Aus den Feuilletons

Britische Parlamentarier in Gewissensnot

Big Ben und Houses of Parliament in London
Big Ben und Houses of Parliament in London © imago/CHROMORANGE
Von Ulrike Timm |
Drei Viertel der britischen Unterhaus-Abgeordneten wollen den Brexit eigentlich nicht. Und trotzdem haben sie sich mit großer Mehrheit für den Bruch mit der Europäischen Union entschieden. Anlass für die "FAZ" über die Dilemmata des Parlamentarier-Seins zu räsonieren.
"Ein gutes Mitglied des Parlaments zu sein, ist keine leichte Aufgabe; besonders in dieser Zeit, in der eine starke Neigung besteht, sich in einen gefährlichen Grad von sklavischer Willfährigkeit oder zügelloser Popularität zu stürzen. Umsicht mit Energie zu vereinen, ist absolut notwendig, aber äußerst schwierig."
Was ist das für ein Zitat, gefunden in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN?
Aufruf an die Besonnenen unter den Republikanern im amerikanischen Kongress, doch bitte ihren Präsidenten in Schach zu halten?
Nein.
Bundespräsidentenrede an Politiker, nicht jeder fixen Umfrage hinterher zu hecheln?
Wieder falsch.
Also: Das Zitat ist von 1774, und die Worte stammen vom in Großbritannien legendären Schriftsteller und Philosophen Edmund Burke, er hielt sie vor den Wählern von Bristol, die er vertreten sollte.
Und jetzt stehen seine Worte in der FAZ, wo Gina Thomas schildert, wie in der gegenwärtigen Debatte über den Brexit die britischen Abgeordneten zwischen Parteidisziplin, Gewissen und der vorherrschenden Meinung in den jeweiligen Wahlkreisen manchmal mit dem Arsch auf Grund gehen. Das hätte Edmund Burke nie so gesagt, 1774, aber wir sagen das jetzt doch mal so, weil‘s den Konflikt und die Stimmung ganz gut auf den Punkt bringt.
"Obwohl rund fünfundsiebzig Prozent der 650 Parlamentarier zu den sogenannten Remainers gehören" – also denen, die in der EU bleiben wollten – "hat sich das Unterhaus am vergangenen Mittwoch mit 498 gegen 114 Stimmen für den Gesetzantrag der Regierung zur Aktivierung des Austrittsverfahrens ausgesprochen."

Grundsätzlich kein neues Dilemma

Das Dilemma, Gewissen, Parteidisziplin und Wählerwillen zu bedienen ist nicht prinzipiell neu, manchmal endete es auch auf der Toilette, die jemand aufsuchte, weil er sich übergeben musste, weiß die FAZ.
Nun muss man ja nicht unbedingt Parteiquerelen in Brexit-Abstimmungen münden lassen, Mitleid ist nicht angebracht.
Aber schade, dass einer wie der legendäre Edmund Burke schon so lange tot ist, einer, der der Meinung war, er
"schulde seinen Wählern nicht nur seinen ganzen Fleiß, sondern auch einen eigenen Standpunkt"!
Könnte vielleicht Türen öffnen – oder rechtzeitig schließen.
Das ist zugegeben eine recht scharfe Kurve zur Ausstellung von Türdrückern im Leipziger Grassimuseum, auch in der FAZ, aber da wollen wir jetzt hin. Weil es so eine ungewöhnliche wie eindrucksvolle Schau ist,
"Begreifbare Baukunst – Die Bedeutung von Türgriffen in der Architektur".
Andreas Platthaus hat begeistert Hand angelegt, Türknöpfe und Klinken gedrückt und gemerkt:
"Erst der Gebrauch zeigt, welches dieser Objekte nicht nur schön ist, sondern auch seinen Zweck gut erfüllt."
Ein haptischer wie funktionaler Flop etwa ist die Türklinke, die Ludwig Wittgenstein für ein Palais in Wien entwarf, viel zu dürr geraten.

"Buddha findet einen Platz in Bremen"

"Den Griff ins Leere schätzt die Hand nicht" – wie gut, dass Wittgenstein noch vom Türklinkenentwerfen auf Philosophie umsattelte.
"Buddha findet einen Platz in Bremen",
meldet die TAZ, bislang ist Buddha aber nur ein vergoldetes Stück Metall, 450 Kilo schwer, Buddha muss noch seine geistige Befüllung bekommen - 650 Kilo Mantrarollen, wenn die drin sind, dann ist er komplett und leuchtet oder erleuchtet die Bremer Botanika. Der Plan, auf allen Kontinenten Buddha-Statuen aufzustellen, stammt vom Dalai Lama, die Realisierung kommt nur schleppend voran, derzeit fehlen geweihte Buddhas noch vor allem in der Antarktis, Australien und Amerika. Aber Bremen kriegt jetzt einen.
Alle Feuilletons würdigen die große, aristokratische, dabei schon zu Lebzeiten irgendwie aus der Zeit gefallene Schauspielerin Inge Keller. Ihre Distanz war ebenso legendär wie ihre Bühnenpräsenz, die SÜDDEUTSCHE erklärt dieses Bedürfnis in Inge Kellers eigenen Worten, die sie von Ingeborg Bachmann lieh:
"Abstand, oder ich morde!"
Jetzt ist die große Dame des Deutschen Theaters in Berlin mit 93 Jahren gestorben.
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