibt es keine legitimen Mitbewerber um die Macht. Und die Bürger, die sie nicht unterstützen, gehören automatisch nicht zum wahren Volk."
Es komme nicht von ungefähr, dass "bei Populisten immer gleich von Verschwörungen die Rede" sei.
"Denn irgendwie muss ja plausibel werden, warum man der einzige legitime Volksvertreter ist und trotzdem keine Mehrheit an den Urnen zusammenbekommt. Im Zweifelsfalls war's die Lügenpresse."
Populisten seien immer "antipluralistisch", aber nicht immer "anti-elitär". Ein Populist könne also selbst zur Elite gehören. In den Worten von Jan-Werner Müller:
"Man denke beispielsweise an Recep Tayyip Erdoğan, der 2014 auf einem Parteikongress deklamierte: 'Wir sind das Volk' – und dann, an seine Kritiker gewandt: 'Wer seid ihr?'"
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