Aus den Feuilletons

Brauchtumspflege mit Tastatur und Füllfederhalter

Eine Schülerin der Klasse 3a der Regenbogenschule in Fahrland, einem Ortsteil von Potsdam (Brandenburg), schreibt in der Unterrichtsstunde Worte mit h.
Tippen oder den Stift führen – das ist hier die Frage. © dpa / picture alliance
Von Hans von Trotha |
Von "Globalen Dorftraditionen" schreibt Dirk von Gehlen in der "Süddeutschen" und fordert für diese "digitale Brauchtumspflege". Gemeint sind die Praxis des Verlinkens und des Mail-Schreibens. In der "FAZ" erscheint derweil eine Ode an die Handschrift.
"Da sind alle meine Heimaten drin", sagt Kian Soltani, in Österreich lebender Cellist mit persischen Wurzeln, im WELT-Interview über sein neues Album.

Heimat und WLAN

War Heimat früher nicht ein Singularetantum, also ein Wort, das es nur in der Einzahl gab? Inzwischen ist sogar der Plural schon überholt, der ja immerhin noch an Orte gebunden wäre. Heute gilt: "Heimat ist da, wo sich das WLAN automatisch verbindet". Das, zitiert Dirk von Gehlen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "sagen Menschen, die mit der Idee der weltweiten Vernetzung aufgewachsen sind – und sie meinen", meint Gehlen, "damit in Wahrheit nicht das Haus, in dem drahtloses Internet verfügbar ist (und sich automatisch mit ihrem Endgerät verbindet, weil sie schon mal dort waren). Sie meinen den ortlosen Ort, der sich durch diese Verbindung eröffnet: Sie meinen das Internet selber."
Gehlen nimmt die Metapher vom globalen Dorf so ernst, dass er sogar "Globale Dorftraditionen" identifiziert und für diese eine "digitale Brauchtumspflege" fordert. "Man muss", schreibt er, "den Nationalisten den 'Heimat'-Begriff entreißen, ihn umdeuten, also: hacken". "Heimat ist" demnach "im 21. Jahrhundert … ein Ort, an dem Menschen sich unabhängig von Religion, Sprache oder Nationalität verbinden können."
Dabei sind nach Gehlen "in den vergangenen Jahren kulturelle Praktiken entstanden, die ebenso bedeutsam, verbindend und erhaltenswert sind wie beispielsweise die traditionelle Flussfischerei an der Mündung der Sieg in den Rhein, die sächsischen Knabenchöre oder der hessische Kratzputz. Diese drei Beispiele" zitiert Gehlen "aus dem Verzeichnis 'Immaterielles Kulturerbe der Unesco'" und stellt die Frage, "ob die Möglichkeiten des Verlinkens im Web oder die Praxis des Mail-Schreibens nicht ebenso förderungs- und erhaltenswert sind wie die Morsetelegrafie."

Sorge um die Handschrift

Diese beiden wiederum, also das Mail-Schreiben und das Morsen, eint, dass sie einer Kulturtechnik das Wasser abgraben, die Tilman Allert in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit Pathos feiert – noch allerdings, ohne ihren Weltkulturerbestatus zu fordern. Es ist der Beitrag der FAZ zum "Internationalen Tag der Handschrift".
"In jüngster Zeit", klagt Allert, "melden sich wissenschaftliche Stimmen, die den Schulen empfehlen, auf das Einüben der Handschrift als unzeitgemäß zu verzichten. Die Finger sollten vielmehr frühzeitig auf das Handhaben von Tastaturen trainiert werden." Allert hält dagegen – und man sieht regelrecht die energischen Ober- und Unterstriche, die das Manuskript dynamisieren: "Ein Schriftkundiger zu werden, darin liegt die Sensation, die das Kind im eigenen Schreiben erlebt. (…) Das Schreiben, das erste große Joint Venture von Auge und Hand, verleiht Bedeutsamkeit, die leere Seite ist ein festlich heller Saal, der den Schreiber empfängt. Mehr noch: Das eigene Selbst graphologisch ausweisen zu können lässt die ungeheure Kraft einer Geste erahnen, sich mit Geschriebenem Gehör zu verschaffen. Man ist mithin, selbst wenn man abwesend ist, anwesend."

Eine gigantische Werbemaschine

Gilt nicht genau das auch fürs Globale Dorf? Mit einem Unterschied freilich: In handschriftlichen Texten wird kaum Werbung betrieben, im Netz dafür fast ausschließlich. Ebenfalls in der FAZ ätzt Michael Hanfeld über Facebook-Chef Mark Zuckerberg: "Wenn er von der Weltrettung spricht, strafen ihn seine Nutzer lügen, die erkannt haben, was Facebook in Wahrheit ist: eine gigantische Werbemaschine, die Daten sammelt und monetarisiert."
Und das wird alles noch viel wilder, denn, davon berichtet Jürgen Schmieder in der SÜDDEUTSCHEN: "Künftig wird Fernsehen" – und damit auch alles andere, was im Netz zu haben ist – "nicht nur auf TV-Geräten und Handys, sondern auch auf Autoscheiben und in Virtual-Reality-Brillen zu sehen sein." Und überall Werbung. "Die entscheidende Frage", so Schmieder, "ist: Wie werden die Leute künftig Inhalte konsumieren – und auf welchen Bildschirmen, wenn es denn überhaupt noch welche geben wird?"
Und er hat Zahlen: "Die Werbeindustrie", schreibt er, "hat 2017 laut einer Studie des Forschungsinstituts Magna weltweit 178 Milliarden Dollar für klassische TV-Reklame ausgegeben und 209 Milliarden in Internet-Werbung investiert. Alle Prognosen deuten darauf hin, dass sich der Vorsprung des Digitalen vergrößern dürfte. … Egal welche Formate", so Schmieders Fazit, "es wird auch in Zukunft gelten: Für Reklame, da ist immer Platz."
Außer in handgeschriebenen Briefen. Wegen der Zielgruppe. Die ist einfach zu klein
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