Aus den Feuilletons

David Bowie und anmaßende Kunst

David Bowie zum Auftakt seiner Deutschland Tournee am 14.05.1978 in der Festhalle in Frankfurt am Main.
David Bowie zum Auftakt seiner Deutschland-Tournee im Jahr 1978. © dpa - picture alliance / hans H. Kirmer
Von Arno Orzessek |
Die "Süddeutschen Zeitung" schreibt, dass David-Bowie-Fans in dem Berlin-Schöneberger Lokal "M" abhängen und in Erinnerungen schwelgen. "Der Tagesspiegel" klärt auf, warum das "M" als Gedenkort völlig unsinnig ist. Außerdem geht es um den Sinn von Kunstaktionen.
Falls Sie zu den standesbewussten Bildungsphilistern gehören, lieber Hörer, dann hören Sie jetzt mal lieber weg. Denn Ihnen müssen wir nun wirklich nicht erklären, dass das "Kommunistische Manifest" mit den Worten beginnt: "Ein Gespenst geht um in Europa…". Alle anderen aber sollen diese historischen Silben noch einmal vernommen haben. Und zwar, damit sie unser Vergnügen daran teilen können, dass der Berliner TAGESSPIEGEL titelt:
"Ein Gespenst ging um im Mitropa."
Ums kurz zu machen: Gemeint ist nicht die olle DDR-Speisewagengesellschaft Mitropa, sondern das Lokal in Berlin-Schöneberg, das nach Rechtsstreitigkeiten seit langem M heißt.
Unter anderen die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG berichtete, dort würden heutzutage David-Bowie-Fans herumhocken und in Erinnerungen schwelgen, wie man damals im M auf die nächtliche Ankunft des mageren Superstars und Wahl-Berliners gewartet hätte.
Nett und nostalgisch mutet das an – im TAGESSPIEGEL aber stellt Christian Schröder klar:
"David Bowie verließ Berlin 1978, das Café M wurde 1979 eröffnet. Gast kann er dort nicht gewesen sein, […]. Ein Gespenst ging um im Mitropa."

Zweifelhafte Aktion des Zentrums für Politische Schönheit

Soviel zu den Banalitäten der Pop-Geschichte, nun zu den Anmaßungen der Kunst.
Unter dem Titel "Erlösungen" beleuchtet Kia Vahland in der SZ die "neue Blütezeit" der politischen Kunst und befasst sich auch mit dem Zentrum für politische Schönheit, das vor ein paar Wochen afrikanische Flüchtlinge Tigern zum Fraß vorwerfen wollte. Die Tiger tigerten auch schon vor dem Berliner Gorki-Theater herum – allein, der finale Flüchtlingsfraß fiel aus. Es fehlte an freiwilligen Speiseopfern.
SZ-Autorin Kia Vahland findet das Projekt nicht sehr überzeugend und seufzt:
"Die Welt ist zu schön und die Lage zu ernst, um sie ein paar hitzigen Tigerdompteuren zu überlassen."
Indessen erkennt Vahland, dass krasse Kunst, wie sie etwa auch Ai Weiwei hervorbringt, für den Seelenhaushalt des Publikums eine Funktion hat.
"Angesichts der Eilmeldungen von terroristischen Anschlägen und sinkenden Flüchtlingsbooten, Putschversuchen und Demokratieverlusten kann man sich mit Grund ohnmächtig fühlen. Abhilfe versprechen die Aktionskünstler. Wir tun etwas. Das Richtige. Wir retten das Abendland, die Humanität, was auch immer. […] Die Aktivisten handeln an unserer statt oder tun zumindest so als ob. […] All das wird […] die Welt nicht besser machen. Es dient nur dem allgemeinen Wohlgefühl."

Schriftsteller Mosebach über Baselitz' Helden-Zyklus

Wir bezweifeln, dass Kunst-Projekte wie das Flüchtlings-Fressen dem Schriftsteller Martin Mosebach Wohlgefühl bereiten. Aber Mosebach schreibt in der Tageszeitung DIE WELT auch nicht über Tigerfutter, er schreibt über Georg Baselitz' "Helden-Zyklus", der augenblicklich im Städel Museum in Frankfurt am Main zu sehen ist.
Haben Sie den Zyklus vor Augen, liebe Hörer? Diese abgerissen-versehrten Kriegsheimkehrer-Typen, die echt was mitgemacht haben? Mosebach sieht sie so:
"Eigentümlich sind ihre kleinen Köpfe, sie gehören jungen Männern, beinahe noch Knaben, und ähneln sich alle mit niedrigen Stirnen, stumpfen kurzen Nasen und häufig lächelnden Mündern. Fast immer steht ihr Hosenlatz offen, als hätte sie neben vielen anderen Hemmungen auch die Scham hinter sich gelassen und seien bereit zu Vergewaltigung im Straßengraben oder zum einsamen Vergnügen."
Aufmerksam auf Hosenlätze: Mosebach in der WELT.
Wer sich für unerhörte Geschichten aus der digitalen Sphäre interessiert, lese den Artikel "Abschaffung einer Welt" in der TAGESZEITUNG. Google hat den jahrelang gepflegten Blog "DC’s" des in Deutschland nicht so weltberühmten amerikanischen Schriftstellers Dennis Cooper gelöscht – offenbar einfach so, ohne Erklärung. Coopers Kollege Clemens Setz beklagt es zurecht auf einer ganzen TAZ-Seite.
Zum Schluss ein Bekenntnis: Eigentlich finden wir die aktuelle Tagesproduktion der Feuilletons wenig inspirierend. Und haben nach dem ersten Durchblättern genau das gedacht, was nun – mit einer SZ-Überschrift – zu unserem Schlusswort wird: "Mannomann".
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