Bohlen ist der "Castingshow-Kalif"
In der Kulturpresseschau geht es um Dieter Bohlens 60. Geburtstag, um den Roman "Große Liebe" von Navid Kermani, um die Ausstellung "Esprit Montmartre" in der Frankfurter Schirn - und weshalb eine "FAZ"-Autorin das Thema "Flatrate-Sex" so traurig macht.
Wir nähern uns der Hochkultur heute über einen Umweg … namens Dieter Bohlen, der an diesem Freitag 60 Jahre alt wird.
Man kann gewiss nicht sagen, dass die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG unter dem Titel "Unser Dieter" Bohlen ausgelassen hochleben lässt.
Das Vokabular indessen, das Joachim Hentschel aufwendet, um die Musikmach-Masche des Ex-Modern Talkingers zu denunzieren, zeugt von widerwilligem Respekt. Hören Sie selbst!
"Wie […] [Bohlen] als Produzent die Elemente nach Hörensagen zitiert und montiert, ihnen jede nachweisbare Identität austreibt, alle Grenzen verwischt – am Ende ergibt das etwas Vogelfreies. Eine Musik ohne Eigenschaften, eine Folklore für das Nirgendwo […]. So wenig zu packen wie der Anarchist, der sich an der Herdplatte die Fingerabdrücke wegbrennt. Wenn man so will, dann ist Bohlens Diskografie das Schengener Abkommen des deutschen Pop",
behauptet sprachbildwild SZ-Autor Hentschel, bei dem Bohlen als "Castingshow-Kalif" firmiert.
Apropos "Kalif"!
Richtung Islam weist auch die SZ-Überschrift "Das Seufzen und der Sufi."
Meike Fessmann bespricht "Große Liebe", den Roman Navid Kermanis, der die Geschichte einer Jugendliebe in die Bilderwelt der islamischen Mystik einbettet.
Es freut Fessmann, erfahren zu haben, "dass das Arabische die Wörter 'Seele' […], 'Atem' […] und 'tiefes Seufzen, Stöhnen' […] aus einer einzigen Wurzel herleitet."
Was auch der Geräuschkulisse beim Sex höhere Weihen gibt, wie Fessmann mit einer Einsicht des Andalusiers Ibn Arabi aus dem 13. Jahrhundert belegt:
"'Wenn der Liebende, den Umständen entsprechend, eine Gestalt annimmt, liebt er zu stöhnen, denn in diesem ausströmenden Atem verläuft die Bahn der erstrebten Lust. Dieser tiefe Atem entwich der Quelle der göttlichen Liebe und geht durch die Geschöpfe hindurch, denn damit wollte der Wahrhaftige sich ihnen offenbaren, auf dass sie ihn erkennen.'"
Ibn Arabi über das Göttliche menschlicher Geschlechtsaktatemlosigkeit - in der SZ.
Nun zum käuflichen Akt.
"Putins Glück, dass ich so tolerant bin"
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG bespricht Julia Voss die Ausstellung „Esprit Montmartre“ in der Frankfurter Schirn und zitiert aus einem Brief Vincent Van Goghs:
"'Besagter unterwürfiger Hure gehört mehr meine Sympathie als mein Mitleid. Ausgestoßen und abgelehnt von der Gesellschaft, wie Du und ich es als Künstler sind, ist sie gewißlich unsere Freundin und Schwester. Und in dieser Stellung als Auswurf findet sie – wie auch wir selbst – eine Unabhängigkeit, die auch ihre Vorteile hat.'"
Indessen will Julia Voss keine verschatteten Vorzüge der Prostitution hervorheben. Nein, nachdem die FAZ-Autorin 200 Bilder bestaunt hat, die oft das Milieu darstellen, verlässt sie die Kunsthalle traurig:
"Auf dem Monmartre […] gab es die "maisons d’abattage", die Schlachthäuser, in denen Prostituierte im Sechs-Minuten-Takt Freier abfertigen mussten. Flatrate-Sex heißt das im neuen Zuhälterdeutsch. Nur einen Steinwurf entfernt liegt das Frankfurter Bahnhofsviertel, in dem heute die junge Generation tanzt und trinkt, während die Menschenrechte in den Bordellen nebenan außer Kraft gesetzt sind."
Die Meinungsfreiheit in Russland teils außer Kraft gesetzt, das haben neuere Gesetze der Putin-Regierung.
Jörn Kruse behauptet in der TAGESZEITUNG, dass man sich die Olympischen Spiele von Sotschi deshalb eigentlich gar nicht angucken darf - gibt aber auch zu:
"Am Ende wird es mich wieder packen. Ich werde hinschauen. Putins Glück, dass ich so tolerant bin."
"Die da oben dürfen alles, alle anderen dürfen nichts", überschreibt die FAZ ein Gespräch vier ukrainischer Autoren, die das Schreiben eingestellt haben, um für die politische Wende zu kämpfen.
Alle vier feiern Vitali Klitschko, vor allem Jurko Prochasko:
"Ich halte ihn für einen genuinen Liberalen. Daher wäre er der richtige Präsident für dieses Land […]. Klitschko polarisiert nicht wie die Rechten, er integriert. Er hält das Ukrainische für wichtig, aber nicht für das Entscheidende. Er sagt, über die Auslegung der Geschichte können wir uns später mal verständigen. Jetzt gilt es für den Rechtsstaat zu kämpfen."
Wir wünschen dabei Erfolg und verbleiben – mit einer TAZ-Überschrift – "In Erwartung eines süßen Moments".